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Gesellschaft
So viel verschwendete Energie nur für Kinder
Ist es das Alter, die Realität, die einkickt, oder eine Vater-Fatigue? Unser Autor schaut auf einmal ganz anders auf Kinder – und zieht eine ernüchternde Bilanz.
Neulich wurde mir ein Video des US-Komikers Jim Gaffigan in den Feed gespült, in dem er sagt: «Ich weiss, dass ich mich oft über meine Kinder beschwere – aber sie haben mein Leben ruiniert.» Er führt aus: «Sie essen mein Essen, geben mein Geld aus und wenn ich sie darum bitte, etwas zu tun, schreien sie mich an.» Ich schnaubte und dachte: «It's funny, because it's true.» Klar, Gaffigan übertreibt – das ist sein Job. Aber das Publikum (ich inklusive) würde nicht lachen, verstünde es nicht genau, was Gaffigan meint. Kurz darauf stiess ich auf ein Reel des australischen Comedians Jim Jefferies, in dem er seine Beziehung zu seinen Kindern mit jener zu Zigaretten vergleicht: «Ich möchte sie pro Stunde fünf Minuten bei mir haben – den Rest der Zeit denke ich darüber nach, wie sie mich umbringen.»
Wieder: irgendwie lustig, aber auch wahr – was wiederum nicht so lustig ist. Die zwei sind wie ich im mittleren Alter und sprechen etwas an, das ich auch bei mir feststelle. Ich denke nicht, dass es ein neues Phänomen ist, und ich bin bestimmt nicht der Erste, der sich dazu Gedanken macht. Und dass Comedians das Thema aufgreifen, ist wohl auch nicht zufällig. Jedenfalls musste ich kürzlich für mich befinden: «Die Sache mit den Kindern ist schon arg durchzogen» und «vielleicht habe ich Kinder gar nicht so gerne, wie ich immer dachte.»
Zwar habe ich stets von mir behauptet, ich mag Kinder. In letzter Zeit frage ich mich aber: Was genau mag ich denn an ihnen? Und muss sagen, es ist ziemlich selektiv: Ich mag sie, wenn sie herzig und artig sind, originell und anhänglich. Ich mag den Moment, wenn man sich nach einem Streit wieder verträgt. Ich mag, wenn sie lachen, singen, friedlich miteinander spielen oder lustige Sachen sagen. Aber wenn wir ehrlich sind: Das trifft nur auf einen Bruchteil der Zeit zu, die ich mit Kindern verbringe.
Zwischen Vermissen und Wahnsinn
Oder in meinem Fall: mit meiner Tochter. Ist sie nicht da, vermisse ich sie. Ist sie da, laugt sie mich aus. Wenn sie ins Bett soll, will sie nicht ins Bett. Wenn sie aufstehen soll, will sie auch das nicht. Und wenn sie ausschlafen könnte, steht sie früh auf.
Bei anderen Kindern beobachte ich das aber auch. Zwar bekomme ich bei ihnen wohl nicht die schlimmsten Szenen mit, dafür sind sie mir schneller zu viel. Genau genommen, sind es nicht die Kinder an sich, sondern ihr Verhalten, was mich stört: Widerspruch, Aufmüpfigkeit, Unvernunft, Übermut, Lärm. Im Prinzip alles vollkommen normale Begleiterscheinungen des Kindseins.
Bin ich auf bestem Weg zum «angry old man»? Leide ich an Parenthood-Fatigue? Oder ist das einfach eine Phase?
Fest steht: Je länger ich Vater bin, desto grösser ist die Diskrepanz zwischen dem, wie ich mir das Vatersein vorgestellt hatte, und der Realität. Beziehungsweise: Desto stärker nehme ich die Ambivalenz wahr, die von Kindern ausgeht. Und merke: Sie passt nicht zum gängigen, geschönten Narrativ über das Elternsein.
In ihrer anfänglichen Bedürftigkeit, so mit 0 bis 3 Jahren, finde ich Kinder noch sehr niedlich. Aber kaum geht es darum, dass sie ihren eigenen Willen entwickeln und selbst entscheiden wollen, kommen die Streitigkeiten und Machtspiele. Ich sehe mich ständig am Regulieren, am Zurechtweisen, am Instruieren, am Schelten oder am Warnen.
Und dann diese Unberechenbarkeit. Du kannst dich nicht auf Vernunft und gesunden Menschenverstand berufen (nicht, dass du das bei allen Erwachsenen könntest). Selbst bei braven Kindern nicht, auch die scheren zwischendurch aus. Für Heranwachsende ist das wichtig, klar. Aber nur, weil es für sie eine wertvolle Erfahrung ist, muss ich es ja nicht super finden.
So viel Mühe, so wenig Dank
Im Prinzip würde ich Kindern gerne etwas beibringen – aber wenn sie sich dagegen wehren ? So viel verschwendete Energie und so viel Undankbarkeit, damit habe ich Mühe. Obwohl es absolut einleuchtet, dass Kinder anstrengend und undankbar sind, ja sein müssen. Immerhin sind es kleine Menschen, die zur Selbstständigkeit befähigt werden sollen. Und die noch zu unreif sind, um einsehen zu können, dass sie unsere Orientierung und Unterstützung brauchen.
Kinder zu haben, bedeutet insofern also, es ständig besser zu wissen, aber immer wieder gegen die eigene Überzeugung handeln zu müssen. Das schlaucht.
Die Philosophin Laurie Ann Paul nennt das Elternwerden eine «transformative Erfahrung»: Wir werden jemand anderes. Womöglich bin ich durch das Vaterwerden zu einem Menschen geworden, der Kinder weniger gern hat.
Bis zu einem gewissen Grad ist das ja automatisch der Fall – denn wir starten mit naiven Vorstellungen in die Elternschaft. Ich ging zum Beispiel davon aus, dank meines GenMaterials werde mein Kind zu einer Art MiniMe: nachdenklich, kreativ, ruhig. Und dachte, das grösste Problem werde sein, mich nicht zu ekeln, wenn ich seine Windeln wechsle. Es sind darum auch vorwiegend zurückhaltende und verträumte Kinder, die mir auf Anhieb sympathisch sind. Auch wenn ich das seltsam finde: Bin ich so selbstbezogen, dass ich Kinder nur sympathisch finde, wenn sie mich an mich selbst erinnern – beziehungsweise an meine Vorstellung dessen, wie ich als Kind war?
Fakt ist: Kinder machen konstant Arbeit, jahrzehntelang, bis sie ausziehen und darüber hinaus. Das ist schlimm und toll zugleich. Es ist quasi Schrödingers Parenthood – wie die berühmte Katze, die gleichzeitig tot und lebendig ist. Ich hatte einige meiner schönsten Momente im Leben mit oder dank Kindern, aber auch die unangenehmsten.
Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, fand Albert Camus. Im Leben mit Kindern steckt für mich viel sisyphoshafte Absurdität. Immer wieder dasselbe sagen, immer wieder neue Probleme thematisieren und sich immer wieder streiten und versöhnen. Der Autor und Psychiater Phil Stutz sagt in einer Netflix-Serie etwas Ähnliches wie Camus: Schmerz, Unsicherheit und konstante Arbeit gibt es immer im Leben. Die Kunst ist es, Freude daran zu haben, mit diesen Fixwerten umzugehen. Vielleicht habe ich das einfach noch nicht geschafft.
Im Netz kursieren Theorien, nach denen es wahlweise egoistisch ist, keine Kinder zu haben oder welche zu haben. In meinen Augen kann beides stimmen. Genauso, wie es wohl zutrifft, dass ich Kinder mag – aber auch nicht. Wahrscheinlich geht es darum, diese Ambivalenz zu akzeptieren. Ich werde mich darin üben – bis es mich umbringt.