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Babykosmos
Stillen mit zwei Kindern
Von Caterina Melliger, Manuela von Ah
Das Baby zu stillen, während das ältere Geschwisterkind die Welt erkunden will, ist eine Herausforderung. Gelingt der Balanceakt im Alltag?
Die Sonne brennt vom Himmel, die Luft flirrt vor Hitze. Ich liege im Liegestuhl, vor mir meine Grosse, die quietschvergnügt ins Bassin springt, während ich meine frischgeborene Tochter an die Brust lege. Ein friedliches Bild – genau so hatte ich es mir ausgemalt. Ein Sommerbaby stillen, entspannt, gelassen, während das grosse Kind spielt. Nach den schwierigen ersten Stillwochen mit meinem ersten Kind, die von wunden Brustwarzen und Milchstau geprägt waren, war ich sicher: Diesmal wird alles leichter. Ich wusste doch, wie es geht.
Doch meine Fantasie hatte mir eine rosarote Brille aufgesetzt. Zwei Dinge hatte ich nicht bedacht: Erstens, ein Sommerkind zu stillen, wenn das Thermometer über 30 Grad klettert, ist eine ganz eigene Herausforderung. Das Baby trinkt gefühlt pausenlos, winzige Schlucke, immer wieder – mein Körper arbeitet auf Hochtouren, trotz Hitze habe ich Schüttelfrost, weil ich so ausgelaugt bin. Zweitens, meine Grosse ist zwar verständnisvoll, hilfsbereit, liebt es, mir zur Hand zu gehen – aber sie hat ganz andere Bedürfnisse als das Baby und vor allem hat sie einen festen Tagesrhythmus. Morgens früh raus, in den Kindergarten bringen, mittags abholen, nachmittags Tanzstunde, Spielplatz, Playdates. Ein Tagesablauf, der keine Rücksicht darauf nimmt, ob ich gerade dabei bin, ein Neugeborenes zu stillen. Regelmässig bin ich patschnass, weil ich entweder die Kleine länger schreien lasse, um die Grosse rechtzeitig irgendwohin zu bringen, oder ich muss die Grosse um Geduld bitten, dass wir erst in einer Stunde zum Spielplatz können und dann vielleicht die Freundin bald nach Hause muss.
Zwischen Ideal und Alltag
Ich wollte beiden Töchtern gerecht werden. Doch irgendwann war ich am Anschlag. Die Kleine wurde immer unzufriedener, die Milch reichte ihr nicht, und ich versuchte, neben der Pulvermilch im Fläschchen auch noch abzupumpen. Doch mein Körper streikte. Ich kämpfte gegen die Erschöpfung, bis ich mir nach vier Monaten eingestehen musste: Es geht nicht mehr. Und als ich das Abpumpen losliess, geschah etwas Erstaunliches – ich blühte auf. Endlich hatte ich wieder Kraft, um mit meiner Grossen zu spielen, mit ihr zu lachen, rauszugehen. Und die Kleine? Sie trank ihr Fläschchen zufrieden in meinen Armen. Ein Alltag, der für uns alle stimmte. Die neue Familiensituation war nicht nur für mich eine Herausforderung – auch meine Grosse musste sich erst in ihrer neuen Rolle als grosse Schwester zurechtfinden. Die Aufmerksamkeit, die vorher ihr allein galt, musste sie nun teilen. Genau das kann für viele Erstgeborene eine emotionale Belastung sein. Plötzlich steht ein anderes Wesen im Fokus elterlicher Aufmerksamkeit – für das ältere Kind eine schwer verständliche Zurücksetzung. «Auf psychologischer Ebene kann es beim Kind zu Verlustangst, Unsicherheit, Wut und Trauer kommen», beschreibt Karin Handschin, Referentin bei der Stillförderung Schweiz, die emotionalen Reaktionen. Besonders beim Stillen oder bei der Flaschenfütterung entsteht eine innige Verbindung zwischen Mutter und Säugling. Was beim erstgeborenen Kind mitunter zu Eifersucht und Quengeln führt. Und die Eltern stresst: «Das Kind wiederum spürt den Stress der Eltern – und schon entsteht ein Teufelskreis», erklärt die Fachfrau.
Geschwisterdynamik
Dass Geschwister auf die Geburt eines neuen Familienmitglieds empfindlich reagieren, ist nicht nur ein menschliches Phänomen. Eine 2022 durchgeführte Studie an Menschenaffen zeigte, dass dort der Cortisolspiegel des älteren Nachwuchses nach der Geburt eines Babys steigt. Die Stressreaktion scheint also tief in unserer Natur verwurzelt zu sein. Während das Stillen vom Baby beim älteren Kind Stress auslösen kann, hat es auf die Mutter eigentlich eine beruhigende Wirkung: Durch den Körperkontakt mit dem Baby und die Stimulation der Brustwarze wird das «Glückshormon» Oxytocin ausgeschüttet, das die Cortisolausschüttung hemmt. Chronischer Stress hingegen setzt den Körper in Alarmbereitschaft: Die Milchproduktion gerät ins Stocken, das Stillen wird mühsamer. Wie also der Abwärtsspirale von Hektik und Stress beim Stillen entrinnen? Karin Handschin rät den Eltern, das Erstgeborene während der Still- oder Flaschenzeiten bewusst einzubeziehen: «Wichtig ist, dem Kind das Gefühl zu geben, dass es dazugehört – es sollte auf keinen Fall wegen seines Verhaltens ausgeschlossen oder weggeschickt werden.» Ist eine weitere Bezugsperson da, kann diese sich während des Stillens gezielt um das ältere Geschwister kümmern.
Optionen und Entscheidungen
Und dann sind da noch die Mütter, die «Tandem stillen», bei dem sowohl das Neugeborene als auch das ältere, noch nicht abgestillte Kind gleichzeitig gestillt werden. «Das ist völlig in Ordnung, solange die Mutter die emotionale und körperliche Kraft dazu hat», sagt Karin Handschin. Wichtig sei es, sich vor allfälliger Kritik aus dem Umfeld nicht verunsichern zu lassen. Allerdings müsse das ältere Kind akzeptieren, dass das Baby beim Stillen stets Vorrang hat. «Dann kann sich Tandemstillen sogar förderlich auf die Geschwisterbeziehung auswirken und Eifersucht mindern.»
Heute, wenn ich stillende Mütter sehe, spüre ich eine leise Wehmut. Ich hatte mir gewünscht, auch mein zweites Kind lange zu stillen. Doch ich habe gelernt, dass Stillen nicht nur Nahrung ist, sondern auch im Einklang mit den eigenen Kräften und den Bedürfnissen der Familie stehen muss. Als ich mir eingestand, dass die Kleine nicht mehr ausschliesslich das Beste von mir bekam und das Fläschchen die beste Entscheidung war, lernte ich, dass auch beim Fläschchengeben eine tiefe Verbundenheit entstehen kann – ganz ohne Stress und schweissgebadetes T-Shirt, dafür zusammen mit meiner Grossen, die mir dabei hilft.
So wird die Stillzeit für alle angenehmer
• Richte den Platz zum Stillen so ein, dass das grosse Kind die Möglichkeit hat, sich ebenfalls an dich zu kuscheln. Vielleicht mag es dabei ein Stofftier oder eine Puppe im Arm halten, so wie du es mit dem kleinen Geschwister tust.
• Lege ihm einen Snack bereit, damit es in dieser Zeit etwas zu knabbern hat.
• Vielleicht hört das grosse Kind gerne eine CD mit Kinderliedern oder ein Hörspiel.
• Stelle eine Kiste mit Spielsachen, die das Kind selten zur Verfügung hat, in deine Nähe. So kann sich das Geschwister während des Stillens damit beschäftigen.
• Falls dein grosses Kind gerne im Kinderzimmer spielt, kannst du dir überlegen, dort eine Still-Ecke mit einem bequemen Sessel oder Schaukelstuhl einzurichten.
• Beim Tandemstillen auf eine bequeme Stillposition achten, ähnlich wie beim Zwillingsstillen.
• Mach dir keinen Druck: Wenn das Stillen nicht funktioniert, ist die Milchflasche eine ebenso wertvolle Lösung. Quelle: swissmom