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Essay
Wie geht Mama-sein?
Von Nicole Steffen
Was passiert, wenn mit dem Baby nicht sofort rosarote Glücksgefühle aufkommen? Eine Mutter erzählt von ihrem holprigen Start, von Überforderung, Kontrollwahn und Tränen und davon, wie es plötzlich leichter wurde.
Die Geburt deines Kindes macht dich zur Mama. Für dich. Für deinen Partner. Für deine Freunde und für deine Familie. Auch für die Gesellschaft und für deinen Arbeitgeber bist du plötzlich «nur noch» Mama. Doch ich war mit dem Mama-Sein komplett überfordert. Mit der Geburt, den Emotionen, dem Stillen, dem Weinen, der Abhängigkeit und dem Schlafentzug. Mit allem.
Alle wussten besser Bescheid
Die nett gemeinten Ratschläge machten es nur noch schlimmer. Vor allem, weil sich so gar niemand einig war, was denn nun gut für mein Baby sein soll. Die Ärzte widersprachen den Hebammen. Die Hebammen widersprachen den Stillberaterinnen. Und die Stillberaterinnen widersprachen eigentlich allen. Mittendrin ich und meine Tochter. Sie hat viel geschrien und heute weiss ich, dass sie wahrscheinlich vor allem wegen mir geschrien hat. Als wollte sie mir sagen: «Mama, hör einfach auf dich und auf mich. Und blende alle um uns herum aus. Du weisst, was gut für mich ist.»
Und dann die ungefragten Bemerkungen: «Du weisst schon, was dein Kind braucht.» Nein, das wusste ich nicht. Denn ich hatte keine Erfahrung im Mama-Sein. Keine Ausbildung und keine Ahnung, was gut für mein Baby sein soll. Das hat mich fertiggemacht. Denn bis anhin hatte ich mein Leben gut im Griff. Und wenn es mal holprig wurde, hatte ich mir meine Strategien zurechtgelegt, um auf diesen holprigen Pfaden sicher ans Ziel zu kommen. Doch keine dieser Strategien schien mir beim MamaSein zu helfen. Ich war wieder bei meinem 14-jährigen Ich angekommen. Unsicher, überfordert und abhängig vom Aussen. Das war so anstrengend. Und hat den Blick auf dieses unschuldige, süsse, kleine Wesen oft ganz schön getrübt. Denn ich war im Überlebensmodus. Und habe damit mich selbst und auch alle um mich herum in den Wahnsinn getrieben.
Erst Überforderung, dann Kontrolle
Kompensiert habe ich diese Unsicherheit mit der absoluten Kontrolle. Also eigentlich mit dem hoffnungslosen Versuch einer absoluten Kontrolle. Ich habe alles aufgeschrieben, notiert, festgehalten und kontrolliert: die Stillzeiten, die Milchmenge, bis hin zu Grösse, Form und Konsistenz der Ausscheidungen meiner Tochter. Ja, sogar die Schlafenszeiten habe ich protokolliert. Und wehe, etwas war ausserhalb der Norm. Dann fing das Drama wieder von vorne an. Ich hatte keine Sicherheit, keinen Halt, keinen Plan, was als Nächstes kommen sollte. Das war der blanke Horror. Also versuchte ich, diese Unsicherheit zu kompensieren, was das Ganze natürlich noch verschlimmerte. Gleich nach dem ersten Geburtstag meiner Tochter, als ich kurz vor dem Systemkollaps stand, sagte eine gute Freundin zu mir: Du musst loslassen, sonst hast du bald niemanden mehr. Ihre Worte waren ein Stich ins Herz. Ich war wütend, traurig und fand es eine Frechheit, was sie da zu mir sagte. Doch ihre Worte bewirkten etwas in mir. Nämlich, dass ich anfing, mich in meiner Mutterrolle zu verteidigen.
Nicht die coole Mama – na und?
Ich war nicht die coole Mutter, die stillend irgendwo mit ihren Freundinnen im Café sass und einen Flat White trank. Ich war die Mutter, die es bis zum ersten Geburtstag genau einmal geschafft hat, mit ihrer Tochter mit dem öffentlichen Verkehr in die Stadt zu fahren, einen Kaffee zu trinken, um dann schweissgebadet wieder nach Hause zu fahren. Ich war die Mutter, die versuchte, alles absolut perfekt zu machen und nichts, aber auch gar nichts, dem Zufall zu überlassen. Als ich das akzeptiert hatte, begann ich, mich in meiner Mutterrolle zu finden. Nach und nach entspannte sich die Situation. Ich gewann Sicherheit, lernte meine Tochter besser kennen und übte Strategien, wie ich mich in unsicheren Situationen selbst beruhigen konnte. Zu meiner Überraschung, entspannte sich auch meine Tochter. Wir begannen, eine Beziehung zueinander aufzubauen. Fernab von Listen, Protokollen und irgendwelchen Ratgebern oder nett gemeinten Ratschlägen von Experten oder Freundinnen.
Flow gefunden
Ich hatte mich endlich in meiner Mutterrolle gefunden. Und damit auch die Liebe zu meiner Tochter. Endlich sah ich diesen wunder vollen Menschen neben mir. Ihre Leichtig keit, ihre unendliche Liebe, ihre verspielten Augen und ihren schelmischen Blick. Ich sah die Regentropfen auf den Blättern, die klei nen Schnecken an der Mauer und die Amei sen im Gras. Ich sah jede noch so kleine Klei nigkeit mit ihren Augen. Mit Neugier. Mit Begeisterung. Es war magisch. Und wir begannen, gemeinsam in den Tag hineinzuleben. Ohne Plan. Ohne Ziel. Einfach nur wir beide. Es gab Tage, da unternahmen wir grosse Ausflüge. Und es gab Tage, da kamen wir nur bis knapp vor die Tür. Meistens waren die Tage, ohne Programm und ohne Ziel die schönsten. Weil nur wir zwei waren. Mit scheinbar unendlich viel Zeit. Die Schläfchen wurden immer weniger und damit die Frei Hormone im Ausnahmezustand heiten, den Tag in unserem Flow zu erleben, grösser. Heute schätzen wir den Mittagsschlaf beide. Denn meistens schlafe ich mit ihr im Bett ein.
Auch das ist mittlerweile purer Luxus. Ich muss nichts tun. Nichts überlegen. Nichts erledigen. Ich kann nur eingekuschelt neben meiner Tochter schlafen. Und wenn sie nicht zwei Stunden Mittagsschlaf macht, geht die Welt nicht unter. Nicht ihre. Nicht meine. Ich habe gelernt, mit dem Flow zu gehen und die Umstände so anzunehmen, wie sie gerade sind. Ich bin immer noch keine super ent spannte, coole Mama. Aber ich habe gelernt, jeden noch so kleinen Moment mit ihr zu ge niessen. Im Nachhinein hätte ich mir ge wünscht, jemand hätte mir ehrlich erzählt, wie MamaSein auch sein kann. Nicht, weil ich dann besser vorbereitet gewesen wäre. Oder gewusst hätte, was auf mich zukommen wird. Nein, das hätte ich nicht. Aber ich hätte neben diesem Bild einer zufriedenen, glück lichen, stillenden, alleskönnenden Mutter noch ein anderes Bild gehabt. Ein Bild einer müden, überforderten, traurigen Mama. Das hätte mir etwas vom Druck, von der Unsicher heit und Überforderung genommen, weil ich gewusst hätte, dass das auch «normal» ist und ich nicht die Einzige damit bin.
Hormone im Ausnahmezustand
«Eine Schwangerschaft ist eine einzigartige Leistung des weiblichen Körpers», sagt Pascal Martin, Gynäkologe in Wohlen. Hormone wie Östrogene und Progesteron steigen in dieser Zeit massiv an – nach der Geburt fallen sie abrupt ab. Diese Umstellungen können Stimmungsschwankungen oder das bekannte «Baby Blues»-Gefühl auslösen. Wie stark eine Frau das erlebt, hängt von Stress, Persönlichkeit und Unterstützung ab. Meist reguliert sich der Körper von selbst. In manchen Fällen braucht es jedoch ärztliche oder psychologische Hilfe – etwa bei einer postpartalen Depression.
