Monatsgespräch / Gesellschaft
«Sex mit Kindern ist für die Täter ein Kick!»
Von Tanja Polli
Die Opfer: arm und minderjährig. Die Täter: Schweizer Männer im Urlaub. Ronja Tschümperlin vom Kinderschutz Schweiz kämpft gegen Sextouristen.
wir eltern: Ronja Tschümperlin, Sie haben eine Kampagne gegen Kindersextourismus lanciert: Reisende, die verdächtige Beobachtungen machen, sollen diese via Internet melden. Was erhoffen Sie sich davon?
_Ronja Tschümperlin: Das Meldeformular ist in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Polizei entstanden. Es ist ein weltweites Novum. Mit der «Kampagne zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung im Tourismus» will die Schweiz zusammen mit Deutschland und Österreich dem Kindersextourismus grenzübergreifend entgegentreten.
In erster Linie geht es darum, via Meldeverfahren den Tätern das Gefühl zu nehmen, sie seien im Ausland ohne jegliche Kontrolle. Diese vermeintliche Sicherheit ist ein Hauptgrund dafür, dass Männer der Neugier auf ein Kind nachgeben.
Die Recherche zeigt, dass keineswegs nur pädosexuelle Männer Kindersextouristen sind.
Nein, die Mehrheit dieser Männer führt in der Schweiz ein ganz normales Leben. Absolut unauffällig. Die Übergriffe begehen sie nur in den Ferien. Da ist dieses Gefühl, weit weg von allem zu sein, da ist die sexualisierte Umgebung, der Alkohol.
Sex o.k., aber warum ein Kind?
Warum nicht? Für die Täter ist das irgendwann einfach ein Kick. Sie wissen zwar, dass es verboten ist, aber machen dann halt so etwas wie psychologische Gymnastik: Sie reden sich ein, das Kind sei bestimmt älter als es aussehe. Oder dass Kinder in solchen Länder ein anderes Verhältnis zu Sex hätten. Ich bin mir sicher, dass viele Männer dabei ein schlechtes Gewissen haben.
Was sie nicht davon abhält, es wieder zu tun. Offizielle Zahlen sprechen von weltweit 2 Millionen Kindern, die sich prostituieren müssen. Laut einer Studie der UNICEF sind Schweizer Touristen sogar überproportional häufig Kindersextouristen. Warum?
Das weiss man nicht. Sicher spielt Geld eine Rolle und ich glaube auch, dass die bei uns weit verbreitete mangelnde Kommunikation, dieses «etwas Verklemmte», solche Auswüchse fördert.
Ronja Tschümperlin
Zurück zum Formular. Wenn ich jetzt in meinen Ferien einen Hotelgast sehe, der ein einheimisches Kind auf sein Zimmer nimmt, fülle ich das Formular aus und die Polizei rückt an?
So schnell geht es natürlich nicht. Aber das Formular geht direkt ans Bundesamt für Polizei. Speziell ausgebildete Beamte nehmen Kontakt mit der Person auf, welche die Meldung gemacht hat und klären die Details ab. Natürlich kann man nur in den seltensten Fällen sofort einen Kindsmissbrauch nachweisen, aber vielleicht ist dieser Hinweis das Puzzlestück, das noch gefehlt hat, um auf andere Hinweise reagieren zu können.
Braucht es dazu nicht auch die lokale Polizei?
Doch natürlich, die zuständigen Behörden arbeiten eng zusammen. Meine Vision ist, dass solche Meldeformulare irgendwann weltweit eingesetzt werden.
Kritiker befürchten, dass diese Formulare der Verleumdung Tür und Tor öffnen.
Ich habe fünf Jahre auf der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internet-Kriminalität gearbeitet. Dort setzt man seit Langem ein solches Formular ein. Bewusste Falschangaben gibt es praktisch nicht. Zudem sind die eingesetzten Polizisten geschult in der Einordnung solcher Verdachtsmeldungen. Sie schreiten erst ein, wenn die Hinweise rechtlich relevant erscheinen. Und vor allem: Was ist die Alternative dazu? Die Kinder sich selber zu überlassen? Weiterhin wegschauen? Das ist sicher keine Lösung.
Nicht wegsehen!
Wenn Sie während Ihres Ferienaufenthaltes im Ausland Zeuge im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung von Kindern durch Touristen werden, können Sie mittels eines Meldeformulars auf www.stopchildsextourism.ch die zuständigen Behörden informieren. Die Angaben werden vertraulich behandelt.
Sprechen wir über Sie: Wie wird man vom CEO einer Baufirma zur Kämpferin gegen Kindersextourismus?
Angefangen hat das alles mit einem unbestimmten BauchgefühL Es klingt vielleicht etwas platt, aber mir fehlte so etwas wie der tiefere Sinn in meiner Arbeit. Ich hatte das Gefühl, nicht das zu tun, was ich wirklich gut kann. Irgendwann verliess ich den Bürostuhl in unserem Familienunternehmen und ging als Menschenrechts-Beobachterin nach Mexiko.
Ihre Eltern waren sicher hell begeistert?
Nicht wirklich (lacht). Aber meine Familie hat mich immer unterstützt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Was machten Sie in Mexiko genau?
Zuerst arbeitete ich als Juristin in einer Organisation, die versuchte, die Rechte von Indigenen im Chiapaskonflikt zu schützen. Danach hängte ich ein Freiwilligenjahr in Mexiko City an. Ich engagierte mich in einer Organisation für Strassenkinder. Das prägte mich nachhaltig. Bis heute ziehe ich einen grossen Teil meiner Motivation aus dem Jahr mit den Strassenkindern.
Das klingt jetzt schon fast zu schön. Sie haben bestimmt viel Elend erlebt.
Ich sage es lieber so: Ich habe viel Extremes gesehen. Himmel und Hölle liegen in Mexiko City nahe beieinander. Was ich aber gar nicht mag, ist diese Ehrfurcht vor Menschen, die solche Einsätze leisten. Ich gehe davon aus, dass man dabei persönlich genauso viel bekommt, wie die Menschen, für die man sich einsetzt.
Wie haben Sie denn profitiert in Mexico City?
«Profitiert» ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, ich habe vor allem viel gelernt. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine junge Frau, die bei uns Hilfe suchte. Sie war bereits Mutter, schwer drogenabhängig und prostituierte sich. Sie kam zu uns, weil sie vergewaltigt worden war. Ich bestärkte sie darin, Anzeige zu erstatten und begleitete sie auf die Staatsanwaltschaft. Sie kam sauber gekleidet und drogenfrei, aber natürlich in einem ihrer üblichen Miniröcke. Die Staatsanwältin schnauzte mich blass an: Der Aufwand lohne sich doch nicht für so eine. Die junge Frau sagte kein Wort, aber ich wusste, dass sich ihre Zweifel bestätigt hatten. Ich fühlte mich machtlos und ohnmächtig, mein juristisches Rüstzeug nützte mir in diesem Moment einfach gar nichts. Ich musste erfahren, dass die Justiz nicht per se gerecht ist, dass man als Juristin nicht immer Gerechtigkeit schaffen kann. Letztlich musste ich erfahren, dass die Strassenkinder recht hatten, wenn sie sagten: Gerechtigkeit gibt es nur für die Reichen.
Trotzdem sind Sie nach Ihrer Rückkehr in die Schweiz nicht in die Baufirma zurückgekehrt, sondern heuerten als Juristin beim Bundesamt für Polizei an.
Mein Berufsverständnis hatte sich in der Zwischenzeit deutlich verändert. Ich hatte gelernt, mich nicht mehr über Siege oder Niederlagen zu definieren, sondern mich an Kleinigkeiten zu halten. Mein neues Selbstverständnis lautet: Auch wenn etwas nicht auf Anhieb gelingt - nicht aufgeben, einfach weiter arbeiten.
Eine Einstellung, die man bei der Bekämpfung von Kinderpornografie sicher gut gebrauchen kann. Was aber tut man gegen das Abstumpfen?
Natürlich gibt es Momente, die einen aufwühlen, aber man darf nicht vergessen, dass wir als Beamte nicht dieselbe Ohnmacht erleben wie «normale» Menschen, die so etwas zu Gesicht bekommen. Wir können etwas unternehmen. Das hilft enorm. Trotzdem: Sieht man nach so einem Tag nicht in jedem Mann ein Monster? Wenn das geschehen wäre, hätte ich etwas falsch gemacht. Aber es ist schon so, ich würde heute nie mehr sagen: Das überrascht mich jetzt.
Aufgewachsen in einer Zuger Unternehmerfamilie, übernahm Ronja Tschümperlin nach dem Jura Studium die Geschäftsführung des elterlichen Betriebs. Mit 33 Jahren ging sie für ein Jahr nach Mexiko, um sich für Ureinwohner und Strassenkinder einzusetzen. Zurück in der Schweiz arbeitete sie für die Koordinationsstelle Bekämpfung Internet-Kriminalität (Kobik). Heute ist Ronja Tschümperlin stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung Kinderschutz Schweiz und Leiterin der Fachsteile ECPAT Switzerland, der einzigen international anerkannten Organisation, die sich ausschliesslich mit der Prävention und der Bekämpfung von kommerzieller sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzt.