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Aus dem Vaterland
Winterblues
Draussen ists kalt und neblig-düster – drinnen fällt einem die Decke auf den Kopf. Wie zum Teufel beschäftigt man an Wintertagen ein Kleinkind, ohne selber zu verblöden?
Winter ist etwas Schönes. Man kann schlitteln, Schneemänner bauen und sich mit Schneebällen bewerfen. Solange die Sonne scheint. Was aber unternehmen, wenn draussen Niesel, Nebel, Matsch und Pflotsch herrschen?
Früher lag ich an solchen Tagen im Bett und las. Das Wetter war mir egal. Hin und wieder schlug ich mich von Hunger und Durst getrieben zum Coop durch, unter der Jacke trug ich noch das Pyjama.
Mit einem Kind ist diese Idylle vorbei. Denn Kinder sind wie Hunde – sie brauchen Auslauf und Bewegung. Bei schlechtem Wetter besuchen wir also zunächst das Spiel-Dörfli, eine Kinderwelt des örtlichen Grossverteilers. Hier nehmen sich junge engagierte Frauen meines Kindes an und führen es in die plüschig-pinkige HelloKittyLilli-Fee-Welt. Ich stehe derweil unentschlossen im Raum. Eigentlich würde ich mich gern aus dem Staub machen, um den Massagestuhl im Sous-Sol auszutesten. Doch dafür steckt zu viel Protestantismus in mir. Eine Massage, während andere mein Kind hüten? Nein! Also brav mitspielen. Das Lied vom goldigen Sünneli gestisch untermalen und behend ins Bällchen-Bad springen.
Meine Gedanken schweifen ab: Warum ist es eigentlich so hell hier? Gibt es kartellartige Absprachen mit der Neonröhrenindustrie? Mir wird übel ob so viel Licht.
Komm‘ Kind, wir gehen lieber in den dunklen Keller des historischen Museums. Denn dort herrscht Düsternis wie im Mittelalter, aus dem der Mensch nur mithilfe der Taschenlampe namens Aufklärung herausfand. Dem Kind gefällts. Leider aber heftet sich uns bald die eifrige Museumsaufseherin an die Fersen und weist hartnäckig auf das Schild: Bitte nicht berühren. Solange, bis uns der Spass an Daumenschrauben und Guillotinen vergeht.
Also, zurück in den ganz normalen Alltag – denn auch damit lässt sich Zeit totschlagen. Post. Bank. Haushaltfachgeschäft. Nicht gerade tagefüllend, aber immerhin. Oder ein Gang in den Supermarkt: 100 Joghurts zur Auswahl, 50 verschiedene Brote und 20 unterschiedliche Essige (oder heisst es Essigs?) im Gestell. Offensichtlich arbeitet man daran, die Produktepalette zwecks Zeitvertreibung auszuweiten. Doch das Kind interessiert sich weder für Essig noch für dessen Plural. Lieber höhlt es heimlich eine Züpfe aus und rüttelt Käsestücke vom unbeaufsichtigten Degustierstand auf den Boden.
Unterwegs herrscht nichts als Mühsal. Also doch zu Hause bleiben? Auch daheim ist längeres Zusammensein mit Kind anstrengend, wenn man als Vater laufend neue Zerstreuungen aus dem Hut zaubern soll. Hier ein Schabernack, dort ein Unfug – der häusliche Klamauk muss ständig am Köcheln gehalten werden. Sonst wird das Kind mürrisch. Und Papa auch.
Uns Erwachsenen fehlt in diesen Wintertagen mit Kleinkind einfach irgendwie die Balance zwischen Gugus und Geist. Was tun? Ich glaube, die Lösung für mehr Gleichgewicht gefunden zu haben: Seit Neustem nehme ich mir parallel zum Turmbau, Versteckspiel oder Schubladen-Ausräumen tiefsinnige Fragen vor:
Wer ist der klügste, wer der dümmste Mensch, mit dem ich je gesprochen habe?
Wer hat mich im letzten Jahr wo, wann, wie und weshalb zusammengeschissen?
Ist die Wohnung, in der wir leben, wirklich optimal?
Oder frei nach Max Frisch: Wäre ich lieber mich selber oder ein waidwunder Wal?