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Kurz gefragt
«Mut ist der Öffner schlechthin. Für alles.»
Durch Sport können Kinder jede Menge lernen. Weit über das Körperliche hinaus. Ein Gespräch mit Olympiasiegerin Tanja Frieden über Glück, Ehrgeiz und falsche Glaubenssätze.
Frau Frieden, Sie sind Olympiasiegerin im Snowboarden, doch Ihr Sohn fährt ausschliesslich Ski. Wurmt Sie das nicht ein bisschen?
Ach was. Manchmal wundere ich mich zwar darüber, etwa wenn fremde Kinder mich auf der Piste fragen, ob ich ihnen nicht einen Trick beibringen könnte, er aber partout bei seinen Ski bleiben will. Aber viel wichtiger, als ihm meine Sportart nahezubringen, war es mir, in ihm die Liebe zum Schnee zu wecken. Und: die Liebe zur Natur. Diesbezüglich bin ich wirklich invasiv. Ich denke, Kinder brauchen unbedingt Natur, um glücklich und gesund aufzuwachsen. Und natürlich ist Bewegung essenziell.
Dass er auch mal Spitzensportler wird, ist Ihnen nicht wichtig?
Nein. Es gibt Breitensport, Leistungssport und Spitzensport. Spitzensportler müssen zu 100 Prozent intrinsisch motiviert sein, das Ganze von sich heraus wollen, sonst wird das nichts. Anders als früher denke ich heute auch: Alle Extreme, die wir tun, sind nicht sonderlich gesund. Ich selbst hatte viele gesundheitliche Probleme aufgrund des Spitzensports. Aber ich habe durch ihn auch unvergesslich glückliche Momente erlebt und unglaublich viel gelernt.
Was lernt man denn durch Sport? Beziehungsweise: Was können Kinder durch Sport lernen – ausser der jeweiligen Sportart natürlich?
Sehr viel. Man lernt beispielsweise seine Grenzen kennen. Und man merkt, dass man diese Grenzen verschieben kann. Ausserdem sind Sportler:innen eher angstfrei, Fehler zu machen und zu verlieren, das ist einfach Part of the Game. Auch Rückschläge wegstecken zu können, ist Part of the Game. Ich lerne beispielsweise gerade Tennisspielen, zusammen mit zwei anderen Frauen in meinem Alter. Die anderen beiden haben ständig Angst, dass ihr Aufschlag ausserhalb des Feldes landet. Meiner landet auch ausserhalb des Feldes, aber ich versuche vor allem, in den Flow der Bewegung zu kommen, und weiss: Der Bewegungsflow ist das Wichtigste. Der Rest kommt mit der Zeit. Irgendwann landet auch mein Ball im Feld. Ich denke, gute Sportler und Sportlerinnen haben den Mut, etwas falsch zu machen. Mut ist der Öffner schlechthin. Für alles.
Eltern können es irgendwie in Sachen Leistungssport nur falsch machen. Entweder fördern sie das Talent des Kindes nicht ausreichend oder sie werden als überehrgeizige «Eislaufmutti» verunglimpft.
Ja, es ist nicht leicht. Mein Sohn bewegt sich sehr gern und er ist ehrgeizig. Er will gewinnen. Beispielsweise wollte er unbedingt beim «schnellster Thuner»-Lauf eine Medaille bekommen. Obwohl meine Medaillen nicht zu Hause an der Wand hängen. Ein grosser Fehler von Eltern, denke ich, ist dieser Satz: «Wenn du etwas anfängst, dann zieh es auch durch.»
Ach, der klingt doch eigentlich ganz vernünftig...
Aber so sind nicht alle Kinder gestrickt! So sind nicht alle Menschen. Manche sind eher wie Bienen und fliegen fröhlich von einer Blüte zur nächsten. Das ist auch okay. Ich führe ja heute die «Friedens Academy», einen Ort für Energie-Coaching und persönliche Transformation. Dieser Glaubenssatz, Begonnenes durchziehen zu müssen, sorgt für viel Leid. Manche meinen, dieses Durchziehen, was sie einst als Kind gelernt haben, auch noch als Erwachsene um jeden Preis praktizieren zu müssen. Das darf man getrost lassen.
Aber wie erkennt man denn, ob das Kind auf sein Hobby wirklich keine Lust mehr hat oder ob es nur eine Durststrecke hat?
Durststrecken gibt es wirklich immer, das stimmt. Ich denke, gut wäre, es einfach zu fragen, statt eine Lösung zu präsentieren. «Erzähl mal» ist immer ein guter Auftakt. Vielleicht stimmt etwas in der Gruppe nicht, vielleicht wird es dem Kind zu viel. Ich kenne Kinder in der Primarschule, die haben drei, vier, fünf Hobbys. Das ist verrückt, reiner Stress. Mein Sohn sagt manchmal: «Heute will ich nur spielen», das ist doch okay. Und manchmal wollen Kinder etwas aus Gründen abbrechen, auf die kommt man nicht. Mein Sohn hatte keine Lust mehr aufs Flötespielen. Warum? Weil der Flötenunterricht morgens um sieben in der Schule angefangen hat. Das war ihm zu früh. Vielleicht ist es ein guter Weg, mit dem Kind auszuhandeln: Mach es noch ein halbes Jahr und wenn du dann wirklich nicht mehr magst, ist es wohl eher nicht dein Ding.
Sie selbst sind vermutlich ehrgeizig und perfektionistisch, sonst hätten Sie es nicht zu olympischem Gold gebracht. Sind sie auch als Mutter so?
Ich glaube, jede Mutter will die Supermutter sein. Und ich bin wirklich leidenschaftlich gerne Mama. Klar ist es schwierig, mit der eigenen Firma und der Familie den Spagat zu schaffen, daneben hat nicht mehr viel Platz. Aber ich habe klare Prioritäten gesetzt. Mein Sohn ist neun Jahre alt. Ich geniesse die Zeit, in der er noch viel mit mir machen will. Aber diese hohen Erwartungen an sich selbst sind oft Folge unbekannter Solidaritätsverträge mit den eigenen Eltern.
Was soll das bedeuten?
Man glaubt, etwas tun zu müssen, weil die Erwartungen und Regeln der eigenen Eltern aus der Kindheit noch im Kopf herumspuken. Ich sage meinen Klienten und Klientinnen dann immer: Lasst es frei, klärt euer Feld. Dafür gibt es extrem nützliche Tools, die man in meiner Friedens Academy lernen kann.
Tanja Frieden, 49, gewann 2006 olympisches Gold im Snowboarden. Heute arbeitet sie als Energy Coach, leitet die Friedens Academy und ist Mutter eines Neunjährigen. Sie lebt in Thun.