Sprachforschung
Wie spreche ich mit meinem Kind?
Reden Erwachsene mit Babys, verfallen sie fast automatisch in eine spezielle Sprechweise. Sie heben die Stimme, betonen überdeutlich und wiederholen Inhalte variantenreich. Ist das sinnvoll oder nur albern?
Sind Kleinkinder im Raum, verwandeln sich Erwachsene in oscarverdächtige Schauspieler: Ihre Stimmen schrauben sich intuitiv ein paar Oktaven höher, sie lachen, reissen die Augen auf bis zum Haaransatz, wiederholen alles zigmal und bauen angehauchte Elemente ein. Vokale betonen sie überdeutlich, sie stellen Fragen, auf die sie keine Antworterwarten. Aus einem schlichten «Sieh mal, da ist eine Katze» wird ein variationsreiches: «Schau, die Katze putzt sich! Was macht die Katze? Jetzt geht die Katze!»
Würden wir so übertrieben artikuliert mit Erwachsenen sprechen, kämen wir uns lächerlich vor. Bei kleinen Kindern jedoch verfallen wir automatisch in diese Muster. Unterschätzen wir unseren Nachwuchs, wenn wir so mit ihm sprechen? Oder ist das genau richtig?
Erhöhte Aufmerksamkeit
Kleinkindgerichtete Sprache (Infant Directed Speech) nennen Wissenschaftler diese Art zu kommunizieren. Die Linguistin Katharina Zahner forscht dazu am Babysprachlabor der Universität Konstanz. Ihr Team gehört zu einem Zusammenschluss von rund 70 Sprachlaboren – Many Babys genannt – aus Europa, Nordamerika, Asien und Australien, die gemeinsam der Infant Directed Speech auf den Grund gehen. Dafür werteten die Forscher Experimente aus mit über 2300 Babys und Kleinkindern aus aller Welt.
Ergebnis: Hörten die drei bis 15 Monate alten Kinder, auf dem Schoss eines Elternteils sitzend, Tonaufnahmen in kleinkindgerichteter Sprache, waren sie aufmerksamer, als wenn sie Tonspuren in Erwachsenensprache im Ohr hatten. Rund 60 Prozent der untersuchten Kinder bevorzugten diese speziell an sie gerichtete Sprechweise.
Hat die Natur es also gut eingerichtet, dass wir so mit unserem Nachwuchs reden? «Auf jeden Fall», sagt Zahner, «Kleinkindern gefällt dieser Sprachstil, er kann ihnen beim Sprechen lernen helfen.» Tatsächlich ist kleinkindgerichtete Sprache auf der ganzen Welt verbreitet – wobei sich der Grad der Babysprache von Land zu Land unterscheidet. «Im Deutschen ist sie der Erwachsenensprache noch einigermassen ähnlich», so Zahner. «Zwar ist auch hier die Stimmlage höher und insgesamt variabler, doch es ist kein Vergleich zur – für unsere Ohren – eher extrem klingenden amerikanischen Babysprache.»
Variable Stimmlage hilft
Aber weshalb sprechen wir eigentlich so seltsam mit kleinen Kindern? Ein Erklärungsansatz aus der Psychologie lautet: Wir wollen die Aufmerksamkeit des Kindes auf uns ziehen. Dies klappt umso besser, je variabler wir reden und etwa zwischen hoher und tiefer Stimmlage wechseln. Ausserdem modulieren wir dabei nicht nur die Sprache, sondern reissen auch die Augen auf und lächeln mehr – was die Bindung zum Kind stärken soll.
Mit der unwillkürlich hohen Stimmlage – so ein anderer Erklärungsansatz – wollen sich Erwachsene bewusst auf die Ebene des Kindes begeben, erklärt Zahner, und signalisieren: «Ich bin so klein wie du, hab keine Angst.» Vor allem aber helfe Infant Directed Speach dem Nachwuchs, ein Gefühl für Sprache zu bekommen. Denn ein Neugeborenes muss erst lernen, welche Laute zur Muttersprache gehören und wo sich Wortgrenzen verstecken.
Verwenden Erwachsene jedoch einfache Sätze mit vielen Wiederholungen, artikulieren sie überdeutlich und variieren die Stimmlage, hilft dies dem Nachwuchs, Bestandteile aus dem Lautstrom heraus zu kristallisieren.
So erkennen die Kleinen mit etwa sechs Monaten einzelne Wörter, bevor sie mit neun bis zwölf Monaten eine bahnbrechende Entdeckung machen: Das Kind stellt fest, dass Wörter eine Bedeutung haben und Menschen damit etwas ausdrücken möchten. So lernt es am Ende des ersten Lebensjahres die Bedeutung von häufigen Wörtern aus seiner täglichen Lebenswelt. Um den ersten Geburtstag fängt es dann an, Eltern und andere Bezugspersonen nachzuahmen.
Die Mutter identifizieren
Volker Dellwo, Phonetikprofessor an der Universität Zürich, verfolgt mit seinem Team noch einen anderen, ganz neuen Erklärungsansatz, weshalb Eltern mit Klein kindern akzentuierter sprechen: «Es geht um die Stimmerkennung», sagt der Stimmforscher. Generell sei es für Menschen äusserst wichtig, zu wissen, wer ihr Gegenüber ist. «Für unsere Erwartungshaltung in der Kommunikation muss klar sein, mit wem wir es zu tun haben.»
Dazu ist es wichtig, dass wir eine Person anhand ihrer Stimme erkennen – ein Aspekt, der in der Forschung lange kaum beachtet wurde. Doch bereits für Neugeborene sei es zentral, die Mutter zu identifizieren – wobei die Stimme eine grosse Rolle spielt.
So zeigten Studien, dass sich Gehirne von Frühgeborenen anders entwickelten, wenn die Präsenz der Mutterstimme fehle. Die Stimme des Vaters wiederum erkennen Kinder in der Regel erst mit etwa sechs Monaten. Beschleunigen lasse sich der Prozess, wenn Eltern ihre Stimmen in allen Facetten vorführten. Dellwo und seine Kollegen fanden in Experimenten mittels akustischer Simulationen heraus, dass kleinkindgerichtete Sprache klare Vorteile beim Erlernen der Stimme hat: «Verwenden wir die Babysprache, zeigen wir dem Kind unsere Stimme in allen Variationen – also hoch, tief, laut, leise, schnell, langsam», lautet Dellwos Fazit. «Infant Directed Speech unterstützt somit die Stimmerkennung.»
Intuitiv richtig
Eltern wiederum beschäftigt noch ein ganz anderer Aspekt: So bekommt das Babysprachlabor der Universität Konstanz immer wieder Anfragen von besorgten Müttern und Vätern. «Viele Eltern wollen wissen, wie sie mit ihrem Kind richtig sprechen und es fördern können», sagt Katharina Zahner. Ihre wichtigste Botschaft lautet: «Eltern machen bereits automatisch ganz viel richtig», schliesslich verwendeten die meisten intuitiv die Babysprache.
Eine spezielle Förderung sei für das Sprechenlernen in der Regel nicht nötig. «Generell ist es aber wichtig, viel mit Kindern zu reden und Dinge zu benennen», so Zahner. «Alles Weitere kommt von selbst.»
Einst Redaktorin beim «Tages-Anzeiger», später Korrespondentin in Shanghai, schreibt Kristina Reiss heute als freischaffende Journalistin leidenschaftlich über den Mikrokosmos Familie. Dabei interessiert sie sich für alles, was Menschen bewegt – ihre Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen.