Kinderfüsse
Ganz viel Barfuss laufen
Von Till Hein
Wenn es um die Füsse ihrer Kleinkinder geht, machen sich Eltern oft zu grosse Sorgen, sagt der Zürcher Kinderorthopäde Leonhard Ramseier. Einlagen und Barfusschuhe sind meist gar nicht nötig.
Brauchen Kleinkinder, die platte Füsse haben oder die Sohlen ihrer Schuhe innerhalb weniger Wochen ablaufen, orthopädische Einlagen?» Diese Fragen stellen wir einem, der es wirklich wissen muss: Leonhard Ramseier ist erfahrener Kinderorthopäde und arbeitet in der Ortho Clinic Zürich. «Wenn man wegen Plattfüssen zehn Jahre lang Einlagen trägt, hat man danach noch immer Plattfüsse», sagt er dazu. Kindern würde er nur in ganz selten Fällen Einlagen verordnen. «Etwa bei Fehlbildungen von Knochen, bei Schmerzen oder während der Behandlung nach Operationen.» Denn was auf Laien wie eine Fehlstellung wirke, sei in einem bestimmten Alter noch völlig normal. «Alle Babys haben vorübergehend Plattfüsse, zumindest sieht es so aus.» Denn das Fussgewölbe bildet sich erst vom zweiten bis zum sechsten Lebensjahr fertig aus. Zudem haben die Füsse von Kleinkindern an der Sohle noch ein Polster aus Babyspeck, das die Anatomie flacher erscheinen lasse, als sie in Wirklichkeit sei.
Füsse lassen sich nicht verändern
Zwar können orthopädische Einlagen dabei helfen, Beschwerden zu lindern – Form und Stellung der Füsse lassen sich mit solchen Hilfsmitteln aber nicht verändern. Überhaupt kommen Fachleute zum Schluss, dass zu häufig Einlagen verschrieben werden. «Obwohl Kinder mit Plattfüssen meist keine Schmerzen haben, wurde diese Fehlstellung früher routinemässig auf diese Weise behandelt», sagt Ramseier. Auch heute sei das vielerorts noch der Fall. «Dabei ist das in der Regel völlig überflüssig.» Generell brauche man sich nicht zu sorgen, dass unbehandelte Fehlstellungen bei Kindern zwangsläufig immer stärker würden, sagt der Experte.
Medizinische Einlagen können manchmal sogar mehr schaden als nützen. Der Grund: Ein gesunder Fuss benötigt gut trainierte Muskeln. Einlagen aber schränken das Muskelspiel ein und fördern Passivität.
Eine Studie von Forschenden der Wiener Universitätsklinik ergab, dass sogar eher das Gegenteil der Fall ist: Als sie die Füsse von 800 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren untersuchten, diagnostizierten sie bei 54 Prozent der Dreijährigen Plattfüsse. Bei den Sechsjährigen dagegen waren nur mehr 26 Prozent von dieser Fehlstellung betroffen. Jedes zehnte der untersuchten Kinder trug Einlagen. Und 90 Prozent dieser Behandlungen waren unnötig, zeigte die Untersuchung. Was amerikanische Forscher herausfanden, passt gut zu diesen Erkenntnissen: Im Rahmen einer Langzeitbeobachtung von Kleinkindern mit Senkfüssen, bildete sich die Fehlstellung innerhalb von drei Jahren bei vielen der Testpersonen zurück – egal, ob diese Einlagen trugen oder eben nicht.
Leonhard Ramseier, Kinderorthopäde
Der Trick mit den Zehenspitzen
Und doch gibt es Fälle, in denen Fussfehlstellungen dringend behandelt werden sollten. Geht es um Knick-Senkfüsse (Plattfüsse), hilft bei dieser Entscheidung ein einfacher Trick: Orthopäden lassen Kinder auf den Zehenspitzen stehen. Wird auch in dieser Haltung kein Fussgewölbe sichtbar – was ab dem siebten Altersjahr sehr selten ist – so handelt es sich um besonders stark ausgeprägte Plattfüsse. Dann sind Einlagen zu empfehlen, da es durch Fehlbelastungen sonst meist schon nach wenigen Jahren zu Schmerzen kommt. In besonders schweren Fällen, wenn Kindern ihre flachen Füsse trotz Einlagen beim Gehen wehtun, kann sogar ein chirurgischer Eingriff sinnvoll sein. Jedoch frühestens ab dem achten Lebensjahr.
Viele Kinder tragen zu kleine Schuhe
Eltern können aber mit einer ganz einfachen Massnahmen dafür sorgen, dass Kinderfüsse richtig wachsen: Genug grosse Schuhe kaufen. Gerade im Alter von drei bis sechs Jahren wachsen Füsse rasend schnell. Neue Schuhe sollten den Zehen daher mindestens zwölf Millimeter Spielraum bieten. Die Kinder selbst sind beim Aussuchen oft keine grosse Hilfe. Manche behaupten, ein Schuh passe, selbst wenn dieser vier Nummern zu klein ist. In einer Studie waren 93 Prozent der befragten Kinder überzeugt, dass ihre zu kurzen Schuhe perfekt passten. Stichproben legen nahe, dass mehr als die Hälfte aller Kinder in der Schweiz zu kleine Schuhe trägt. Mittelfristig riskiert man dadurch Fussschäden. Bereits bei Drei- bis Sechsjährigen massen Forscher Fehlstellungen der grossen Zehe. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass ein Kind, das dauerhaft zu kurze Schuhe trägt, als Erwachsener unter einem schmerzhaften Hallux valgus leiden wird.
Barfuss laufen trainiert Muskeln
Leonhard Ramseier betont zudem, dass die Fussmuskulatur Training benötigt, damit die Füsse gesund bleiben. Besonders hilfreich sei das Barfussgehen. Wer in jungen Jahren möglichst häufig auf Schuhe, Finken und Socken verzichte, könne sein Risiko für Plattfüsse um etwa zwei Drittel senken. Denn ohne Schuhe werden die Muskeln, Sehnen und Bänder der Füsse besonders gefordert. «Der ideale Schuh ist häufig gar kein Schuh», sagt Ramseier.
Dass in jüngster Zeit auch sogenannte Barfussschuhe, die besonders leicht sind und eine dünne, flexible Sohle haben, für Kinder populär wurden, hält der erfahrene Orthopäde primär für einen Marketingerfolg der Herstellerfirmen. «Wenn sich Kinder in solchem Schuhwerk wohlfühlen, hab ich natürlich nichts dagegen.» Aber nötig sei die Anschaffung von Barfussschuhen nicht.
Seine Empfehlung: Während der warmen Jahreszeit sollten Kinder einfach so oft wie möglich mit nackten Füssen unterwegs sein: auf Parkett- oder Teppichboden, auf Blumenwiesen, im Sandkasten oder auf dem Klettergerüst.