Kinder über Glück
Was bedeutet «Glück» für Kinder?
Glück: Alle suchen es wie den heiligen Gral. Aber Kinder wissen, wo es steckt. Man muss sie nur mal fragen, was sie eigentlich glücklich macht.
Wir Erwachsenen kauen schon mal auf harten Rosinen, um glücklich zu werden. Das jedenfalls gilt als der Klassiker unter den Achtsamkeitsübungen, als Königsweg zu bewusstem, glücklichem Erleben. Die sich entfaltende Süsse der Wiibeeri als Symbol für die Süsse des Tages, den man pflücken soll – oder etwas in der Art.
Wer Angst um seine Zähne hat, kann aber genauso gut einen Baum umarmen, Yogakurse besuchen, joggen, Schuhe kaufen oder sich bei Tinder anmelden. All das, wird suggeriert, soll glücklich machen. Denn Glück muss sein.
Nach dem Glück sucht der moderne Mensch emsiger als einst Parzifal nach dem Gral. Ein nur okayes Leben reicht nicht. «Tipptopp » soll es sein. Erfüllt soll es sein. Und möglichst bitte auch noch ein bisschen funkeln, damit ein Foto davon auf Instagram gepostet werden kann. Wie das hinzukriegen ist? Lies eines der 50'000 Glück&Anrainer-Bücher, die Amazon anbietet!
Unsere Kinder sollen glücklich sein
Klar, dass auch unsere Kinder glücklich sein sollen. Müssen. Gefälligst. (Hier direkt zu den Aussagen der Kinder springen, was sie glücklich macht.) Deshalb suchen wir nach den tollsten Krippen, die Frühenglisch ab Geburt anbieten, suchen passende Sportarten, Instrumente, Freunde aus, wälzen abends auf der Couch Erziehungsratgeber, gehen in Europa-Park und Spassbad, schenken zu Weihnachten zu viel und zum Geburtstag noch mehr. Denn Glück ist Pflicht.
Nur: Funktioniert das? Sind Kinder überhaupt so blöd wie wir Erwachsenen, die wir jedes Glücksversprechen glauben?
Seit 1989 ist in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt, dass «eine glückliche Kindheit » das Ziel aller Länder für ihre kleinsten Bewohner sein sollte. Aber wie ist der Weg dahin?
Und wie überhaupt ist der aktuelle Befindlichkeitsstatus der Kinder? Sind sie, wie etwa das Hamburger Abendblatt düster raunt, zu «60 Prozent nervös und unkonzentriert» und zu «37 Prozent traurig und zurückgezogen »? Was – man muss da nicht allzu lange knobeln – gerade mal 3 Prozent leidlich frohe Kinder bedeuten würde…
«Ich bin glücklich»
Spiegelt es die Realität, wenn die Medien 20-mal häufiger, so eine Erhebung des Schweizer Theologen, Pädagogen und Glücksforschers Anton A. Bucher, über Depressionen bei Kindern, Ängste bei Kindern, Auffälligkeiten bei Kindern als über glückliche Kinder berichten?
Oder haben doch eher die Marktforscher* innen von «Icon Kids und Co. recht» mit ihrer Untersuchung an 1239 Jungen und Mädchen zwischen 6 und 13 Jahren? Da nämlich fühlten sich 40, 4 Prozent von ihnen «total glücklich», 44,2 Prozent «glücklich». Und nur 1,4 Prozent «unglücklich». «Unglücklich» fühlten sich die Kinder besonders: beim Zahnarzt (wer nicht?) und bei Krankheit.
Ja, aber was ist jetzt mit dem Leistungsdruck, Stress, den Prüfungsängsten von Kindern, von denen ständig zu lesen und zu hören ist? Drückt sie das nicht nieder, «Iconkids» hin oder her? Doch. Tut es. Allerdings erst ab der Pubertät.
Jeder zweite 6-Jährige nämlich geht «sehr gern» zur Schule. Die anderen «gern» oder «recht gern». Erst mit 13 Jahren, so Anton A. Bucher, sinkt der Anteil derjenigen, die «sehr gerne» zur Schule gehen, auf traurige 13 Prozent. Grund genug, darüber gründlich nachzudenken.
Hüpfen, tanzen, singen
Fakt ist nämlich, dass Kinder von Haus aus auf Glück geeicht sind. Schon im Alter von zwei Jahren können sie zweifelsfrei ein lächelndes Gesicht als «Happy Face» identifizieren. Fröhlich sein, ist eine der ersten Emotionen, die Kleinkinder verstehen; und sie ist die beliebteste.
Vielleicht sind Mädchen und Jungen deshalb solche Adaptionskünstler*innen und lassen – erforschte die amerikanische Psychologieprofessorin Sonja Lyubomirsky – die Lebensumstände nur zu 10 Prozent entscheiden, ob sie ihren Alltag schön oder nicht schön finden. Vielleicht hüpfen und tanzen, spielen und singen deshalb Kinder auch in Bombentrichtern und Flüchtlingslagern, in Plattenbauten genauso wie in Villen mit Personal.
Tja, aber was ist es denn nun, das Kinder glücklich macht? Wie heisst die Zauberformel? Wir haben bei ihnen nachgefragt und so viel sei verraten: Nicht ein Mal war ein neues Game unter den Antworten, weder Smartphone noch Fernreise oder Computer, nie war es Spektakuläres, immer etwas, das es so leicht wäre, zu geben: ein bisschen mehr gemeinsame Zeit mit den Eltern, zusammen ins Hallenbad gehen, gemütliche Stunden mit der Schwester, ein bisschen mehr Vertrauen, Ski fahren, Hotdogs – und kein einziges Mal: eine harte Rosine.
Und was genau macht Kinder glücklich? Wir haben sie gefragt:
Izaaq (10): «Wenn man lange gar nichts getan hat und macht sich dann doch an die Aufgabe dran, dann ist man glücklich, wenn man es endlich hinter sich hat. Das ist wie beim Wandern, wenn man angekommen ist und zum Glück nicht mehr weiterwandern muss.»
Max (8): «Also mich macht es ganz doll glücklich, wenn mir eine Bastelei gelungen ist, die richtig schwierig war. Ich habe mal eine Kastanien-Büchsen-Maschine erfunden. Was die gemacht hat? Eigentlich gar nichts. Nicht mal das geplante Geräusch hat geklappt. Aber das war nicht schlimm. Ich habe das Geräusch einfach mit dem Mund gemacht. Das hat mich sehr glücklich gemacht.»
Silja (12): «Wenn man ein Problem hat und kann darüber sprechen, das macht ein gutes Gefühl. Auch wenn man nicht die Einzige ist, die es hat. Und am besten ist es, wenn das Problem dann weg ist. Mobbing zum Beispiel. Das macht unglücklich.»
Gian-Luca (9): Ich würde gerne mal mit meinen beiden Eltern zusammen ins Hallenbad. Ich war schon mal mit der Mama, aber noch nie mit Papa. Papa kommt abends spät nach Hause. Ich würde gerne mal mit ihm zusammen in so einem schönen alten Auto fahren. Nur wir zwei.»
Laurin (12): «Ich habe unheimlich Freude, wenn ich anderen etwas schenken kann. Ich weiss nicht warum – aber das macht mich noch glücklicher, als selbst etwas zu be kommen.»
Maja (8): «Ich wäre glücklich, wenn meine Mama mehr Zeit für mich hätte. Aber sie muss sehr viel arbeiten. Mein Papa wohnt nicht bei uns. Als ich klein war, vier oder so, durfte ich mal mit zu ihrer Arbeit. Sie macht etwas mit Kunst. Ich durfte ihr sogar helfen. Ich glaube, ich habe etwas abgeputzt. Das hat mich glücklich gemacht. Das war schön. Ich habe nämlich keine Geschwister, da ist mir manchmal langweilig. Wenn ich viel Geld hätte, würde ich meiner Mama etwas schenken. Ich habe sie sehr lieb, deshalb würde mich das glücklich machen.»
Madita (10): «Es würde mich sehr glücklich machen, wenn meine Eltern wenigstens abends mal das Handy weglegen würden. Sie sind beide sehr beschäftigt und immer am Telefon. Bis spät in die Nacht. Ach ja, und es macht mich glücklich, dass ich auch noch Zeit habe, zum Ballett zu gehen. Ich kenne viele Kinder, die nur noch lernen müssen und gar nicht mehr tanzen und spielen können. Das ist doch traurig.»
Max (8): «Sehr froh würde mich machen, wenn Erwachsene nicht ihr eigenes Kinderleben vergessen würden. Tun sie aber. Weil sonst wüssten sie: Kinder sind glücklich, wenn sie Geschenke sofort auspacken können. Aber Erwachsene wollen erst ein Glas Wein trinken. Und dann noch eins. Und man muss ewig warten.»
Silja (12): «Wenn ich nicht immer so viel aufräumen müsste, das wäre reines Glück. Warum darf denn nicht der Boden vollliegen? Gibt es dafür irgendeinen vernünftigen Grund?»
Lukas (6): «Sandburgen bauen und Hotdogs. Das ist Glück.»
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.