Reto Hunziker
Begegnung
Sorgen machen? Bringt nichts.
Der Schweizer Schriftsteller Thomas Meyer und sein 13-jähriger Sohn Levi sprechen über Ängste, Hoffnung und darüber, warum man sich nicht dauernd vom Weltgeschehen herunterziehen lassen sollte.
Es hätte ein Text über Sorgen werden sollen. Nun wird es halt einer über Hoffnung.
Krieg, Optimierungswahn, Klima, Social Media, Leistung, Andrew Tate, Diskriminierung, psychische Probleme, Antisemitismus. Diese Stichworte hatte ich mir als Vorbereitung auf das Gespräch mit Schriftsteller Thomas Meyer und seinem Sohn Levi notiert. Die Fragen dazu: Was bereitet euch Sorgen? Und wie bleibt ihr darob zuversichtlich? Eine konkrete Vorstellung, wie die Begegnung werden würde, hatte ich nicht. Es kam trotzdem ganz anders.
Warum diese Frage und warum ausgerechnet Thomas Meyer und sein Sohn Levi? Nun, ich verfolge das Weltgeschehen mit zunehmender Besorgnis. Dachte ich nach der Corona-Pandemie noch, es wäre nur folgerichtig, wenn nun alle zur Vernunft kämen, wurde ich in der Zwischenzeit vom Gegenteil überzeugt. Immer wieder. Und nochmals. Ich frage mich: Wenn ich mich vom Weltgeschehen überfordert fühle und deswegen Zukunftsängste habe, wie ist es dann für Jugendliche? Und Eltern von Jugendlichen? So kam mir der Gedanke, den Schriftsteller Thomas Meyer anzufragen, von dem ich weiss, dass er einen Sohn hat. Wir hatten schon ein paar Mal miteinander zu tun und mir gefiel stets seine klare Haltung. Also: angefragt, bestätigt und kurz darauf in Zürich Wiedikon besucht.
Das heisst, es gab eine Verzögerung. Den ersten Termin sagte Meyer ab. Er und Levi seien vorgeladen worden, weil Levi sich eine Spielzeugpistole im Internet bestellt habe, die wohl echter aussieht als erlaubt. Oh, ein Rebell, dachte ich. Auch hier sollte ich mich täuschen.
Wir sitzen in der Küche: Thomas Meyer, der jedes Mal, wenn ich ihn in persona oder auf einem Bild sehe, wieder mehr Tattoos zu haben scheint. Levi Meyer, 13 Jahre alt, dem der körperliche Wachstumsschub noch bevorsteht und der viel interessierter ist an diesem Dialog, als ich angenommen habe.
«Was willst du wissen?», fragt Thomas Meyer und ich merke, so genau weiss ich das selbst nicht. «Ich möchte einfach mit euch über eure Sorgen sprechen», sage ich, «darum: Was beschäftigt euch und wie geht ihr mit Zukunftsängsten um?»

Levis Blick auf seine Generation
Ich schaue Levi erwartungsvoll an. Für die meisten seiner Altersgenossen sei es das Wichtigste, sportlich zu sein, sagt er. «Was sie blöd finden, bezeichnen sie als ‘schwul’. Viele machen sexistische und rassistische Witze.» Ich denke: Das war doch schon in meiner Jungend so – sind wir jetzt nicht weiter? Levi, der für Offenheit und Gleichberechtigung ist, sagt, er habe es aufgegeben, sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Er sorgt sich um seine Generation – «komische Werte, Angst vor Veränderung, nicht empfänglich für Sensibilisierung» –, sieht sich aber auf verlorenem Posten. Ansonsten mache er sich Gedanken um Prüfungen, Deadlines oder Noten. «Obwohl ich ja bereits gute Noten habe.» Er wisse, dass das Overthinking sei. Auch hier habe ich ein Flashback und erzähle ihm, dass ich selbst einen Grossteil meiner Jugend mit der Jagd nach guten Noten zubrachte. Rückblickend hätte ich mir mehr Gelassenheit erlauben dürfen.
Dann sagt Levi: «Es ergibt keinen Sinn, sich stetig zu sorgen oder sich in negativen Gedanken zu verlieren.» Während er erklärt, wie man so in eine destruktive Spirale kommen und sich selbst damit schaden kann, frage ich mich, warum mir genau das erst in den letzten Jahren bewusst wurde. Erstaunlich, wie bedacht und entschieden sich der 13-Jährige ausdrückt – als hätte man einen Erwachsenen im Körper eines Kindes vor sich.
Über Sorgen, die nie eintreffen
Thomas Meyer erzählt, dass sich sein Vater immer viele Sorgen gemacht habe. «Dass das Geld nicht reichen könnte, dass jemand einen Unfall haben könnte. Es war immer unbegründet», so Meyer, «das allermeiste, worum wir uns Sorgen machen, wird niemals eintreffen.» Im Prinzip seien Sorgen ja die Mühe damit, zu akzeptieren, dass man etwas nicht unter Kontrolle habe. Ich nicke. Darum findet Meyer auch Gespräche über Putin oder Trump überflüssig: «Wir haben ja keinen Einfluss auf ihr Verhalten.» Ich nicke nicht. Ich finde es spannend, über internationale Politik zu sprechen, obwohl ich mir nicht einbilde, viel bewirken zu können.
«Für Levis Zukunft bin ich zuversichtlich», sagt Thomas. «Immerhin lebt er in der Schweiz, ist gesund und smart.» Er macht sich eher Sorgen um den Handy-Konsum: «Ich sehe Leute, die sich und andere nicht mehr spüren, keine Rücksicht mehr nehmen und sich sagen ‘ich mache, was ich will’.» Meyer spricht von einem Neo-Nihilismus, welcher auch die sozialen Medien begünstigen. «Es findet eine Desensibilisierung statt, die Menschen sind desinteressiert, zuhören ist unpopulär geworden.» «Aber Papi», wirft Levi ein, «du hast Reto aber jetzt auch schon, ein, zwei Mal unterbrochen.» Ich schmunzle und sage, dass das schon in Ordnung gehe, weil ich ja vor allem vorbeigekommen sei, um ihnen beiden zuzuhören.

Ohne Whatsapp – aus Prinzip
Wie sieht es denn bei Levi mit dem Handy aus? Er hat eine begrenzte Bildschirmzeit, gewisse Inhalte sind geblockt, um 20.30 Uhr sind die Geräte auszuschalten, auch Whatsapp hat er nicht. Zum Personendatensammeln der Tech-Konzerne haben die beiden eine klare Linie: nicht mit uns!
Wir sprechen darüber, dass es auf Social Media gang und gäbe ist, Stellung zu beziehen, etwa zum Nahost-Konflikt. Selbst wenn man kaum einen Bezug oder viel Ahnung hat. Meyer, der sich in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger schon dazu geäussert hat, schüttelt den Kopf: «Das ist kein Fussballspiel, bei dem ich entscheiden muss, für wen ich bin.» Wir sind uns einig: Manchmal ist es besser, zu sagen «das kann ich nicht einschätzen» als eine unfundierte Meinung hinauszuposaunen.
Das führt uns direkt zur grösseren Frage: Muss ich überhaupt ständig über alles Bescheid wissen?
Thomas Meyer findet: nein. «Warum immer informiert sein?» fragt er, «du machst die Welt ja nicht besser, indem du möglichst viele Informationen entgegennimmst und deswegen besorgt bist.» Er habe zum Beispiel bei seiner Mutter gesehen, wie sie das «Doomscrolling», also das exzessive Scrollen und sich Verlieren in Beiträgen, nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 nur noch weiter runterzog.
Der Planet explodiert – oder auch nicht
Wir sprechen auch über den Klimawandel: «Das Gefühl, der Planet explodiere, ist schon alt.» (Vater). «Es hat leider keine Vorteile, das Klima zu schützen.» (Sohn). «Die Kriege machen es auch nicht besser.» (Vater). «Ich mache alles, was ich kann.» (Sohn) «Es wird uns hart treffen.» (Vater).
Nach einer Weile resümiere ich augenzwinkernd: Wir finden uns also vorwiegend vernünftig und die Hölle sind die anderen, die destruktiv und töricht handeln sowie unempfänglich sind für Ratschläge. Wie gehen wir mit dieser Ohnmacht um? «Stöpsel in die Ohren», sagt Thomas Meyer. Und auch Levi bleibt nichts anderes als Resignation. Schade eigentlich, denn Mühe, die Perspektive anderer zu sehen, kann ich bei beiden nicht feststellen.
Wir beenden den offiziellen Teil und gehen zum Foto-Shooting über. Ich skizziere meine Bild-Motive, da Levi nicht mit dem Gesicht zu sehen sein soll. Levi selbst hat dabei eine zündende Idee: «Ich könnte ja auf Papis Schultern sitzen…»
Wir gehen hinunter zu Thomas’ Vespa hinter dem Haus, nehmen gleich den Abfall mit (Thomas erklärt, dass sie, da sie rezyklieren, kaum Hauskehricht haben) und testen die verschiedenen Möglichkeiten aus. Meyer senior führt aus, warum er seit November 2024 Reallehrer ist («Kinder sind das bessere Publikum») und dass ihm der kürzliche Aufstand der spanischen Bevölkerung gegen die Touristen gefällt.
Ein Quäntchen Vertrauen
Wir springen von einem Thema zum nächsten. Über nicht mehr rekonstruierbare Wege kommt das Gespräch auf die heilige Vorhaut. Levi führt kichernd aus, wie er in einem christlichen Magazin gelesen habe, dass sich die Vorhaut Jesu auch am Himmel manifestiere, in Saturns Ring. «Du bist also eher Atheist?» frage ich. «Ich glaube ich bin Anti-Christ», entgegnet er und ich muss lachen.
Dann fährt der Lieferant mit dem Essen heran, das sie sich bestellt haben, und ich verabschiede mich. Die beiden haben ausgemacht, gemeinsam die kuriose Zeichentrickserie «Rick & Morty» zu schauen. Ich beneide sie ein wenig dafür, dass sie damit erst am Anfang stehen und mache mich mit einem Gefühl der Verbundenheit auf den Heimweg.
Im Nachhinein ist es mir nicht ganz recht, aus diesem Austausch einen Text zu verfassen, auch wenn das von Anfang an meine Absicht war. Wäre ja irgendwie auch schön, wenn das einfach so hätte passieren können, ohne Ziel, denke ich mir. Nach Sorgen gesucht, ein Quäntchen Hoffnung gefunden und auch ein bisschen Vertrauen in die Menschheit (oder zumindest einen Teil davon) zurückgewonnen – es bräuchte mehr solcher Begegnungen.
Thomas Meyer, 51, wurde mit dem Bestseller «Wolkenbruchs wunderliche
Reise in die Arme einer Schickse» und dem Ratgeber «Trennt euch!» bekannt. Einige Jahre arbeitete er als Trennungscoach. Heute ist er Reallehrer und lebt mit seinem 13-jährigen Sohn Levi in Zürich.