
Silas Zindel
Berufswege
Von Beruf zu Berufung
Vier Eltern erzählen, warum sie beruflich neu starteten – und was sie dabei gewonnen haben.
Viele Menschen träumen vom beruflichen Neuanfang – in der Schweiz sind es fast zwei Drittel der Arbeitnehmenden. Laut einer Umfrage eines führenden Personalvermittlers von 2024 wünschen sich 65 Prozent einen Jobwechsel. Ob es bei diesem Wunsch bleibt oder jemand tatsächlich eine Ausbildung beginnt oder gar das Berufsfeld wechselt, ist offen. Sicher ist: Besonders ab 40 Jahren spielt die Frage nach einer Umorientierung eine wichtige Rolle. Deshalb lancierte der Bund 2021 das Projekt «viamia», das kostenlose Standortbestimmung und Laufbahnberatung für Menschen ab 40 anbietet. Bis Ende 2024 haben rund 23’000 Personen davon Gebrauch gemacht.
Darunter wohl auch einige Mütter und Väter. Denn obwohl die Familienphase Ressourcen bindet, stösst sie nicht selten Veränderungen an. «Die Elternschaft geht oft einher mit einer Verschiebung persönlicher Werte oder Prioritäten. Das kann sich auch auf den Beruf auswirken», sagt Ladina Schmidt, Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Laut Schmidt geht es während dieser Lebensphase häufig um Vereinbarkeit, die Sinnfrage, den Wiedereinstieg oder Zukunftsaussichten.
Wir haben mit vier Eltern gesprochen, die diesen Schritt gewagt haben. Manche aus innerem Bedürfnis, andere aus Notwendigkeit – oder aus beidem. Trotz unterschiedlicher Beweggründe sind sich alle vier in einem Punkt einig: Es hat sich gelohnt.
aus Zürich; eine Tochter, 7 und ein Sohn, 3, einst Architektin,
seit 2021 Mitarbeiterin in einer Baumschule und Gründerin von bee Mine

Als Corinne kündigte, hatte sie keinen Plan für die Zukunft. «Ich wusste nicht, was ich machen will, ich wusste nur: Diesen Job möchte ich nicht mehr.» Das war im Frühling 2021. Corinne war Architektin. Ihre Arbeit war identitätsstiftend. Sie hatte in Basel und Paris studiert, arbeitete in diversen Büros und an der Hochschule Luzern. Sowohl ihr Partner als auch viele Freund:innen sind Architekt:innen. Aber Corinne «gnüegelete» es. Da war einerseits das Problem mit der Vereinbarkeit. Die Zürcherin arbeitete vor ihrer Kündigung in einem 60-Prozent-Pensum in einem Architekturbüro, ihre Tochter war drei Jahre alt. «Ich arbeitete deutlich mehr, als mein Pensum vorsah.» Andererseits hatte sie genug von der Büroarbeit. Als sie den Stress körperlich spürte, ging sie. Ein Monat nach ihrer Kündigung war sie schwanger. Was für ein schlechtes Timing, dachte sie erst. Dann beschloss sie, das Ganze als Chance zu sehen.
Der Wechsel, den sie vollzog, wirkt radikal oder zumindest mutig. Corinne bewarb sich bei einer Baumschule. Nicht als Mitarbeiterin für die Gartenplanung, sondern für die Feldarbeit. Sie selbst sagt bescheiden: «Ich fand meine Entscheidung nicht so mutig. Denn ich kam einer meiner Ideen etwas näher.» Corinne wollte Schnittblumen anpflanzen und verkaufen. Die Vielfalt an Farben und Formen der Schnittblumen fasziniert sie. Gleichzeitig stellte sie fest, dass diese Vielfalt im Handel nicht zu finden ist. Ihre Lebenssituation liess nicht zu, «all in» zu gehen. Corinne musste und wollte zum Familieneinkommen beitragen, ihre zeitlichen Ressourcen waren begrenzt. Die Baumschule war eine Möglichkeit für den Einstieg in die Branche. Allerdings hätte Corinne nicht gedacht, dass sie diese Chance bekommen würde – schwanger und ohne Erfahrung. Den Chef der Baumschule störte das nicht.
Bis heute arbeitet Corinne in dieser Baumschule und ist glücklich. Sie mag die saisonalen Tätigkeiten, die Pflege der Pflanzen, die körperliche Arbeit, das Draussensein – ob bei Hitze oder Regen. Am liebsten schüttelt sie im Winter Bäume und befreit sie vom Schnee. «Dass die Natur den Takt meiner Arbeit vorgibt, finde ich toll und herausfordernd zugleich», erzählt sie. Zudem ist Corinne ihrem Traum einen Schritt nähergekommen. Sie bewirtschaftet ein eigenes, 500 Quadratmeter grosses Feld mit Schnittblumen. Unter ihrem Label «bee Mine» beliefert sie zwei Blumengeschäfte in Zürich sowie Privatpersonen, die ein Blumenabo haben. Aktuell arbeitet sie in einem 50-Prozent-Pensum in der Baumschule, weitere 10 Prozent investiert sie in ihr Feld. Ihr Ziel: Sich irgendwann voll ihren Blumen widmen und die Tätigkeit in der Baumschule reduzieren. «Manchmal ist es schwierig zu akzeptieren, dass meine Lebenssituation nicht mehr produktive Zeit für mein Vorhaben zulässt», sagt Corinne. Auch weil man ständig sehe, was andere schaffen, etwa in den sozialen Medien. Corinne versucht, sich abzugrenzen und grosszügig mit sich zu sein: «Das ist hin und wieder eine Herausforderung, aber ich arbeite daran.»
Die 40-Jährige musste sich mit ihrem Wechsel an manche Dinge gewöhnen. Beispielsweise nicht mehr Architektin zu sein oder mit Arbeitskleidern Tram zu fahren. Gleichzeitig spürt sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hat. «Ich bin zu Hause präsenter, keine Calls, keine Mails. Die körperliche Arbeit tut mir gut und macht mich ruhiger.» Ihr Partner habe mal gesagt, sie wirke abends, als käme sie vom Wandern – müde aber zufrieden. Und: «Ich lebe meinen Kindern vor, dass mich mein Job glücklich macht und genauso, dass man einen vorgegebenen Weg verlassen darf, wenn er einen nicht mehr glücklich macht.»
aus Menzingen; eine Tochter, 2,
einst angestellt im Marketing- und Salesbereich,
seit 2024 selbstständige Unternehmerin und Gründerin

Sicherheit war Tanja immer wichtig. Die Gewissheit, dass Ende des Monats ein fixer Betrag auf ihr Konto fliesst, beruhigte sie. Sie sparte gewissenhaft und kümmerte sich schon früh um ihre Altersvorsorge. Zwar hatte die 40-Jährige immer wieder Lust, selbst ein Unternehmen zu gründen, ihr Sicherheitsbedürfnis hielt sie jedoch davon ab. Bis sie im Dezember 2023 Mutter wurde. «Mit der Geburt meiner Tochter stand meine Welt Kopf. Vieles, was mir bis dahin wichtig war, wurde nebensächlich», erzählt sie.
Tanja hat diverse berufliche Stationen durchlaufen. Den Grossteil ihrer Zeit verbrachte sie mit Projektmanagement sowie in Marketing- und Salesabteilungen. In ihrer letzten Festanstellung führte sie zwei Jobs gleichzeitig aus. Das war zu viel. Sie war erschöpft und stand kurz vor einem Burn-out. Hinzu kam, dass Tanja und ihr Partner seit einiger Zeit versuchten, ein Kind zu bekommen – ohne Erfolg. «Ich spürte, dass der Stress ein wesentlicher Faktor war, weshalb es nicht klappte.» Im Herbst 2022 schrieb eine Psychologin Tanja krank, im Februar 2023 verliess sie ihren Job. Ein Monat später war sie schwanger.
Während der Schwangerschaft arbeitete Tanja in einer befristeten Anstellung mit der Aussicht, ein halbes Jahr nach der Geburt dort Teilzeit starten zu können. Der Plan schien ideal. Je näher aber der erste Arbeitstag nach der Geburt rückte, umso unwohler fühlte sich Tanja. Sie wollte ihre Tage nicht in irgendeinem Büro verbringen und ihre Tochter deshalb abgeben. «Wir hatten so lange auf dieses Kind gewartet, ich wollte mehr Zeit mit ihr verbringen.» Sie beschloss, die Stelle nicht anzutreten. Der Entscheid war zwar eine Erleichterung, brachte aber auch eine grosse Frage mit sich: Wie geht es beruflich weiter? Ein Bedürfnis aus der Elternschaft lieferte Tanja die Antwort: «Mein Partner und ich hatten Mühe, für uns passende Babyausstattung zu finden. Ich dachte, das ist ein Feld für mich.» Tanja begann zu recherchieren und beschloss, zu wagen, wozu ihr bisher der Mut gefehlt hatte: Gemeinsam mit ihrem Partner und einem Teil seiner Familie gründete sie im November 2024 ihr Unternehmen. Im April ging ihr Shop needs.ch online.
Die Gründung brachte Tanja all das, was sie sich wünschte: Sie arbeitet zu Hause und kann ihre Tochter jederzeit sehen, denn die Kleine wird von den Grosseltern betreut. Die Arbeit macht ihr Freude, ihre Energie fliesst in ein eigenes Projekt. Nur in Sachen Sicherheit muss sie Abstriche machen: Während der Aufbauphase steckten Tanja und ihr Partner ihre ganze Zeit sowie einiges an Erspartem ins Unternehmen. Inzwischen ist Tanjas Partner wieder angestellt. Trotzdem packt die 40-Jährige hin und wieder die Angst: «Etwa einmal im Monat denke ich: Das Risiko ist zu gross. Ich brauche auch eine Anstellung.»
Bisher hat sie diesem Impuls nicht nachgegeben – auch für ihre Tochter: «Ich will für sie ein Vorbild sein und ihr zeigen, dass man seine Ideen verfolgen soll. Die Elternschaft hat mich mutig gemacht. Meine Tochter gab mir den letzten Kick, den Schritt zu wagen.»
Eine Umorientierung braucht Energie und Ressourcen – zeitlich wie finanziell. Dinge, die Eltern oft nicht in grossen Mengen zur Verfügung haben. Ladina Schmidt weiss, was nötig ist, damit eine Veränderung trotzdem gelingen kann. Fünf Tipps:
Richtiger Zeitpunkt:
«Der richtige Zeitpunkt für eine Veränderung ist individuell. Manche Eltern finden es besser, wenn die Kinder klein sind, andere, wenn sie etwas grösser sind. Wichtig sind zwei Punkte. Erstens: Man sollte sich ehrlich fragen: Wo stehe ich, und wie viel ist gerade möglich? Zweitens: Spürt man eine berufliche Unzufriedenheit, lohnt es sich, hinzuschauen und das nicht über Jahre zu ertragen. Manchmal reichen schon kleine Veränderungen für eine Verbesserung.»
Kommunizieren und planen:
«Die berufliche Veränderung eines Elternteils hat Folgen für die ganze Familie. Entsprechend ist es wichtig, im Vorfeld offen zu kommunizieren, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder anzuschauen und über die Organisation zu reden. Die Unterstützung des/der Partner:in ist für viele eine sehr wichtige Voraussetzung. Auch während des Prozesses lohnt es sich, immer wieder mal innezuhalten und allenfalls Dinge anzupassen.»
Ressourcen nutzen:
«Veränderungen können auch Anstrengungen bedeuten. Entsprechend kann es eine grosse Unterstützung sein, zusätzliche Ressourcen aus dem Umfeld zu nutzen, beispielsweise Grosseltern, Freund:innen, die Nachbarschaft.»
Prioritäten statt Perfektion:
Puffer ist wichtig. Um den zu haben, plant man seine zeitlichen Ressourcen idealerweise nur zu 80 Prozent voll. So bleibt wenigstens ein bisschen Platz für Unvorhergesehenes wie etwa ein krankes Kind. Dazu gehört auch, Prioritäten zu setzen und allenfalls auch mal zu verzichten. Das ist nicht immer einfach. Hilfreich kann sein, sich zu fragen: Was ist mir wirklich wichtig? Was verdient meine Zeit und Energie? Und schliesslich darf man mit sich selbst grosszügig sein: Man muss nicht alles schaffen. Man darf eine Ausbildung oder einen Weg auch unterbrechen, ohne gleich gescheitert zu sein.»
Impulse von aussen:
Eine unabhängige Beratung ist ein freier Denkraum, ein Zeitfenster, in dem man sich mit sich und seinen Bedürfnissen befassen kann. Ausserdem kann sie neue Wege aufzeigen. Für eine Veränderung braucht es nämlich nicht immer die vierjährige Ausbildung, manchmal sind auch kleine Schritte möglich.»
aus Berlin; eine Tochter, 10,
einst in der Gastronomie tätig,
seit 2017 Erzieher in einer Kita

«Ich zog durch Berlin und verteilte meinen Lebenslauf.» So lautet die Kurzversion von Olivers Jobsuche. Oliver ist kein leichtsinniger Typ. Im Gespräch nimmt er sich Zeit, bevor er antwortet. Er wählt seine Worte mit Bedacht. Gleichzeitig sind seine Aussagen klar, genauso wie sein Handeln: Hat er sich für etwas entschieden, zieht er es durch. Ohne Zögern, ohne Zweifel. Das war schon vor 20 Jahren so. Damals lernte der Aargauer seine heutige Frau kennen. Beide arbeiteten im Restaurant eines Luzerner Hotels. Es funkte. Doch mit dem Ende der Saison musste Olivers Freundin zurück in ihre Heimat nach Berlin. Dort wartete ein Studienplatz auf sie. Oliver entschied nach kurzer Bedenkzeit, sie zu begleiten. Bis heute lebt der 51-Jährige in der deutschen Hauptstadt.
Seinem Beruf blieb er treu. Die Gastronomie war sein Ding. Der Austausch mit den Leuten, die Atmosphäre, die Abwechslung. «Es wird nie langweilig», findet er noch heute. Das Paar heiratete 2015, im selben Jahr kam ihre Tochter zur Welt. Damit änderte sich alles. Oliver und seine Frau hatten eine gleichberechtigte Elternschaft vorgesehen, er ging sechs Monate in Elternzeit. Doch die Rückkehr in den Job machte es mit der Gleichberechtigung schwierig. Olivers Beruf wurde zur Belastung. Die Arbeitszeiten liessen sich nur schwer mit dem Familienleben vereinbaren. «Meine Frau musste zu Hause vieles alleine bewältigen», erinnert sich Oliver. Die Beziehung kriselte. Oliver war klar, dass er so nicht weitermachen wollte. Bevor seine Tochter zur Welt kam, habe es ihm nichts ausgemacht, viel und dann zu arbeiten, wenn andere frei hatten. Aber nun fühlte sich das nicht mehr richtig an. «Ich wollte nicht unser ganzes Familienleben verpassen.»
Oliver nahm sich Bedenkzeit. Diesmal etwas mehr. Er suchte Alternativen – vor allem ausserhalb der Gastronomie – und tauschte sich intensiv mit seiner Partnerin aus. Dann stand seine Entscheidung fest: Oliver wollte sich zum Erzieher umschulen. «In der Zeit mit meiner Tochter entdeckte ich, wie spannend die Arbeit mit Kindern sein kann.» An einem Vormittag Anfang Juni 2017 zog Oliver mit den besagten zehn Kopien seines Lebenslaufs los und gab eine nach der anderen in Berliner Kitas ab. In den Tagen darauf hatte er mehrere Vorstellungsgespräche, im August begann er die dreijährige Ausbildung.
Olivers Entscheidung überraschte manche in seinem Umfeld. Sie verstanden erst nicht, woher der Sinneswandel kam und vor allem, weshalb er sich für diesen Weg entschieden hatte. Der Wahlberliner liess sich nicht verunsichern. Er war überzeugt von seinem Plan, seine Frau stand hinter ihm. Die einzige Sache, die ihm Sorgen machte, war die Schule. Lernen habe ihm schon immer Mühe bereitet. «Ich wusste: Ich habe nur eine Chance. Ich muss diese Ausbildung in drei Jahren in einem Rutsch schaffen. Es muss klappen.» Er strengte sich an und organisierte Arbeit, Lernen und Familienleben akribisch. «Es war eine anstrengende Zeit für alle. Aber es hat sich gelohnt.» 2020 schloss Oliver seine Ausbildung erfolgreich ab.
Heute arbeitet er in einem 70-Prozent-Pensum in jener Kita, in der er bereits seine Ausbildung gemacht hat. Den Rest der Zeit kümmert er sich um seine Tochter und den Haushalt. Seine Frau «verdient die Brötchen». Weil ihr Lohn besser sei als seiner. Oliver ist glücklich: «Noch keinen Tag habe ich meine Entscheidung bereut. Es war das Beste, was ich machen konnte – für mich und die Familie.»
aus Zürich; eine Tochter, 9,
einst im Marketing- und Kommunikationsbereich tätig,
seit 2022 Primarlehrer Mittelstufe

Würde man eine erfolgreiche Karriere in der Marketing- und Kommunikationsbranche beschreiben, wäre jene von Florian eine ziemlich gute Vorlage. Der 47-Jährige hat erreicht, wovon viele träumen: BWL- sowie Medien- und Kommunikationsstudium an der Universität St. Gallen, Berufseinstieg bei einem internationalen Unternehmen, erfolgreiche Gründung, Aufbau und Leitung einer eigenen Agentur zwischen 2006 und 2015 im hippen Berlin – die Agentur besteht bis heute –, erfolgreicher Aufbau einer Agentur in Zürich und Leiter Brand und Creative bei der Art Basel. «Ich hatte immer tolle Stellen und habe gerne gearbeitet», erzählt Florian.
Trotzdem sitzt er heute nicht mehr in durchdesignten Büroräumen, sondern steht in Schulzimmern und bringt Kindern bei, wie man Bruch rechnet oder welche Wortarten es gibt. Florian ist Lehrer. Seit drei Jahren unterrichtet er an einer Primarschule in der Stadt Zürich, seit einem Jahr mit Diplom. Derzeit hat er mit einem Stellenpartner eine sechste Klasse.
Der Abschied aus der Medien- und Kommunikationsbranche war ein Prozess: «Ich fand mein Leben sehr cool. Vor einigen Jahren spürte ich aber immer mehr das Bedürfnis nach Veränderung.» Ein Auslöser war seine heute neunjährige Tochter. Als sie klein war, arbeitete Florian viel und pendelte von Zürich nach Basel. «Ich war oft weg und merkte, dass mich das stresst.» Immer häufiger dachte er am Sonntagabend: Puh, jetzt startet wieder so eine Woche. «All das, was mir so viele Jahre Freude bereitet hatte, erfüllte mich immer weniger.»
Mit Kindern zu arbeiten, damit liebäugelte der Zürcher immer mal wieder. «Ich alberte immer gerne mit Kindern und fand ihren Blick auf die Welt spannend.» Als der Götti seiner Tochter die Ausbildung zum Primarlehrer begann, war Florians Interesse geweckt. Er machte die Aufnahmeprüfung für die zweijährige Quereinsteigerausbildung und bestand. Bis zum Start vergingen noch eineinhalb Jahre. In dieser Zeit bekam er ein interessantes Angebot eines international renommierten Medienunternehmens. «Ich sagte mir: Das ist der letzte Test, ob dieses Agenturding noch zu mir passt.» Es passte nicht mehr.
Wenn Florian über seine Arbeit als Lehrer spricht, spürt man seine Begeisterung. Er strahlt, erzählt lebhaft und euphorisch. Er will nichts beschönigen. Die Ausbildungszeit war intensiv: «Wir kamen mit den Wochenend- und Abendkursen als Familie zeitlich an unsere Grenzen. Meine Frau musste viel auffangen, Ende des Monats war kein Geld mehr da, um etwas auf die Seite zu legen.» Zu wissen, dass dieser Zustand nur eine begrenzte Zeit anhalten würde, und das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, habe die Familie durchhalten lassen. Heute ist vieles anders: Florian arbeitet knapp 70 Prozent, hat mehr Zeit für seine Tochter und kann Unvorhergesehenes auffangen. «Meine Frau startet karrieremässig durch. Jetzt ist ihre Zeit.»
Seinen Wechsel hat Florian noch nie bereut. «Ich glaube, das ist meine Berufung.» Nur in einem Punkt trauert er seinem alten Leben manchmal hinterher. «Hin und wieder vermisse ich den aktiven, kreativen Austausch mit Menschen aus der Medien- und Kommunikationsbranche und das Unternehmerische. Aber wer weiss, vielleicht kann ich das ja irgendwann mit meiner Berufung kombinieren.»
Wer eine berufliche Veränderung oder Standortbestimmung ins Auge fasst, findet zahlreiche öffentliche und private Angebote. Das Projekt viamia (viamia.ch) richtet sich an Personen über 40. Eine Übersicht über kantonale Angebote gibt es auf berufsberatung.ch., Informationen zu privaten Angeboten auf laufbahnswiss.ch.