Per Knopfdruck zur schmerzfreien Geburt – Spitäler werben für umstrittenen «Happy Button»
Von watson
Mit einer Pumpe können sich Gebärende in gewissen Schweizer Spitälern selbst Schmerzmittel verabreichen. Das Medikament gehört zur selben Stoffgruppe wie Heroin – und ist für Geburten offiziell nicht zugelassen. Das weckt Kritik.
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1. Peng. Mit einem kleinen Knall und einem Schwall Wasser fängt die Geburt manchmal an: Blasensprung. Meist geht es innerhalb der nächsten 12 Stunden los. Krankenhaus oder Hebamme anrufen und sich auf den Weg machen. Beste Position beim Warten: liegen.
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2. Es zieht im Bauch. Kontraktionen sind zwar ab etwa der Mitte der Schwangerschaft üblich. Werden sie aber heftiger und treten in 10 Minuten-Abständen auf, ist die Geburt meist eingeläutet. Ein warmes Bad trennt «echte» von «falschen» Wehen.
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3. Hummeln im Hemd. Wenn die Schwangere plötzlich vor Energie aus allen Nähten platzt, unerklärliche Unruhe verspürt und keinen Moment stillsitzen mag, kann das ein Anzeichen für den Geburtsbeginn sein. Der Körper ahnt, dass bald Einschneidendes passiert.
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4. Unappetitlichkeit 1: Igitt, was ist denn das? Plötzlich ist im Slip schleimig blutiger Ausfluss? Keine Panik. Fachleute nennen das «zeichnen». Ein Schleimpfropf geht ab und zeigt den baldigen Geburtsbeginn an.
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5. & 6. Unappetitlichkeit 2 und 3: Durchfall und Erbrechen. Das Kind macht sich den Weg frei. Bei manchen Schwangeren führt das zu Erscheinungen wie bei einer heftigen Magen-Darmgrippe. Zur Absicherung trotzdem am besten die Hebamme anrufen.
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7. Abgesackter Bauch. Bisher hatten sie eine perfekte runde Kugel, schön mittig platziert. Und jetzt hängt die ganze Pracht nach unten? Prima, gekoppelt mit Senkwehen ist das ein Indiz, dass sich das Kind Richtung Ausgang aufgemacht hat.
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8. Stille: Die ganze Schwangerschaft über hat das Baby getobt, gekickt und geturnt? Und nun herrscht Stille im Schoss? Das ist nicht weiter beunruhigend, denn das Kind hat jetzt einfach keinen Platz mehr. Bald kann es dann ja draussen strampeln…
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Merke: Geburten laufen nicht nach Schema F und nur sehr selten wie in Hollywoodfilmen ab. Also keine Angst: den Beginn verpasst wohl kaum eine Frau, die Geburt im Taxi ist eine Rarität...
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...In allen Zweifelsfällen und bei allem Ungewöhnlichen immer: Arzt, Klinik und Hebamme anrufen. Lieber einmal, zweimal, fünfmal zu viel als ein einziges Mal zu wenig.
An einem Infoabend in einem Zürcher Spital hört die schwangere Sina* den Ausdruck zum ersten Mal: «Happy Button». Das Wort klingt bunt, lustig – und will so gar nicht in die sterile Krankenhaus-Atmosphäre passen. Die Hebamme, die durch den Abend führt, klärt auf: Es handle sich um eine Handpumpe, mit der sich die Gebärende selbst Schmerzmittel verabreichen könne. «Die Geburtshelferin legte uns die Vorteile der Methode wortreich dar», erzählt Sina.
Immer mehr Schweizer Spitäler bieten Frauen die Möglichkeit, den Schmerz während der Wehen per Knopfdruck zu lindern. Die Substanz, die sich die Gebärenden mit dem «Happy Button» per Infusion in die Venen pumpen, heisst Remifentanil. Dieses gehört zu den Opiaten – also zur selben Stoffgruppe wie Heroin oder Morphium. Vertrieben wird das Medikament unter dem Namen Ultiva.
Pikant: Während das Mittel bei Operationen schon lange für die Narkose verwendet wird, ist eine Anwendung bei Geburten nicht offiziell zugelassen. Fachpersonen sprechen in solchen Fällen von einem «off label use». Entsprechend umstritten ist der «Happy Button» bei Medizinern, wie eine watson-Recherche zeigt.
«Ich persönlich bin der Meinung, dass die Gefahr eher unterschätzt wird.»
«Es gibt Ärzte, die diese Methode lieber heute als morgen verbieten würden», bestätigt Thierry Girard, Leiter der geburtshilflichen Anästhesie am Universitätsspital Basel. Gleichzeitig gebe es auch feurige Befürworter. «Ich persönlich bin der Meinung, dass die Gefahr eher unterschätzt wird.» Girard selber fordert kein Verbot, hält es aber für unangebracht, das Produkt unter dem Marketing-Namen «Happy Button» anzupreisen: «Man muss sich bewusst sein, dass sich dahinter ein sehr potentes Opioid verbirgt.»
Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz. Aber auch Atemprobleme können auftreten – bei der Mutter und beim Kind. Werde das Mittel richtig angewandt, seien die Risiken zwar gering, so Girard. Aber: «Anästhesisten sind den Umgang mit Remifentanil aus dem Operationssaal gewohnt, was bei Hebammen und Geburtshelfern nicht der Fall ist.» Er verweist auf mehrere dokumentierte Fälle, in denen die Gebärende einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt.
«Es kann sein, dass man sich etwas ‹high› fühlt.»
Auch Sina stösst auf solche Informationen, als sie sich im Internet über die Methode schlau macht. Daraufhin hakt sie bei der Klinik nach. «Es stimmt, dass man Ultiva in den ca. letzten 15 Minuten vor der Geburt nicht einsetzen sollte. Der Grund ist eine mögliche atemdeprimierende Wirkung auf das Neugeborene», antwortet ihr der Klinikleiter in einem Mail.
Jedes Opiat bremse die Atmung in höherer Dosierung, so der Arzt weiter. Im Gegensatz zu Heroin und Morphin sei die Wirkungsdauer von Ultiva aber sehr kurz. Die schmerzstillende Wirkung setzt innert Sekunden ein – flacht aber auch bald wieder ab. «Es kann sein, dass man sich etwas ‹high› fühlt. Deshalb der Begriff ‹Happy Button› für den Steuerknopf», schreibt der Arzt weiter.
«Bevor keine zuverlässigen Langzeitstudien existieren, mache ich hier grosse Fragezeichen.»
Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic bestätigt, Ultiva sei in der Schweiz lediglich für chirurgische Eingriffe zugelassen. «Ein allfälliger off-label-use ist in der alleinigen Verantwortung des behandelnden Arztes.» Patientenschützerin Margrit Kessler rät Frauen davon ab, eine nicht zugelassene Behandlungsmethode in Anspruch zu nehmen. «Bevor keine zuverlässigen Langzeitstudien existieren, mache ich hier grosse Fragezeichen.»
Laut Anästhesist Thierry Girard ist es zwar nicht ungewöhnlich, dass in der Geburtshilfe Medikamente verschrieben werden, die nicht speziell für diesen Bereich zugelassen sind. Allerdings sei der «Happy Button» nicht mit anderen off-label-Anwendungen vergleichbar. «Ultiva wird im OP ganz anders genutzt als im Geburtssaal, so eine Handpumpe gibt es sonst nirgends.»
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