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Bildschirmzeit
Der richtige Umgang mit der Bildschirmzeit
Griffige Regeln helfen Eltern dabei, die Bildschirmzeit ihrer Kinder auf ein gesundes Mass zu beschränken. Neue Empfehlungen fokussieren aber auf Begleitung statt auf starre Zeitlimits.
«Nur noch fünf Minuten!» Welche Eltern kennen nicht diesen Satz, wenn der Nachwuchs vor dem Bildschirm sitzt? Oder: «Ich muss noch dieses Level zu Ende spielen.» Wenn Kinder an der Konsole zocken, auf dem Tablet eine App ausprobieren oder Netflix schauen, endet das nicht selten mit einer Auseinandersetzung zwischen Eltern und Kindern.
Zwar nutzen die Eltern selbst ständig digitale Medien und wollen ihren Kindern Erfahrungen mit den Geräten und Inhalten ermöglichen, doch wollen sie ihre Kinder auch vor dem Sog schützen und sie zu anderen Aktivitäten ermuntern.
Mit Tablet, Fernseher, Apps, Konsolen, Computer, Smartphone und Streamingdiensten gibt es heute deutlich mehr Möglichkeiten und Versuchungen am Bildschirm, als es die jetzige Elterngeneration in ihrer Kindheit kannte. Entsprechend schwingt bei Eltern bisweilen Verunsicherung mit. Was ist denn nun ein gesundes Mass an Bildschirmzeit?
Empfehlungen Bildschirmzeit für Kinder
In diesem Artikel geben wir, gestützt auf Expertenstimmen, vier Empfehlungen:
- Je jünger das Kind, desto weniger Zeit vor dem Screen
- Begleitung ist bei digitalen Medien zentral
- Regeln aufsetzen – und diese auch mal biegen
- Tipps für Eltern
Lesen Sie im folgenden die ausführlichen Argumente zu diesen Empfehlungen.
Mehr Bildschirmzeit je älter das Kind
Medienpädagoge Joachim Zahn unterscheidet drei Altersphasen und gibt dafür folgende Empfehlungen ab: Bis zum Kindergartenalter sollten Kinder maximal 30 Minuten am Tag Zeit vor einem Bildschirm verbringen. Für Kinder bis zum Alter von neun Jahren empfiehlt der Projektleiter bei zischtig.ch, Verein für Medienbildung und Prävention, maximal fünf bis sieben Stunden pro Woche und zwischen neun und zwölf Jahren sollten es nicht mehr als maximal zehn Stunden pro Woche sein. Ähnliche Empfehlungen gibt Jugend und Medien, das nationale Informationsportal zur Förderung von Medienkompetenzen.
Eine griffige Regel formulierte 2008 der französische Psychoanalytiker Serge Tisseron: 3-6-9-12. Gemeint ist: kein Bildschirm unter drei Jahren, keine eigene Spielkonsole vor sechs, kein Internet vor neun und kein unbeaufsichtigtes Internet vor zwölf.
Erst kürzlich hat Tisseron seine Regel aktualisiertund aufgrund der Omnipräsenz von Bildschirmen im heutigen Familienalltag angepasst: Angesichts des enormen kreativen und interaktiven Potenzials digitaler Medien stellt Tisseron heute nicht mehr konkrete Vorgaben und Beschränkungen in den Mittelpunkt, sondern empfiehlt primär Begleitung und gemeinsame Diskussion. Zentrale Aussagen von ihm sind: Nutzen Sie Medien gemeinsam, erklären Sie ihrem Kind das Internet und verwenden Sie Bildschirme kreativ.

Kinder in der digitalen Welt begleiten
Auch für Philippe Wampfler, Lehrer und Experte für Neue Medien, ist die Begleitung ein wesentlicher Aspekt: «Kinder dürfen auch mit fünf einmal einen ganzen Film sehen an einem Abend, auch an einem Laptop oder einem Tablet, wenn die Eltern oder Geschwister dabei sind und das Kind emotional begleiten.» Und er ergänzt: «Begleitung ist der richtige Weg. Wer diese nicht anbietet, überlässt Medienpädagogik dem Nachbarskind, das dann die ersten Erfahrungen mit Games, YouTube-Videos oder Netzinhalten anleitet.»
Das bedeutet auch: Eltern müssen Kindern zuhören, ihnen Inhalte erklären und diskutieren. Genau hier sollten sich Eltern laut Erhebungen noch stärker bemühen: Während gemäss ADELE-Studie 2018 der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften fast alle Eltern auf Zeit- und Häufigkeitsbegrenzungen für die Mediennutzung ihrer Kinder setzen, achtet nur etwas mehr als die Hälfte auf die Inhalte, die ihre Kinder konsumieren.
Dabei wäre genau dies zentral, weil Kinder, abhängig von ihrer Entwicklungsphase, Medien völlig unterschiedlich wahrnehmen. So ist für Drei- bis Fünfjährige die TV-Welt durchaus Wirklichkeit. Sie können nicht erkennen, was auf dem Bildschirm real ist und was inszeniert.
Und wenn auf YouTube die jungen Zuschauer ungefiltert Zugriff auf weitere Videovorschläge haben und dort automatisch zum nächsten Video weitergeleitet werden, laufen sie Gefahr auf Inhalte zu treffen, die nicht altersgerecht sind und verstörend wirken.
Regeln zur Bildschirmzeit darf man biegen
Idealerweise begrenzen Eltern also die Mediennutzungszeit ihrer Kinder und begleiten sie beim Medienkonsum. Zeitlimits hinsichtlich des Umfangs der Mediennutzung geben den Kindern Halt und Orientierung. Doch müssen sie nicht unumstösslich sein. Verbringen Kinder genügend Zeit mit Offline-Aktivitäten, so sind Ausnahmen durchaus vertretbar.
Medienpädagoge Joachim Zahn sagt hierzu: «Wenn Kinder oder Jugendliche die Medien kreativ nutzen, so darf oder soll man Ausnahmen machen. Schliesslich kann man auf Handys und Tablets heute auch zeichnen, schreiben, Filme schneiden, layouten etc. Ausnahmsweise kann es auch mal sein, dass ein Kind in einem Game gerade an einem kniffligen Problem arbeitet. In solchen Situationen können Eltern den Problemlöse-Moment würdigen und ein Auge zudrücken.»
Trotz Zeitlimits, Regeln und Begleitung wird die Mediennutzung der Kinder kaum ohne jegliche Auseinandersetzungen stattfinden. Oder um es mit den Worten von Philippe Wampfler zu sagen: «Wenn ein Zwölfjähriger unbedingt noch eine Runde Fortnite spielen will, vergisst er das Zeitbudget. Dann braucht es immer eine Auseinandersetzung.»
Tipps für Eltern
♦ Klare Medienregeln geben Halt. Ausnahmen darf es geben.
♦ Kinder tauchen beim Medienkonsum in eine andere Welt ab und können sich nicht selbst begrenzen. Sie benötigen Hilfen: Eltern, Wecker und Kindersicherungen (etwa bei Konsole und Tablet).
♦ Bis zum dritten Schuljahr sollten Eltern die Zeitlimits vorgeben. Ab dem vierten Schuljahr können diese mit den Kindern verhandelt werden.
♦ Begleitung und Auseinandersetzung sind wesentliche Bestandteile der Medienerziehung.
♦ Medien gehören heute zum Alltag. Kinder sollten sich nicht ausgegrenzt fühlen. Verbote können umgangen werden, etwa bei Freunden.
♦ Ein bestehendes Verbot macht es Kindern unmöglich, mit Eltern über verstörende Inhalte zu sprechen.
♦ Eltern und ihre Mediennutzung dienen Kindern als Vorbild.
♦ Keine Bildschirmnutzung unmittelbar vor dem Zubettgehen.
♦ Vorher abmachen, was nach dem Medienkonsum kommt und auf diese Weise eine «Brücke» bauen, um das Kind vom Bildschirm wegzubekommen.
♦ Alternativen fördern! Wie und wo macht Bewegung Spass? Welche Hobbys oder Aktivitäten möchte das Kind einmal ausprobieren?