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Gesellschaft
Von Hexenbesen und der Kraft von Fruchfliegen
Magie liegt im Trend. Und wenn aus Menschen Eltern werden, dann gibt es in Sachen Übersinnliches erst recht kein Halten mehr. Doch warum? Und weshalb sind Mütter besonders anfällig? Eine zauberhafte Spurensuche mit Hindernissen.
Es ist wirklich wie verhext: Dieser blöde Besen hat mein Auto verschmiert, statt es überflüssig zu machen ! Und, wenn ich ehrlich bin, sieht das struppige Ding auch nicht aus, als würde es in absehbarer Zeit irgendwelche Anstalten machen zu fliegen, sondern steht dumm rum. Und tropft. Wieder mal 160 Franken versenkt: für die Kosten des «Hexenbesen binden»-Kurses, den ich hier im tiefsten Aargau besucht habe. Aber – nasse Besenstielfarbe hin, Autositze her – erstmal von vorn.
Vielleicht muss ich vorwegschicken: Ich bin wenig feinstofflich veranlagt. Bäume lasse ich ohne jeden Drang, sie zu umarmen, vor sich hinwachsen. Umhüllt mich urplötzlich ein strahlend Licht, ist es nur wieder der Bewegungsmelder im Garten. Meine toten Ahnen haben sich bislang als geradezu verstockt wortkarg erwiesen. Und eine Wahrsagerin hat mich mal als «zu wenig schwingungsintensiv» aus ihrem Wohnwagen geschmissen. Soweit die beschämende Bilanz. Denn: Irgendwie wurmt das. Man fühlt sich, als stünde man mit Wasser in den Beinen und holländischen Holzschuhen an den geschwollenen Füssen inmitten einer tänzelnden Ballettklasse. Wer will das schon. Niemand. Vor allem deshalb nicht, weil man so einsam ist mit seinem prosaischen Gemüt. Denn kaum, dass aus Menschen Eltern werden, wuchert das Übersinnliche. Da kriegen Babys Bernsteinketten umgehängt, auf dass die Zähne schmerzfrei durchbrechen, die dann Jahre später die Zahnfee wieder abholt. Globuli werden verfüttert, Schutzengel verschenkt und «Krafttiere» aus Plüsch genau dahin ans Kopfende des Kinderbettchens gesetzt, wo bei meinem eigenen Töchterchen lediglich ein kraftloser Teddy hockte. Obwohl ... seit der Krafttier-Recherche bin ich nicht mehr sicher, ob ich nicht doch auch ein spirituelles Krafttier habe: die Fruchtfliege. Denn die Fruchtfliege, von der ich bis vor wenigen Tagen nicht mal wusste, dass sie Krafttier statt lästig ist, ist in meiner Küche häufiger in grösseren Gruppen anzutreffen. Vor allem wenn die Birnen in der Obstschale matschen. Diese Fruchtfliege jedenfalls, finde ich auf der Homepage von Krafttier-Fachkraft Kathrin Sieder, will mir sagen: «Deine Sprache ist klar und direkt. Ruhe dich aus, du hast es verdient.» Ausruhen, das klingt doch sehr schön. Aber eben auch: klare und direkte Sprache.
Erzählungen, Bräuche, Kulturgut
Daher also hier – klare und direkte Zahlen und Fakten: Der Anteil abergläubischer Menschen hat sich, gemäss Allensbach-Institut, seit den Siebzigerjahren mehr als verdoppelt. Weitere Studien fanden heraus: 40 Prozent der Menschen denken, Astrologie verfolge einen wissenschaftlichen Ansatz, 28 Prozent sind überzeugt, ihr Sternzeichen habe einen Einfluss auf den Verlauf ihres Lebens. Der Umsatz mit esoterischen Utensilien von Salzkristall-Lampen und Aura-Sprays über energetisierende Steine, Tarotkarten und Chakra-Öl bis hin zur Duftkerze «Einatmen, Ausatmen» wird allein in Deutschland – für die Schweiz fehlen Zahlen – auf 20 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Ihre spirituelle Nase ganz klar vorn in Sachen Wunderliches haben: Frauen. 62 Prozent der Schweizerinnen (Männer: 46 Prozent) glauben – laut einer Bevölkerungsbefragung des Bundesamtes für Statistik – an höhere Mächte, die unser Schicksal beeinflussen. 56 Prozent daran, dass es Menschen mit hellseherischen Kräften gibt (Männer: 42). Mehr als jede zweite geht von der Existenz von Engeln aus (Männer: 16 Prozent). Und völlig unwissenschaftlich – was in diesem Kontext hier aber für einmal gar kein Problem ist – sei vermutet, dass die Zahlen bei Müttern, deren Herz – möglicherweise hormon-, geburts- und kindbedingt – oftmals besonders mürbe ist, noch um ein Vielfaches höher liegen. Jemand muss schliesslich hinter den Millionen Aufrufen stecken, die sich bei TikTok unter dem Hashtag «witchcraft» Hexen- Videos ansehen, beim Onlineshop «Etsy» das «Family Protection Ritual samt Harmoniezauber» für 327.35 Franken kaufen oder sich doch zumindest ein kostengünstigeres Säckchen «Family Protection Scrub» gönnen – das «leistungsfähige Familienschutz-Peeling, das die Familie vor bösen Angriffen des Feindes schützt» – für 66.95 Franken. Ganz intuitiv sei hier mal vermutet: Die meisten Aufrufer und Käufer sind Aufruferinnen und Käuferinnen. Weiss ich doch aus eigener Erfahrung, dass ein Mann mit dem Begriff «Scrub» für gewöhnlich wenig anfangen kann und sich mit dem in der Dusche herumstehenden – und nicht ganz billigen – Produkt ungerührt die Haare wäscht, um anschliessend auch noch über das sandige Gefühl auf dem Kopf zu klagen.
Horoskope und geschenkte Engelchen
Doch zurück zur Vermutung: Warum sind es in der Mehrheit Frauen, die sich von Übersinnlichem magisch angezogen fühlen? Trägt es Früchte, wie Pia Lamberty und Katharina Nocun in ihrem Buch «Gefährlicher Glaube – die radikale Gedankenwelt der Esoterik» schreiben, dass schon Mädchen mystischer als Jungen sozialisiert werden? Durch Horoskope in Mädchen- oder Frauenzeitschriften, geschenkte Engelchen und Göttinnen-Videos auf TikTok? Wird ihnen die Liebe zum Hokuspokus beigebracht oder sind sie von Haus aus Magie-affiner? Und: Muss sehr dringend an seiner femininen Sensibilität arbeiten, wer, wie ich, eine Freundin, die gerade 150 Franken für eine Bioresonanztherapie hingeblättert hat, auf Studien hinweist, die belegen, dass Bioresonanzgeräte keinen Unterschied finden zwischen Mensch und Fleischkäse? «Ach was, machen Sie sich keine Sorgen. Ich gehöre auch zu den nüchtern denkenden Frauen», lacht Christine Mohr, Professorin für Kognitive Psychologie mit dem Forschungsschwerpunkt paranormaler Glaube an der Universität Lausanne. «Aber es ist eine bekannte Tatsache, dass Frauen sich allgemein eher zu Spirituellem, Esoterischem und Okkultem hingezogen fühlen.» Auch die Beobachtung, dass Mütter dem Mystischen besonders zugetan sind, liesse sich erklären. Zum einen sei manches ja einfach ein nettes Ritual, das Mütter von ihren Müttern wieder an die eigenen Kinder weitergeben: Pusten, wenn das Kind das Knie aufgeschlagen hat, die Geschichte von den Guetsli backenden Engelchen bei rotem Winterhimmel, die spendable Zahnfee ... Das, so Mohr, seien einfach zauberhafte Erzählungen, Bräuche, Kulturgut, nicht etwas, an das man wirklich glaube. Ausserdem könne ja ein bisschen Pusten schon aufgrund des PlaceboEffektes sehr tröstlich sein.
Christine Mohr, Professorin für Kognitive Psychologie
Maximales Gefühl, minimale Kontrolle
Aber dann ist da noch das Gehirn des Menschen. Und das sei, erklärt Mohr, von Haus aus ein bisschen auf Wundersames geeicht. «Das Gehirn von uns Menschen ist dafür gemacht, Verbindungen zu sehen, Muster, Zusammenhänge und Kausalitäten zu erkennen», erklärt Christine Mohr: «Und das tut es. Immer. Auch da, wo keine sind.» Regentänze beruhen auf diesem Prinzip. Die Angst vor schwarzen Katzen («Schwarze Katze von links nach rechts, bringt was Schlechts») beruht darauf, der Glücksbringer in der Tasche und der Glaube, es müsse Schicksal sein, wenn jemand anruft, an den man gerade gedacht hat. Ausserdem, erklärt Mohr weiter, benötige die menschliche Psyche vor allem zweierlei: Sinn hinter emotional wichtigen Ereignissen. Und – die Möglichkeit, Einfluss aufs eigene Leben zu nehmen. Was der Mensch gar nicht erträgt, ist Kontrollverlust. Deshalb, vermutet Mohr, seien Mütter vielleicht besonders Magie-affin. Denn was sei die perfekte Kombination aus maximalem Gefühl bei minimaler Kontrolle? Das eigene Kind. Wie bloss soll man es 24/7 schützen? Vor Strassenverkehr, Mathearbeiten, bösen Menschen, Hunden und Mitschülern? Was tun gegen Babys Weinen? Gegen schlechte Träume? Wutanfälle und Schmerzen beim Zahnen? Und wie dafür sorgen, dass dieses Kind doch bitte glücklich wird? Beten, hiess noch in den Siebzigerjahren bei 95 Prozent der Schweizer Bevölkerung die Antwort. 50 Jahre später hat sich die Bedeutung der klassischen Religionen halbiert, Beten ist selten geworden. Das spirituelle Bedürfnis bleibt. «Ausserdem sind Frauen gegenüber neuen Erfahrungen offener», ergänzt Christine Mohr. «Vor allem sind sie weniger empfindlich als Männer, wenn andere ihr Tun lächerlich finden.» Das leuchtet mir jetzt spontan ein. Männer rennen ja nicht mal der Tram hinterher – geschweige denn binden sie Hexenbesen.
Oregano und die Poesie des Lebens
Wir 13 ( ! ) Frauen hier sind diesbezüglich schmerzfrei. Brav aufgereiht sitzen wir da und ruckeln mit Gartenhandschuhen unsere borstigen Reisigbüschel über den Besenstiel aus Esche. Esche deshalb, weil die Esche schon Illustrationen: Shutterstock bei den alten Kelten als das Holz galt, was – wie auch immer – eine Verbindung zur Anderswelt herstellt. So ein Besen, lernen wir, sei jedenfalls überaus praktisch und vielseitig verwendbar: Er könne einen Altar zieren, negative Energien wegschrubben, in der Küche herumstehend für eine Schwangerschaft sorgen oder er eigne sich auch dazu, den Geist Verstorbener aus der Wohnung zu fegen. Wie Deine Krankenkasse ist chronisch zu teuer. Studien belegen: Jedes Jahr könntest du über 1000 Franken sparen. Ohne Leistungsverlust. Farn fürs unsichtbare Fliegen, gegen Rückenschmerzen und um die grosse Liebe herbeizubringen, falls man gerade nicht unsichtbar ist. Rosmarin für die Treue, des per Salbei erotisierten Geliebten. Oregano, um die Wirkung der anderen Kräuter zu verstärken und Kobolde fernzuhalten. Und Sommerflieder für eine erleuchtete Kommunikation mit Tieren. jetzt? Schwanger und Verstorbene? Kein Wort von fliegen ! CO2-frei und ohne jeden ökologischen Fussabdruck. Doch leider: nichts. Später erfahren wir zwar, dass Farn, bindet man ihn an den Besen, für unsichtbares Fliegen sorge. Aber Startmanöver, Wenden in drei Zügen, einparken, bremsen mit Besen: Fehlanzeige. Überhaupt, sagt unsere Leiterin und Chef-Hexe, sei vieles rund um die Besenstiele und den darauf reitenden, oft verführerischen, langhaarigen Hexen eher sehr platter Symbolik und schlüpfriger Männerfantasie entsprungen. Das ist nun enttäuschend. Jetzt wird unser Besen bemalt und mit Kräutern verziert. Mit Lorbeer, um die Intuition zu stärken. Salbei für die aphrodisierende Wirkung. Was soll ich sagen: Trotz des ins Auto gequetschten, platzraubenden Besens bin ich zwar mit farbverschmierten Sitzen, doch ohne Rückenschmerzen (Farn!) zu Hause angekommen. Alle Kobolde haben sich, seit der Besen in unserem Garten steht, komplett ferngehalten (Oregano!). Die Katze sieht jetzt beim Kratzen an den Möbeln wenigstens schuldbewusst aus (Sommerflieder!). Und ganz intuitiv (Lorbeer ! ) weiss ich, dass mein Mann (Farn! Salbei ! Rosmarin! ) davon ausgeht, ich hätte einen massiven Knall von dem Kurs mitgebracht. Aber wie sagte schon Goethe: «Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens.» Und hübsch sieht er neben unserer Haustür irgendwie doch aus, der neue Hexenbesen: flugunfähig, doch poetisch – und ein bisschen magisch.
