Vaterzeit
Babysitter in Montreux gesucht
Unser Kolumnist Christian hört in der Festspielzeit Dutzende von Konzerten und Opern – mit dabei Partnerin Tea. Aber wo ist eigentlich Luule?
Die Sommerzeit ist für mich als Musikkritiker eine intensive, aber schöne Zeit: Ein Festival jagt das andere. So reisten denn Tea und ich vom estnischen Pärnu für drei Tage nach Klosters, waren eine Woche lang in Salzburg, genossen vier Tage am Menuhin Festival in Gstaad, sechs Konzerte von Zürich aus pendelnd am Lucerne Festival und schliesslich drei Tage am Septembre Musical in Montreux. Wir wollten möglichst viele Abende gemeinsam im Saal sitzen. Und wo ist Luule derweil, fragt man sich da zu Recht. Es galt, sich wie nie zuvor zu organisieren. Ein Babysitter musste her. Besser gleich ein Dutzend davon. Und einiges an Kerosin-Entschädigung.
Luule fragten wir nicht um ihre Meinung, wussten wir doch warum: Es würde ein Sprung ins kalte Wasser sein. Sie hatte bisher zwar mit der Grossmutter aus Estland Abende verbracht, aber noch nie mit einer ihr wirklich fremden Person.
Beim Festival in Pärnu Mitte Juli war alles noch kein Problem, war da doch ebendiese Grossmutter verstärkt von Grosspapa, Grossonkel und Grosstante vor Ort. Zudem hatte Tea bereits im Januar eine Wohnung im gleichen Wohnkomplex ergattert. In Klosters Ende Juli waren wir drei alleine. Die Pressefrau hatte allerdings für zwei Abende einen 21-jährigen Kita-Lehrling organisiert.
Die erste Übergabe machten wir im Sandkasten. Luule vergass sogar, uns zu winken. Wir schlichen uns halb belustigt, halb beunruhigt davon und setzen uns in den Saal. Jetzt gabs kein Zurück. Das Violinkonzert schien mir etwas flattrig gespielt, doch meine Unruhe war unberechtigt. Beim Applaus nach 45 Minuten sah ich, dass der sympathische Junge bereits ein Foto geschickt hatte: Luule glücklich mit Ziege. Als wir die zwei kurz nach 21 Uhr im Hotelzimmer trafen, spielten sie Kofferauspacken.
Unbekannte Vertraute
Die Salzburger Festspiele waren Anfang August möglich, da die estnische Grossmutter mit ihrer Schwägerin sechs Tage mit Luule in unserer Zürcher Wohnung verbrachte. Vor der Abreise hatte ich den Kühlschrank mit Prosecco, Ravioli und Tomaten vollgestopft, damit sie sich wie im Urlaub in Italien fühlen würden.
Auf nach Gstaad! Das Hotel hatte einen Babysitter organisiert und kurz nach unserer Ankunft stand Frau Hermann um 18 Uhr in der Lobby. Luule roch den Braten, wehrte sich heftig, aber Frau Hermann hatte ein Spielzeugauto mit dabei, war die Ruhe selbst und Profi: «Wo ist Bébé, Luules Puppe?», fragte sie am zweiten Abend bei der Übergabe. Als Tea um 22.15 Uhr ins Hotelzimmer kam, übergab ihr Frau Hermann nicht bloss die Rechnung, sondern erklärte ihr liebevoll, dass wir die 250 Franken von den Steuern abziehen können.
Lucerne Festival war einfach, denn hier ist es bereits Tradition, dass die estnischen Grosseltern nach Zürich kommen, später halfen zwei Luzerner Neffen von mir aus. Aber wie sollten wir in Montreux Anfang September einen Babysitter für zwei Abende finden? Das Hotel hatte uns vier Tage vor Ankunft bloss einen Link zu einer Agentur geschickt. Aber was für eine ! In 24 Stunden organisierten die jemanden, der Vertrag flog hin und her, der Preis war der tiefste von allen – und am Ende verstand sich Luule mit der französisch sprechenden, wohl kaum 20-jährigen Sabina bestens. Am zweiten Abend lief Luule ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen, um 22.30 Uhr – Tea wartete noch am Kebab-Stand auf Bier und Essen – gab sie mir die Hotelkarte und sagte, auf die schlummernde Luule zeigend, dass sie sehr süss sei.
«Die waren dann jeweils in eurem Hotelzimmer !?», fragte ein Freund erstaunt, als ich ihm davon erzählte. Und ich erklärte ihm, dass dir ein unbekannter Babysitter so vertraut sein muss, dass du ihm mitsamt der Hotelzimmerkarte auch gleich die Fahrzeug- und die Weinkellerschlüssel mitgeben würdest. Gegen das eigene Baby ist das nämlich alles nichts.