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Papacode
«Papi, spiel richtig!»
Unser Kolumnist Reto ist im Clinch. Früher hat er bei Uno die fiesen Karten behalten oder beim Fussball danebengeschossen – und die Kinder waren glücklich. Heute durchschauen sie ihn sofort. Sie wollen fair gewinnen, aber wenn sie verlieren, werden sie wütend. Was also ist zu tun?
Mittlerweile bringe ich schon einige Jahre Erfahrung als Vater mit, aber in einer Frage fühle ich mich nach wie vor wie ein Anfänger: Gewinnen oder verlieren? Richtig spielen oder doch ein Auge zudrücken? Vier gewinnt, Jassen, Schutte bei uns im Garten oder an der Playstation, Uno oder Mario Kart: Wenn ich gegen meine Neunjährigen spiele, dann wirds ernst. Wenn wir im Wettkampfmodus sind, schwebt das Zitat des schottischen Fussballtrainers Bill Shankly wie eine dunkle Wolke über uns. Er sagte: «Einige Leute halten Fussball für eine Sache von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist !» Bei uns zu Hause wird nicht «nur» gespielt. Jedes Spiel ist ein Wettkampf, jedes Rennen eine Meisterschaft. Und ich mittendrin: Vater, Gegner, Mitspieler, Trainer, Schiri, Mannschaftsarzt und manchmal auch Friedensrichter in Personalunion. Wenn ich gewinne, ist das «fies» oder «unfair». Verliere ich absichtlich, bleibt das selten unbemerkt und dann heisst es: «Jetzt machst dus ja extra!» Früher war das einfacher. Da konnte ich noch absichtlich verlieren, ohne dass es jemand merkte. Ich habe bei Uno die fiesen Karten behalten, bei Vier gewinnt falsch gesetzt oder beim Fussball aus Versehen danebengeschossen – und in glückliche Kinderaugen geblickt. Heute durchschauen sie jeden Trick. «Papi, spiel richtig !» Sie wollen gewinnen, allerdings nur, wenn es sich wie ein echter Triumph anfühlt. Verlieren indes ist wiederum auch nicht recht.
Fifa kennt keine Deeskalation
Das gilt für jedes Spiel, ob auf dem echten oder dem virtuellen Rasen. Wobei die Jungs draussen mittlerweile durchaus gegen mich gewinnen können, selbst wenn ich mir Mühe gebe. (Der Zahn der Zeit, Sie kennen das). An der Konsole bin ich aber noch überlegen: Schiesse ich bei Fifa mit einem durchschnittlich begabten FC-Winti-Stürmer ein Tor gegen Junior, der mit dem Controller Bayern-Hüter Manuel Neuer dirigiert, tönt es augenrollend «Papiii ...» und ich spüre, wie die Wut langsam in ihm hochkocht. Ich versuche, mich zurückzuhalten. Kein Torjubel, kein provozierendes Replay (und wenn es doch anläuft: «Papi, drück X!!!).
Ich versuche also, deeskalierend zu wirken. Aber Fifa kennt keine Deeskalation. Spätestens beim nächsten Eckball höre ich: «Jetzt spiel endlich normal!» Was so viel heisst wie: «Lass mich gewinnen, aber so, dass es sich nicht so anfühlt.» Ich mag Herausforderungen, wirklich. Aber an dieser bin ich noch jedes Mal gescheitert. Soll ich richtig spielen, frage ich mittlerweile, bevor wir anfangen. Oder noch besser: Komm, wir spielen zusammen gegen den Computer. Beides hilft nur manchmal.
Es ist ein pädagogischer Teufelskreis. Zwischen Fördern und Fordern, Gewinnen lassen und Grenzen setzen. Aber gewinnen oder verlieren – das ist eigentlich gar nicht die Frage. Die richtige Frage ist: Wie gewinnt – oder verliert – man als Vater gegen seine Söhne richtig? Knapp? Das ist verdächtig. Deutlich? Unnötig demütigend. Absichtlich? Sofort enttarnt. Als Vater hat man zwei Aufgaben gleichzeitig: das Spiel mit seinen Kindern ernst nehmen – und sich nicht zu ernst nehmen. Klappt das? Nein. Also fast nie. Aber das macht nichts. Hauptsache, wir spielen. Streiten, lachen, schmollen und spielen wieder. Schliesslich lernt man aus jeder Niederlage. Ausser natürlich bei Mario Kart, da ist jede Pleite reine Willkür. Aber trotz allem Ärger und allen pädagogischen Herausforderungen: Es gibt kaum etwas Schöneres, als von den eigenen Kindern besiegt zu werden und zu merken, wie sie mit dem Ball am Fuss, dem Controller in der Hand und den Figuren auf dem Brett immer besser werden. Aber bis das bei Fifa passiert, dauert es noch ein Weilchen ... Vielleicht.
PS: Sollten meine Eltern diesen Text lesen: Entschuldigung für meine Wutausbrüche beim Zocken früher. Ich nehme die «Strafe» an.