Schule
Lehrer Schmidt über seine Lernvideos
Kai Schmidt ist Lehrer und stellt Lernvideos ins Netz. Ein Gespräch über Handys, Matheschwäche und weshalb auch der Hund ins Bild musste.
wir eltern: Herr Schmidt, Sie sind Schulleiter, unterrichten selbst, haben Familie und produzieren zudem noch millionenfach geklickte Lernvideos in Kette. Muss ein guter Lehrer die eierlegende Wollmilchsau sein und 24/7 arbeiten?
Kai Schmidt: Wahrscheinlich ist das so. Aber mal im Ernst, nein, das Wichtigste ist, seinen Job zu lieben, dann gehts. Es gibt da diesen Spruch: «Dinge, die wir lieben, machen wir gut.» Gilt auch für Lehrer. Und glauben Sie mir: Ich weiss, wie das ist, wenn man seinen Job nicht liebt. Ich war mal Bankkaufmann. Da habe ich lieber doch noch studiert.
Ist der Erfolg Ihrer Lernvideos nicht ein Armutszeugnis für Lehrpersonen? Lehrer und Lehrerinnen sollten doch so erklären können, dass zusätzliche Lernvideos überflüssig sind, oder?
Das sehe ich nicht so. Die Videos sind ein zusätzliches Hilfsmittel. Ausserdem denke ich, dass sie für viele eher der Nervenberuhigung dienen. Also in der Art: «Wunderbar, hab ich es doch richtig verstanden.» Übrigens lernen sehr viele Eltern mit meinen Filmen. Wahrscheinlich, um ihre Kinder unterstützen zu können.
Die Entstehungsgeschichte war eigentlich nicht auf Eltern und weltweite Reichweite ausgelegt…
Nein, damals habe ich an der Hauptschule unterrichtet, hatte also eher schwächere Schüler. Kognitiv und finanziell. Da musste ich mir unbedingt etwas einfallen lassen, um die Schüler da abzuholen, wo sie stehen, das Medium zu nutzen, das sie mögen, und wichtige Grundlagen per Video zu wiederholen. Meine Schüler haben aber dann die ursprünglich nur auf sie passgenau zugeschnittenen Videos einfach auch an all ihre Freunde weitergeleitet, weil sie fanden, das wäre nur gerecht. Und so wurden die Klickzahlen immer höher und höher. Das ganze Geheimnis an dem Ganzen ist aber eigentlich, wie gesagt, dass sie am Handy lernen konnten.
zvg
Kai Schmidt (* 1979) ist Lehrer und Schulleiter im deutschen Uelsen. Unter #lehrerschmidt stellt er Lernvideos – überwiegend zu Mathethemen – auf Youtube. Rund 1700 Filme insgesamt, 160 Millionen Mal aufgerufen.
Das von Erwachsenen schon mal gerne verteufelt wird…
So lange, wie ich denken kann, brodelt da dieser Generationenkonflikt, dass die Älteren alles Neue verteufeln. In 1000 Jahren hat das noch nie jemandem geholfen. Vielmehr gilt für Lehrer: Geh dahin, wo die Jugend ist. Anders erreichst du Schüler nicht.
Sie sind also in den Augen Ihrer Schüler innen vom uncoolen Mathelehrer zum coolen Influencer geworden?*
(lacht) Ich war immer cool. Aber um richtig verstanden zu werden: Ich finde nicht, dass jede Lehrperson jetzt auf Teufel komm raus Videos produzieren muss oder auf Tiktok sein oder so was. Man muss authentisch bleiben. Manche finden «Lehrer Schmidt» blöd, okay. Die gucken halt was anderes.
Bei der Nachfrage drängt sich die Vermutung auf, dass Mathelehrer innen im Unterricht besonders schlecht erklären können.*
Nein, so ist das nicht. Eher scheint es mir dieses «Ich habe Mathe noch nie verstanden» irgendwie chic zu sein. Sogar unter Eltern. «Ich schreibe jedes zweite Wort falsch» ist deutlich weniger chic. Und: Um ein Fach zu können, ist es gut, es zu mögen. Mathe ist von der Sache her nicht so leicht zu mögen. Deshalb erleichtert es vieles, wenn die Schüler erst den Lehrer mögen und über diesen kleinen Umweg dann auch das Fach. Die Beziehungsebene kommt vor der Sachebene. Meine Meinung.
Ihre Videos wirken gar nicht, als wollten sie unbedingt gemocht werden. Sie sind eher ausgesprochen geradeheraus. Etwa wenn Sie sagen: «Tut doch nicht überrascht, wenn euer Zeugnis schlecht ist. Ihr habts doch vorher gewusst.»
Ich bin ein Freund ehrlicher Aussagen und klarer Ansagen. Wenn ich sage «Setz dich gerade hin!», heisst das «Setz dich gerade hin!». Nix anderes. Und wenn jemand zum 7. Mal keine Hausaufgaben hat, ist ein offenes Wort angebracht. Ich mag es generell, wenn man ehrlich miteinander umgeht. Nur dann hat man eine tragfähige persönliche Beziehung. Das Persönliche, ich wiederhole mich, ist das A und O. Deshalb ist auf den neueren Videos auch nicht mehr nur meine Hand zu sehen, sondern ich als Ganzes.
Etwa bei Ihren Gassi-Tutorials.
Ja. Selbst unser Retriever Angus musste auf Wunsch der Community noch mit drauf.
Lehrer und Lehrerinnen werden also auch in Zukunft nicht durch neue Technik überflüssig.
Gewiss nicht. Es gibt zwar richtig tolle Ansätze für den Einsatz künstlicher Intelligenz im Unterricht. Die KI könnte beispielsweise bei Dreisatzaufgaben erkennen, wenn ein Schüler immer den Grundwert falsch berechnet, und darauf reagieren. Super! Aber: Schule lebt von der persönlichen Schüler-Lehrer-Beziehung. Für mich gilt: Wäre ich nur reiner Wissensvermittler, wäre ich keinen Tag länger Lehrer.
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.