
Bioterra/Isabel Plana
Freizeit
Urban gardening: Jetzt wirds grün
Von Ann-Kathrin Schäfer
Stadtkinder müssen nicht aufs Gärtnern verzichten. Es braucht dafür nur einen Platz auf dem Fenstersims, einen Balkon oder einen Gemeinschaftsgarten. Sie lernen dabei über die Umwelt, können selbstwirksam sein und haben nebenbei auch noch Spass.
Grau, trist, nebelig. Ein grosser Parkplatz, der Bahnhof St. Gallen Fiden, die viel befahrene Bachstrasse, 13 Glascontainer – und dazwischen eine brache Fläche. Bauland der Stadt St. Gallen, ungenutzt. Kathrin Hälg, Hobbygärtnerin und Mutter zweier Kinder, steht an einem Novembertag im Jahr 2019 vor dem «Areal Bach» und kommt ins Träumen. Mitten im Herbst denkt sie an Beete für Kinder, Bienen, die um einheimische Pflanzen summen, eine Begegnungszone mit Wegen, Sitzgelegenheiten und Gartenhaus. «Ich habe das Potenzial sofort erkannt», erinnert sie sich. Knapp sechs Jahre später, im Frühling 2025, ist von der brachliegenden Fläche nichts mehr zu sehen. Der Bahnhof, der Parkplatz und die Glascontainer sind zwar geblieben. Dazwischen aber, umrahmt von einer Hecke aus einheimischen Gehölzen und einem Zaun aus Totholz, in dem auf 600 Quadratmetern Insekten nisten, blühen bunte Blumen, wachsen Beeren und Gemüse, duften Kräuter und Blüten.
Kathrin Hälgs Vision ist Realität geworden. Der Verein «Areal Bach» hat das Projekt initiiert, die Organisation Bioterra regelte die Finanzierung, ein Gartenbauer brachte die Pläne zu Papier. Nach fünf Wochen Bau öffnet der Garten im Sommer 2021 seine Tore. «Nach der Eröffnung ging es nicht lang und Wildbienen, Schmetterlinge, Ameisen und Heugümper zogen ein», erinnert sich Hälg.
Ein Ort zum Buddeln
Auch dieses Jahr öffnete der Garten nach der Winterpause Ende April, die Wildrosen blühen. Einmal pro Woche leitet Kathrin Hälg hier mit ihrem Team einen Lernnachmittag. Kinder können kostenlos und ohne Anmeldung vorbeischauen, ein Angebot des Bioterra-Projekts «Gartenkind». Momentan wartet der Winter-Blumenkohl darauf, geerntet zu werden, den die Kinder an einem der letzten Tage im Herbst gesetzt hatten.
Je nach Witterung nehmen fünf bis 20 Kinder teil. Manche schauen einmal pro Saison herein, andere fast wöchentlich. Zum Start suchen die Kinder nach den drei Gartentieren, die sich irgendwo im Garten versteckt haben: dem Frosch, dem Schmetterling und dem Marienkäfer. Währenddessen beginnt die Gartenarbeit. Die Leiter:innen sagen, was zu tun ist, und die Kinder helfen mit, buddeln im Bett, graben Beikräuter aus, säen Samen, giessen Pflanzen. Wer will, kann aber auch Wimpel bemalen, Samenbomben basteln oder Blüten für den Zvieri sammeln. «Die Kinder lernen sehr schnell, welche Blüten essbar und welche giftig sind», sagt Kathrin Hälg. «Einmal gelernt, vergessen sie das auch nicht mehr, das ist schön zu sehen.» Zum Zvieri gibts für die immer etwas neu gemischte Gruppe selbst gemachte Blütencracker und Teemischungen, in denen die Malvenblüten aus dem Gemeinschaftsgarten den Tee blau färben.
Einige Kinder inspizieren mit der Lupe kleine Lebewesen. Beobachten, wie sich Larven verpuppen und zu Marienkäfern werden. «Wo Erwachsene schnell Ekel empfinden, sind Kinder unvoreingenommen und offen», sagt Hälg. «Kinder haben eine Begeisterungsfähigkeit für alles, was wächst, für alles Leben.» Die Liebe zum Detail und die Fragen der Kinder öffnen auch ihr wieder einen neuen Blick, erzählt sie. «Wann wachsen denn jetzt die Spinat-Klötzli?», fragt einer nach dem Sähen des Spinats – in Bezug auf die Tiefkühlware aus dem Supermarkt. Oder: «Wieso stecht ihr den Löwenzahn aus, wir finden doch die Pusteblumen toll!»
Beet statt Beton
Der Gemeinschafts- und Lerngarten in St. Gallen ist ein klassisches Beispiel von «Urban Gardening», von urbanem Gärtnern. Katrin Helbich, Leiterin der Urban-Gardening-Plattform Urbanroots, erklärt: «Urban Gardening meint ganz allgemein das Anbauen von Pflanzen in städtischen, begrenzten Gebieten. Das kann auf einem Balkon, einer Terrasse, auf dem Dach, im Schrebergarten oder aber in einem Gemeinschaftsgarten sein.» Gärtnern zur Selbstversorgung auch im städtischen Raum ist nichts Neues. Seit den Nullerjahren kommen aber vermehrt Aspekte wie Nachhaltigkeit, Biodiversität und soziale Interaktion hinzu, wie eine Studie der FHNW von 2016 zeigt. Helbich sagt: «Beim gemeinsamen Gärtnern tauscht man sich mit Gleichgesinnten aus, verschiedene Generationen und Kulturen treffen sich zu einem gemeinsamen Projekt und noch dazu werden die Städte grüner.» Helbich selbst hat ihre Basler Dachterrasse in einen blühenden Rückzugsort mit allerlei Essbarem verwandelt. «Wenn ich aus dem Büro komme und die Finger in die Erde stecke, ist das für mich die beste Stresstherapie», sagt sie. «Auf mich wirkt das sehr beruhigend.» Sie findet wichtig, dass gerade Stadtkinder die Möglichkeit bekommen, zu gärtnern und anzupflanzen – auch als Gegenpol zur digitalen Welt.
«Kinder lernen so, dass Tomaten und Gurken nicht nur aus dem Supermarkt kommen», sagt Helbich. «Sie bekommen diesen unmittelbaren Bezug zur Natur und erfahren selbst, wie lange es dauert, bis aus einem Samen eine Frucht entsteht. Wie viel Arbeit und Sorgfalt das braucht, wie viel Wasser und Sonne und welche Rolle Insekten spielen.» Beginnen kann man schon mit einem Topf auf der Fensterbank. Urban Gardening ermögliche Stadtkindern, Wissen rund um die Natur zu erlangen, Verantwortung für kleine Pflanzen zu übernehmen, und fördere Geduld. Hinzu kommt der Aspekt der schieren Freude, wenn aus einem Samen eine Pflanze wird. «Eine selbst gepflückte Tomate vom Balkon oder aus dem Garten schmeckt ausserdem so viel besser als eine in Plastik abgepackte aus dem Supermarkt.»
Auch Kathrin Hälg vom St. Galler Lerngarten ist überzeugt davon, dass Urban Gardening Kindern zugutekommt. «Wenn die Kinder die Kreisläufe der Natur selbst kennenlernen, entwickeln sie einen ganz anderen Bezug zu Insekten und Pflanzen als nur in der Theorie auf dem Papier.» Hinzu kommt der Aspekt der Selbstwirksamkeit: «Die Kinder säen Samen aus und daraus entsteht Neues», sagt Hälg. «Das ist ein grosser Moment: Weil sie selbst aktiv werden, entsteht etwas Sichtbares und Eigenes.» Das mache stolz und stärke das Selbstbewusstsein.
Der Lerngarten in St. Gallen ist also eine gute Sache für die umliegenden Bewohner:innen, die Schulklassen, die regelmässig vorbeischauen, aber auch Tagesausflügler:innen. Einziger Wermutstropfen – und grundsätzlich ein Problem einiger urbaner Gärtnerprojekte zu Zeiten verdichteten Bauens: «Unser Lerngarten ist ein Projekt auf Zeit.» Wie lange das Areal der Stadt dem Gartenprojekt noch zur Verfügung steht, ist aktuell noch unklar.

DIY: Kreativ mit Erde
Rund um das urbane Gärtnern gibt es zahlreiche Upcyclingund Bastelideen, um mit den Kindern kreativ zu werden. Man kann zum Beispiel zusammen Tontöpfe bemalen, Namensschilder für die Pflanzen basteln. Anzuchttöpfe, eine Giesskanne oder ein Mini-Gewächshaus aus PET-Flaschen basteln. Besonders viel Spass (und eine erdige Sauerei) macht es, Samenbomben aus Erde, Lehm und Saatgut zu mischen – vielleicht eine Idee für den nächsten Kindergeburtstag?

Anpflanzen: Was wächst auf dem Balkon?
Der Klassiker unter den Erfolgserlebnissen ist die Kresse auf der Fensterbank. Schon zehn Tage nach der Saat kann man sie ernten. Auch andere Microgreens wachsen schnell. Viele Kinder lieben auch die Tomatenernte. Dafür Cherry- oder Wildtomaten in einem Topf mit mindestens 30 cm Durchmesser anpflanzen. Beliebt sind auch: Minigurken, Monatserdbeeren, Zuckererbsen, Radieschen und Kräuter. Wichtig: Keine hochgezüchteten Sorten, sondern auf Bio setzen, auch bei Samen, die sind robuster. Vor dem Kauf beachtet man am besten, wie schattig oder sonnig der Balkon oder die Terrasse ist und welche Pflanzen dabei am besten gedeihen. Damit die ausgewählten Pflanzen auch wirklich gedeihen. Tomaten brauchen zum Beispiel viel Sonne. Am Anfang nicht zu viel auf einmal wollen, sondern klein beginnen und: einfach ausprobieren.
Kathrin Hälg, Hobbygärtnerin und Initiantin «Areal Bach»

Miteinander: Gemeinsam gärtnern
Angebote in der Schweiz, um in der Gemeinschaft zu gärtnern, gibt es zahlreiche, Tendenz steigend. Der Lerngarten in St. Gallen ist einer von aktuell acht Lerngärten des gemeinnützigen Programms «Gartenkind» der Organisation Bioterra. In allen grösseren Schweizer Städten gibt es mittlerweile die Möglichkeit, auf diese oder andere Art gemeinsam zu gärtnern. Am besten hört man sich um, informiert sich im Internet oder bei der Stadt beziehungsweise Gemeinde. Oder nimmt gleich selbst ein Projekt in Angriff. Einige Schulen pflegen zudem mit ihren Schüler:innen Schulgärten, in denen selbst Gemüse angepflanzt wird. Beispielsweise in Zürich organisiert und pflegt die «Gesellschaft für Schülergärten Zürich» 23 solcher Schülergärten. Meist kostenpflichtige Wissensvermittlung, Kurse und Workshops bieten verschiedene Organisationen, Unternehmen und Gärtnereien an, darunter Bioterra, Urbanroots, Veganthecity, Urban Agriculture Basel, Luzern blüht auf oder Stadtgrün Bern.

Umwelt: Bunt und bienenfreundlich
Alles, was blüht, ist gut für die Insekten. Blühende Kräuter sind beispielsweise Fenchel, Dill, Oregano und Thymian. Aber auch Bohnen und Tomaten blühen – und natürlich essbare Blumen. Neben Gemüse auch Blumen zu pflanzen, ist doppelt gut: Die Insekten freuen sich über den Nektar und die Kinder über den bunten Anblick. Mit Schnittsalat auf dem Balkon können Insekten hingegen nicht viel anfangen, da er meistens vor der Blüte geerntet wird. Gut für die Biodiversität sind auch Mischkulturen; man kann beispielsweise Basilikum im Topf unter der Tomate säen. Insekten freuen sich auch über totes Holz, in dem sie nisten können, über Steine und Wasserstellen. Aber Achtung: Insektenhotels bringen nur etwas, wenn es auch Pflanzen gibt, von denen die Bewohner:innen leben können. In Gartencentern ist meist gekennzeichnet, ob Bio, einheimisch, gut für die Biodiversität. Dort findet man auch extra insektenfreundliche Samenmischungen.

Pflegen: Kinderleicht säen und giessen
Was wo und wann gepflanzt wird, können Eltern vorgeben und die Kidner dann spiererisch mit einbinden. Zunächst Erde in den Topf geben. Dann das Säen: die Kressesamen nur auf die Erde streuen, die Erbsen in die Erde stecken und bedecken. Regelmässig, aber nicht zu viel giessen. Gemeinsam Schildchen basteln, damit man noch weiss, was man angesät hat. Mit den Kindern schauen, wie die Pflanzen wachsen.