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Entwicklungsstufen
Ran ans Ämtli!
Kinder sollen zu Hause mithelfen, wenigstens ein bisschen. Das finden viele Eltern. Aber wie bringt man ein Kleinkind dazu, aufzuräumen? Wie gelingt es, dass ein Erstklässler sein Ämtli auch nach zwei Wochen noch erledigt? Und haben Eltern im Zimmer einer Teenagerin überhaupt noch etwas zu sagen?
3 Jahre:
Lina liebt Konstruieren. Sie baut Hütten aus Stühlen und Bettlaken, Bauernhöfe aus Karton und Türme aus Holzklötzen. Beim Aufräumen ist es etwas anders. Lina hat «kei Luscht» und will nicht mithelfen.
Dass Lina keine Lust hat, mitzuhelfen, ist völlig altersgerecht – aus verschiedenen Gründen. Erstens steckt sie in der Autonomiephase. Diese sorgt dafür, dass die Dreijährige am liebsten selbst entscheidet, was sie tut und was nicht. Zweitens bedeutet Aufräumen für Lina, dass ihr Spiel zu Ende geht, was sie traurig macht oder frustriert. Und schliesslich versteht Lina den Unterschied zwischen Ordnung und Unordnung nicht wirklich. «Kleine Kinder haben noch kein ausgeprägtes Verständnis für Ordnung. Sie wissen beim Aufräumen oft nicht, wo sie anfangen sollen oder warum es überhaupt notwendig ist», erklärt Bettina Flory-Güntert, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Fachverbands Mütter- und Väterberatung. Das heisst jedoch nicht, dass Linas Eltern alles in Ordnung bringen müssen. Laut der Expertin können Kinder ab drei Jahren durchaus mithelfen. Damit das gut klappt, können ein paar Punkte hilfreich sein. Die Aufgabe sollte nicht zu lange dauern, fünf bis zehn Minuten sind ideal. Die Kinder brauchen eine Anleitung sowie Begleitung. Und: Das Ganze sollte Spass machen.
«Eltern können das Aufräumen als Teil des Spiels kommunizieren, als eine Art Abschlussritual oder Pflege der Spielsachen», erklärt Flory-Güntert. Man könne beispielsweise die Plüschtiere gemeinsam «ins Bett bringen» oder die Klötze nach Farben sortieren. Auch ein Aufräumlied oder ein Wecker zur Begrenzung der Dauer und ein Aufräumplan des Kindes – wir machen so lange, bis alle Holzklötze in der Kiste sind – können motivieren. Hilfreich sind ausserdem klare Rituale und Strukturen. Lina und ihre Eltern einigen sich auf folgendes Vorgehen: Immer vor dem Essen räumen sie gemeinsam die «Baumaterialien ins Lager», so lange, bis der Wecker klingelt. Zwar räumen Linas Eltern noch immer einen Teil der Dinge ohne ihre Tochter auf, aber Lina hat inzwischen Spass am Mithelfen. Ein gewünschter Effekt, wie Flory-Güntert ausführt: «Beim Aufräumen mit Kindern in diesem Alter geht es nicht um Perfektion, sondern um das Einüben von Selbstwirksamkeit und Verantwortung. Kinder sollen erleben: Ich kann etwas beitragen, und mein Tun hat Wirkung.»
Mithelfen als Kleinkind
• Erwartungen runterschrauben: Kinder helfen gerne mit, wenn es spielerisch stattfindet und sie es als gemeinsame Zeit mit den Eltern wahrnehmen. Da Dreijährige noch kein Verständnis für Ordnung haben, darf man nicht erwarten, dass sie vollständig alleine aufräumen oder gar langfristig Ordnung halten können.
• Routinen sind auch beim Aufräumen hilfreich: Feste Zeiten am Tag und Dinge wie ein Aufräumlied geben Kindern Orientierung. Durch die Wiederholung wird das Aufräumen zu einem Ritual.
• Kindgerechte Ordnung: Damit Kinder möglichst viel selbst erledigen können, ist es wichtig, dass sie das Ordnungssystem kennen. Helfen können dabei beispielsweise feste Plätze für Spielsachen, ein Plan oder Kisten mit Symbolen.
6 Jahre
Seit Kurzem hat Emil ein Ämtli: Er deckt vor dem Abendessen den Tisch für die Familie. Eine Woche tut er das gewissenhaft, dann lässt die Motivation nach. Seine Eltern müssen ihn ständig an seine Aufgabe erinnern.
Kindern geht es nicht anders als uns Erwachsenen: Eine neue Aufgabe ist zu Beginn spannend, nachdem man sie einige Male gemacht hat, verliert sie an Reiz. Als Emil die ersten paar Mal selbst den Tisch deckte, war das aufregend. Nach einer gewissen Zeit wurde es langweilig. Für die Eltern ein Dilemma: Weder wollen sie vor jedem Essen eine Diskussion mit ihrem Sohn führen, noch wollen sie ihn einfach von seinen Aufgaben entbinden. Was also tun? Ein bisschen flexibel sein, lautet vereinfacht die Antwort. «Eine gewisse Routine ist für Kinder auch beim Ämtli wichtig. Genauso wichtig ist aber, dass es ihnen Spass macht. Es kann hilfreich sein, wenn sie mitentscheiden dürfen, welche Aufgabe sie übernehmen», erklärt Olivier Reber, Mediensprecher bei Pro Juventute. Emils Eltern könnten ihm folgendes vorschlagen: Emil hilft jeweils rund ums Abendessen mit, denn da gibt es einiges zu tun: den Tisch decken, das Gemüse schneiden, den Salat rüsten, Spielsachen aufräumen, nach dem Essen das Geschirr abräumen. Welche dieser Aufgaben Emil übernimmt, kann er aussuchen und auch abwechseln. Natürlich gibt es auch andere geeignete Aufgaben im übrigen Alltag. Ideal sind grundsätzlich kleine, wiederkehrende Ämtli, die Kinder möglichst selbstständig ausführen können. Dazu zählen unter anderem Wäsche aufhängen, ein Haustier füttern, aufräumen oder Pflanzen wässern. Wichtig ist laut Olivier Reber, nicht zu hohe Erwartungen an die Effizienz zu haben. So manche Arbeit dauert länger, wenn Sechsjährige sie erledigen. «Die Mithilfe von Kindern trägt nicht unbedingt zu einer Entlastung der Eltern bei», sagt Reber und ergänzt: «Es geht bei Ämtlis darum, den Alltag für Kinder erlebbar zu machen.
Ausserdem fördern die Aufgaben die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Kinder.» Reber rät übrigens davon ab, Ämtli ans Taschengeld zu knüpfen oder mit Konsequenzen zu drohen, wenn Kinder ihre Aufgaben nicht ausführen. Lieber erklärt man dem Kind, warum es wichtig ist, dass alle mithelfen. Reber: «Man darf darauf vertrauen, dass Kinder irgendwann gerne mithelfen. Viele finden es toll, Verantwortung zu übernehmen.»
Mithelfen als Schulkind
• Auch Kinder schätzen Dankbarkeit, genau wie wir Erwachsenen. Nehmen Eltern die Hilfe ihrer Kinder wahr, bedanken sich bei ihnen und loben sie dafür, kann das die Motivation durchaus steigern.
• Die Dinge beim Namen nennen: Viele Aufgaben, die in einer Familie anfallen, sind für Kinder selbstverständlich. Um ihnen aufzuzeigen, dass manche Dinge auch Arbeit bedeuten, kann es helfen, sie zu benennen – ohne sie negativ aufzuladen oder Kindern ein schlechtes Gewissen zu machen. Ein Beispiel: Nach dem Essen können Eltern sagen: Wir müssen erst die Küche aufräumen, dann können wir ein Spiel machen. Hilfst du mit? Dann sind wir vielleicht schneller fertig.
• Wie machen es Mama und Papa? Eltern sind Vorbilder und Kinder kopieren sie nur zu gerne. Das gilt auch beim Mithelfen. Kinder beobachten oft genau, wie sich Eltern gegenseitig unterstützen und kopieren dieses Verhalte
12 Jahre
In Avas Zimmer herrscht Chaos: Auf dem Boden liegen Kleider, Bücher und Krimskrams. Ihre Eltern möchten, dass Ava einmal pro Woche aufräumt und putzt. Die Zwölfjährige findet das unnötig. Ihr Standpunkt: mein Zimmer, meine Ordnung.
Auch wenn Avas Eltern das vielleicht nicht gerne hören, aber: Ava hat ein Stück weit recht. Das eigene Zimmer ist ein zentraler Rückzugsort für Jugendliche in Avas Alter. Ein Ort, an dem zu einem gewissen Teil ihre Regeln gelten. «Das eigene Zimmer trägt in diesem Alter zur Identitätsbildung bei. Darum ist es wichtig, dass Jugendliche hier gewisse Freiheiten und Autonomie haben und Dinge selbst bestimmen können», sagt Olivier Reber. Dazu gehört beispielsweise das Thema Ordnung. Mag es Ava chaotischer oder unordentlicher und legt sie in ihrem Zimmer weniger Wert auf Sauberkeit als ihre Eltern im Rest der Wohnung, ist hier eine gewisse Grosszügigkeit der Eltern gefragt. Ein Freipass ist das trotzdem nicht, wie Reber betont: «Auch das Zimmer eines Jugendlichen ist ein Teil eines gemeinsamen Haushalts, und es ist wichtig, dass man sich auf gewisse Punkte und Regeln einigen kann.»
Der Schlüssel dazu liegt in der Kommunikation. Da Ava und ihre Eltern offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen von Ordnung und Saubekeit haben, macht es Sinn, darüber zu reden, was es braucht, damit sich alle wohlfühlen, und gemeinsam ein paar Grundregeln zu definieren. «Diese Regeln sind idealerweise ergebnisorientiert», sagt Reber. Konkret heisst das zum Beispiel: Anstatt dass Avas Eltern ihr vorschreiben, einmal die Woche aufzuräumen und zu putzen, definieren sie gemeinsam mit Ava ein paar Grundsätze. Beispielsweise: Das Zimmer ist immer gut gelüftet. Auf dem Boden liegt kein Abfall. Im Zimmer befinden sich keine Esswaren. Nur Kleider, die im Waschkorb sind, werden gewaschen. «Die Umsetzung dieser Regeln liegt in Avas Verantwortung. Klappt es nicht, muss man sich wieder besprechen und nach neuen Lösungen suchen», so Reber. Diese Verantwortung ist für Ava übrigens auch mit Blick in die Zukunft wichtig. Denn irgendwann wird sie mit anderen Menschen in einem Haushalt leben, sei es in einer WG oder mit einem/einer Partner:in. Und auch dort wird sie Kompromisse eingehen müssen, damit das gemeinsame Zusammenleben funktioniert.
Mithelfen als Teenager
• Bitte draussen bleiben: Das eigene Zimmer ist für Jugendliche der Ort, an dem sie einfach sie selbst sind. Das kann sich auch in der Ordnung spiegeln. Eltern sollten ihren Kindern hier eine gewisse Freiheit zugestehen und das Zimmer nicht ungefragt betreten.
• Hinterherräumen ist nicht die Lösung – weder für Eltern noch für Teenager. Als Eltern ist es frustrierend, bei Teenagern bleibt der Lerneffekt aus. Ist der Lieblingspulli immer «automatisch» frisch gewaschen, auch wenn er erst gerade noch auf dem Boden lag, wird er den Weg in den Wäschekorb wohl nie finden.
• Zusammen geht es besser: Manchen Teenagern hilft ein Ritual. So kann man das Putzen und Aufräumen auch zur Familiensache machen. Immer samstags putzt Papa das Bad, Mama die Küche und die Jugendliche ihr Zimmer.
