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Medizin
Diese besondere Narbe
Kaiserschnitte sind inzwischen eine gängige Geburtsvariante. Aber der «easy way out»? Nein. Denn erst jetzt rückt in den Blick, was die innere Narbe für die Frau bedeuten kann.
Auf Patrick Imeschs Computerbildschirm leuchtet eine Art freundlicher Halloweenkürbis. Das heisst, aus dem Wirrwarr aus Grau, Mittelgrau, Dunkelgrau und Grau-geriffelt strahlen klar und hell drei kleine gelbe Flecken. «Da ! Das sind die Nischen, die Isthmozelen», erklärt Patrick Imesch und klingt aufrichtig begeistert. Der 52-Jährige leitet seine eigene Praxis an der Klinik für Gynäkologie am Bethanien-Spital in Zürich. Und begeistert ist er, weil er da gerade ein von ihm mitentwickeltes neues Verfahren vorführt: treffenderweise «Halloween Sign» genannt. Ein spezieller «Manipulator» hilft bei einer Gebärmutterspiegelung, buchstäblich Licht ins Dunkle zu bringen. In das Dunkle einer Narbe, die eine ganz besondere Narbe ist: die Kaiserschnittnarbe.
«Sehen Sie, jetzt wird die Nische geschlossen», sagt Imesch und tippt auf den Bildschirm, auf dem nun ein kurzer Film läuft, in dem es blutet und blubbert und bruzzelt. Erinnert ein bisschen ans Löten, das Ganze. Und im Wesentlichen funktioniert sie auch so, diese Operation, mithilfe derer defekte innere Kaiserschnittnarben repariert, Lücken und dünne Stellen geflickt, Ausbuchtungen abgetragen und Ränder von Löchern in der Narbe miteinander verschmolzen werden.
Für den Laien ist es schwer, die Ultraschallbilder am Computer zu deuten und zumindest grob zu verstehen, was der Gynäkologe da voller Leidenschaft erklärt. Aber noch viel schwerer zu verstehen ist: Warum eigentlich stand bislang so selten im Fokus, was der Schnitt für die betroffene Frau bedeutet? Warum ist zwar ständig zu lesen, was ein Kaiserschnitt kostet. Wie lange er dauert. Was er den Kliniken einbringt. Welche Vor- und Nachteile er für das Baby hat. Und – das ist das Neueste – ob das Immunsystem eines Neugeborenen davon profitiert, wenn es nach einer Sectio mit mütterlichem Vaginalsekret betupft wird. All das wird ausführlichst behandelt, gedreht und gewendet. Doch die Frau, die Mutter, die blieb bislang in den Diskussionen und Abhandlungen um die weltweit häufigste Bauchoperation grau wie Ultraschallbilder auf Patrick Imeschs Bildschirm.
Das ändert sich gerade. Jetzt rückt auch die zweite Hauptperson der Entbindung in den Fokus, die Mutter. Und mit ihr diese besondere Narbe mit all ihren Folgen. Sichtbaren und unsichtbaren. Kurzfristigen, langfristigen – und schwerwiegenden. So viel zum Klischee, eine Bauchgeburt sei eine «Entbindung light»...
Drei Jahre ist Manuelas Kaiserschnitt jetzt her. Ihr Töchterchen wollte und wollte einfach nicht tiefer ins Becken rutschen, 24 Stunden Wehen zum Trotz. Folge: Sectio. Happy End, Mutter und Kind wohlauf. Obwohl – so richtig happy und wohlauf ist zumindest Manuela nicht: «Ich habe seit dem Kaiserschnitt ständig Rückenschmerzen. Wenn ich mich bücke und wieder hochkomme, dann ist das wie bei einer ganz alten Frau.» Auch ihre Oberschenkel, erzählt die Physiotherapeutin, seien aufgrund des gestörten Lymphflusses geschwollen. Beim Yoga muss sie bei vielen Übungen aussetzen. Die Bauchmuskulatur funktioniert nicht richtig. Cobra-Position? Kein DranDenken ! Seit ein paar Monaten geht die 33-jährige St. Gallerin jetzt zur Narbentherapie, damit sich hoffentlich durch Zupfen und Massieren die verklebten Gewebeschichten voneinander lösen. «Ein Kaiserschnitt soll der ‹easy way out› sein? Dass ich nicht lache.»
So wie Manuela geht es vielen Müttern, auch wenn sie selten offen darüber sprechen. Schliesslich ist da das Glück, ein Kind zu haben, das Glück, dass es diese lebensrettende Operation überhaupt gibt, das Glück, entbunden zu haben ohne Presswehen. Bei derart viel Glück darf man nicht undankbar sein und jammern, müssen die Frauen wohl denken. Also leiden sie still und schweigen. Aber nicht alle. Deshalb haben die Beschwerden seit 2023 einen offiziellen Namen, gibt es ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziertes Krankheitsbild, die «Cesarean Scar Disorder», Störung der Kaiserschnittnarbe. Mit der offiziellen Anerkennung, ist zu hoffen, wird auch das Wissen in Fachkreisen über die Narbenstörung wachsen. Denn bislang ist davon nicht immer auszugehen. «Ich hatte zwei Wunschkaiserschnitte. Einen vor dreieinhalb Jahren und einen vor vier Monaten», erzählt die 39-jährige Angela aus Zürich-Enge. Und eigentlich sei sie sehr zufrieden damit: «Was ich aber krass fand, ist, dass im Geburtsvorbereitungskurs das Thema Kaiserschnitt gerade mal zehn Minuten ausgemacht hat.» Auch ihre Gynäkologin habe auf die Frage, wie jetzt mit der grossen Narbe umzugehen sei und womit sie in der Folgezeit rechnen müsse, nur lapidar geantwortet: «Hol dir in der Apotheke eine Creme und dann: einschmieren.» Detaillierte Informationen? Fehlanzeige. Dass die Fachleute sich erst seit wenigen Jahren intensiv mit den Narbenproblemen befassen, ist wahrscheinlich so zu erklären: Kaiserschnitte retten, Kaiserschnitte verhindern Leid. Der Segen, den die Sectio bedeuten kann, steht im Scheinwerferlicht. Doch – wo Licht ist, ist halt auch Schatten.
Selbst wenn die «Bauchgeburt» inzwischen eine Routineoperation ist, weniger als eine Stunde dauert und seit der Antike praktiziert wird, sie bleibt doch: eine Operation. Übrigens eine, die bis in die Neuzeit hinein mit dem Tod der Mutter endete. Die erste Schnittgeburt, bei der Mutter und Kind überlebten, soll im Jahr 1500 ein Schweizer durchgeführt haben: Jacob Nufer, ein Schweinekastrierer. Daher ist auch die Story, Cäsar selbst sei per «Sectio caesarea» auf die Welt gekommen, eine nette, doch falsche Geschichte, denn Cäsars Mutter lebte noch viele Jahre nach der Entbindung. Kurz: Der Begriff «Sectio caesarea» stammt vom lateinischen «Sectio», für «Schnitt» und «caesarea» leitet sich schlicht vom Partizip Perfekt des Wortes «caedere», «schneiden», ab. So weit der Ausflug in die Historie.
Manuela, Mutter einer dreijährigen Tochter
Zurück zum Krankheitsbild: «Störung der Kaiserschnittnarbe».
Warum also beschäftigt man sich erst seit so kurzer Zeit damit? «Weil es immer mehr Kaiserschnitte gibt und wir folglich auch mehr Fälle erleben, bei denen sich anschliessend Probleme einstellen», sagt Patrick Imesch nüchtern. 14 600 Frauen haben im Jahr 2023 – neuere Zahlen gibt es nicht – in der Schweiz per Kaiserschnitt entbunden, 33,3 Prozent (in Schaffhausen, Zürich und Zug: 40 Prozent). 1990 waren es noch zwischen zehn und 15 Prozent. Innerhalb von einer Generation hat sich die Zahl der «Bauchgeburten» mehr als verdoppelt. Und das ist ein weltweiter Trend: 38 Prozent in Polen und Ungarn, 53 Prozent in Zypern, 60 Prozent in der Türkei, 80 Prozent in Brasilien . Erst jetzt, wo aus der Notfall-OP für den speziellen Einzelfall eine gängige Geburtsvariante geworden ist, gibt es auch ausreichend belastbare Daten zu etwaigen Schwierigkeiten mit der Narbe. Weniger mit dem äusserlich sichtbaren acht bis zwölf Zentimeter langen Strich oder Wulst als vielmehr mit der inneren Narbe. Denn was bei der vermeintlichen Alltäglichkeit des Kaiserschnitts schnell vergessen geht: Es bleibt eine grosse Bauchoperation, bei der diverse Gewebeschichten durchtrennt werden: Epidermis, Unterhautfettgewebe, Faszien – die Bauchmuskeln werden meist nur zur Seite geschoben – Bauchfell und Gebärmutterwand.
«Hier», Patrick Imesch tippt mit seinem Zeigefinger auf einen violetten Knubbel im rötlichen Geschwurbel seines Bildschirms: «Hier hat sich ein befruchtetes Ei in einer Nische der Sectio-Narbe eingenistet. Die Schwangerschaft musste beendet werden.» Klick, nächstes Bild: «Da! Sehen Sie diesen Strang? Dort ist die Narbe mit dem Bauchfell verwachsen.» Klick, weiteres Bild. «Altes Menstruationsblut, das sich in einer Nische gesammelt hat.» Klick. «Eine Uteruswand, die dünner als zwei Millimeter ist.» Foto um Foto huscht über den Bildschirm des Gynäkologen: alles Aufnahmen von Isthmozelen, Narbendehiszenzen, also defekten Narben, die Ausstülpungen oder Taschen im Inneren bilden. Nähte, die sich auflösen und Löcher hinterlassen, Nischen, in denen sich Gewebe angelagert hat, das da nicht hingehört.
Bei jeder zweiten Frau verheilt die Narbe in dieser Weise fehlerhaft. Mit jedem weiteren Kaiserschnitt steigt die Zahl. «Beim dritten Kaiserschnitt liegt die Quote nahezu bei 100 Prozent», sagt Patrick Imesch. Die meisten der Mütter bleiben dennoch symptomfrei. Doch bei 30 bis 40 Prozent der Betroffenen sorgt der Narbendefekt für erhebliche Beschwerden: Menstruationsstörungen, längere Blutungen oder Schmierblutungen. Ausfluss, Schmerzen im Becken, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Schmerzen im Rücken, Schwierigkeiten, ein weiteres Mal schwanger zu werden .
Angela Köninger, Gynäkologin
Wie kommt es zu diesen «Scar Disorders»? Dazu forscht Angela Köninger. Die 49-Jährige ist Chefärztin und Lehrstuhlinhaberin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg. «Ich habe aufgrund eigener Beobachtungen und vieler Studien die neue Nahttechnik, die Allschichtnaht, als Hauptauslöser in Verdacht», sagt sie am Telefon. Seit zehn bis 15 Jahren vernähe man den Schnitt mit nur einer einzigen Naht und nicht mehr, wie früher, Gewebeschicht für Gewebeschicht. Vorteil: Die OP ginge schneller, geringerer Blutverlust, weniger Nahtmaterial, folglich seltenere Probleme der Frauen mit körperfremden Fäden oder Klammern. Nachteil: Es würde zusammengenäht, was nicht zusammengehört. Verschiedene Gewebeschichten gerieten dadurch ineinander. Das Endometrium, die Schleimschicht der Gebärmutter, mit der Muskelschicht beispielsweise. «Uterus und Uterusschleim verändern sich jedoch – hormonbedingt – im Laufe des Zyklus.» Sei etwa Schleim in die Narbe geraten, könne er die Naht aufdehnen, wenn er sich während des Eisprungs verflüssige. Auch sammle sich in entstandenen Nischen an der Uteruswand zuweilen Periodenblut. Das kann zu Problemen bei erneutem Kinderwunsch führen. Weitere Studien laufen noch. Doch schon jetzt ist Angela Köninger sicher: «Die Nahttechnik gehört auf den Prüfstand. Die Versorgung des Kaiserschnitts sollte intensiv und kritisch überdacht werden.» Derzeit überarbeitet die Ärztin, die im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sitzt, mit ihrem Team daher die Leitlinien zum Kaiserschnitt in Deutschland.
In Zürich tüftelt Patrick Imesch an besseren Hilfsmethoden bei Narbenproblemen, hält sich bei Schlussfolgerungen in Sachen Nahttechnik jedoch zurück. «Mir ist vor allem wichtig, dass immer klar ist: Der Kaiserschnitt rettet Leben. Niemand sollte ihn verteufeln. Aber – und darüber muss man die Schwangere, ohne zu werten, dennoch detailliert aufklären – er bleibt eine Operation, mit den Risiken einer Operation.»
Keine «Geburt light». Kein «easy way out». Aber auch neues Leben. Davon erzählt diese ganz besondere Narbe.
Patrick Imesch, Gynäkologe