Partnerschaft / Liebesleben
Lange Beziehung und viel Sex – geht das?
Da war doch mal was ... Stimmt! Sex. Ist allerdings schon ein Weilchen her. Langzeitbeziehung und Leidenschaft scheinen sich − trotz Liebe − nicht gut zu vertragen. Kommt es etwa zwangsläufig zu der Flaute im Bett? Jein.
Die panierten gebratenen Zwiebelringe über dem Penis lassen wir als Sex-Tipp für diesmal weg. Ungeachtet der Tatsache, dass sie – laut verschiedener Medien und einschlägiger Fachliteratur – Liebesleben und wohl auch Treffsicherheit beim Werfen gleichermassen positiv beeinflussen sollen. Genauso ersparen wir den Lesern und Leserinnen die Anleitung zum «Penis-Auswringen» der tantrischen Lingam-Massage, den Hinweis auf die «Sports-Kamasutra-App» und auch den Rat, dass, wer sein Sexleben flott machen möchte, es – wie weiland Jessica Lange und Jack Nicholson in «Wenn der Postmann zweimal klingelt» – temperamentvoll auf dem Küchentisch treiben soll.
Zu schnell verirren sich da doch ein paar Haferflocken vom Frühstücks-Müesli an Stellen, an denen man keine Haferflocken haben möchte. Und wer sich eine Minute selbstkritisch fragt, will ich das wirklich, mich als Playboy-Bunny verkleiden, sobald das Baby eingeschlafen ist – was dauern kann, weil es zahnt – wird feststellen: Nein, das alles will ich nicht. Aber Sex, den irgendwie schon. Nur – wo ist er hin? War da nicht mal was? Leidenschaft? Was ist eigentlich aus der geworden? Wie konnte sie sich so still wegschleichen? Obwohl man sich doch liebt, versteht, prima als Eltern funktioniert und alles perfekt ist. Fast alles. Denn – mal ehrlich – es nagt an einem zu lesen, dass in der Schweiz der Durchschnittserwachsene angeblich zwei Mal wöchentlich Sex hat, und – so der «Blick» - die Genfer Spitzenreiter im Gruppensex sind.
Da überlegt man sich als Langzeitpaar und Eltern doch: Ja, wer treibt den Schnitt denn da so in die Höhe? Als wir es nämlich das letzte Mal gemacht haben, lagen noch ein paar vertrocknete Tannennadeln von Weihnachten rum. Und: Ab wann genau ist man eigentlich eine Gruppe? Reichen da zwei? Der Gedanke, dass Nachbarn, Freunde, die Miteltern des Waldkindergartens und sämtliche Mütter der Pekip-Gruppe es öfter und verruchter tun als man selbst, macht nervös.
Unnötig nervös. Tatsache ist – laut diverser Studien – vielmehr:
- Jeder Sechste in einer festen Beziehung hat im vergangenen Monat keinen Sex gehabt.
- 50 Prozent der fix Liierten schläft seltener als 1 mal pro Woche miteinander
- 30–50 Prozent der amerikanischen Männer und ebenso viele Prozent der Frauen haben keinerlei Lust auf Sex. Ein Viertel der Frauen findet sogar, dass Sex generell eine eher unerfreuliche Angelegenheit ist.
- 40 Prozent aller Verheirateten bezeichnen ihr Liebesleben als «nicht erfüllend».
- Höchstens bei jedem 4. Paar dauert das «Schäferstündchen» länger als ein halbes Stündchen.
- In den ersten 6 bis 9 Monaten finden zwar noch 83 Prozent den Sex in der Partnerschaft super, nach 3 Jahren noch 50 Prozent. In der Talsohle, nach 6 bis 8 Jahren, gehören dann nicht wenige zur Gruppe der «DINS». Double Income No Sex.
Tja. Offenbar gibts auch bei anderen häufiger Tatort als Tantra.
«Es gibt Paare, die haben seit Jahren keinen Sex und sind ganz zufrieden damit», erzählt die Zürcher Sexualberaterin Bettina Disler. Pärchen, die als Team prima funktionieren, Alltag und Kinder einvernehmlich managen, sich mögen, gern zusammen sind und nichts vermissen. ER abends seine Ruhe statt den G-Punkt sucht, und SIE ganz froh ist, nach der ganzen Stillerei zur Abwechslung mal niemanden am Busen zu haben. «Man soll sich nicht unter Druck setzen lassen. Wenn beide damit zufrieden sind, ist das okay», findet Disler. Schliesslich ist wezwingend ein schlechtes Zeichen. Das belegen Forschungen der Universität Hamburg. Seltene Intimkontakte sind zuweilen vielmehr ein Indiz dafür, dass die beiden sich sicher miteinander fühlen und keiner ständigen Liebesbeweise bedürfen. Prima.
Nur – was, wenn es nicht okay und nicht prima ist? Sich mindestens für einen von beiden falsch anfühlt, dieses matte Gefühl nicht zu begehren oder nicht begehrt zu werden. Die Porno-statt-Partner-Variante auf die Dauer schal schmeckt. Einem mitten beim raren Sex so Gedanken kommen wie: «Wo steckt eigentlich die Regenhose für den Chindsgi-Waldtag?» und Helge Schneiders Spruch «Man kann ja schliesslich auch mal was anderes machen als poppen. Basteln beispielsweise» nicht zu Gelächter, sondern zu einem Kloss im Hals führt?
«Ich hab kein Höschen an»
Die wenigsten trösten sich dann damit, dass jeder Geschlechtsverkehr, wenn vielleicht auch nicht leidenschaftlich, zumindest aber gesund ist: Bei Erregung ausgeschüttetes Cortisol hemmt Entzündungen, Immunglobuline stärken das Immunsystem, Opioide dämpfen Schmerzen und darüber hinaus ist Sex durchblutungsfördernd, stimmungsaufhellend, stressreduzierend und dem Schlaganfall beugt er auch noch vor.
Was also tun, um aus der verkehrsberuhigten Zone wieder rauszukommen? Wie bekommt man hin, dass die Schlafzimmerfenster wieder von innen beschlagen, ein Paar-Wochenende im Bett nicht bedeutet, dass beide die Grippe haben? Der Liebste verrückt vor Gier wird, wenn man ihm – dem Rat der «Cosmopolitan» folgend – «Ich hab kein Höschen an» simst. Statt zurückzuschreiben: «Nachher hast du wieder Blasenentzündung. » Tja. Wie findet man die Leidenschaft wieder, die auf dem langen gemeinsamen Lebensweg irgendwo liegengeblieben ist? Geht das überhaupt? Oder ist die Suche naiv und Paartherapeut Michael Mary (siehe Interview S. 48) hat recht, wenn er sagt: «Zu fragen, wie man Leidenschaft in Langzeitbeziehungen erhalten kann, ist, als würde man fragen, wie man einen Marathon laufen kann, ohne müde zu werden.»
«So resignativ sehe ich das nicht», sagt Elisabeth Wirz-Niedermann, Paartherapeutin in Zürich und seit Jahrzehnten mit dem Problem Lustlosigkeit in Langzeitbeziehungen befasst. Es gebe zwar kein allgemeingültiges Rezept gegen die Flaute auf dem Laken, jedes Paar ticke anders und oft würden tiefer liegende Beziehungsprobleme und Machtspielchen per Sex, beziehungsweise nicht Sex, ausgefochten. «Aber wenn die abnehmende Frequenz nicht nur ein Symptom ist, muss man nicht resigniert die Achseln zucken.» Sehr förderlich für die Erotik sei es – da ist sich Wirz mit ihrer Kollegin Disler einig – bei sich selbst zu bleiben und nicht der Harmonie zuliebe Konflikte zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser. «Das führt leicht zu diesen Brüderchen-Schwesterchen Konstellationen. Gesunder Egoismus, die eigenen Bedürfnisse und Interessen klar zu vertreten, ist wichtig. Hitze entsteht durch Reibung.» Also ein Plädoyer für mehr sizilianische Momente im Leben? Geschrei samt fliegender Tassen im Dienste des Projektes «Ekstase statt Askese»? Elisabeth Wirz nickt. «Wenns passt, warum nicht?» Die stete Suche nach Kompromissen und vernünftigen Lösungen möge ja in den meisten Bereichen des Lebens wichtig sein, nicht aber unbedingt im Schlafzimmer. «Sex ist nun mal nicht politisch korrekt», sagt die 67-Jährige. «Muss er auch nicht sein.» Nicht gerecht. Nicht ausgewogen. Nicht frei von Dominanz oder Rollenklischees. «Verführung beispielsweise ist leider ziemlich aus der Mode gekommen», bedauert Elisabeth Wirz. Frauen wie Männer hätten heutzutage ständig Angst, als Macho oder unemanzipiertes Weibchen wahrgenommen zu werden. Der Schere im Kopf falle allerdings so manches Spielerische, das die Erotik braucht, zum Opfer. Genauso wie die Erotik ohnehin schnell Opfer wird: von Stress, von Müdigkeit, von vollen Terminkalendern. «Ich empfehle dringend, dass Paare und vor allem Eltern sich Luft verschaffen. Etwa einen Babysitter buchen, um freie Zeit füreinander oder auch für sich alleine zu haben.»
Zu viel von allem – zu viel Job, zu viel Kinderprogramm, zu viel Hobby, zu viele Verpflichtungen – führt zu starker Sehnsucht nach wenig. Wenig Sex beispielsweise. Und leider gelte für Sex das gleiche wie für Muskeln: «Use it or lose it.» Sei der Ofen aus, sei es viel komplizierter, das Feuer wieder zum Lodern zu bringen, als wenn man zumindest ein kleines Flämmchen immer flackern liesse.
Vorräte sammeln
«‹Da war mal was› ist eine gute Voraussetzung für ‹da kann wieder etwas sein›», sagt Wirz. Paare, die kaum Zeit zu zweit hatten, bevor die Kinder kamen, hätten es schwer, die lahmende Erotik wieder auf Trab zu bringen. Dort gäbe es weniger Ressourcen, auf die zurückgegriffen werden könne. Diejenigen dagegen, die zumindest vor der Elternzeit ein munteres Liebesleben miteinander hatten, könnten die Leidenschaft leichter wieder beatmen. «Ungefähr wie bei den Eichhörnchen », erklärt Elisabeth Wirz. «Eichhörnchen sammeln Nüsschen für den Winter, damit sie in karger Zeit einen Vorrat haben, von dem sie zehren können.» So solle tunlichst auch ein Paar Vorräte sammeln, auf die es zurückgreifen kann.
Also mal wieder die Strapse von damals vorkramen auch wenn sie inzwischen unangenehm am Oberschenkel einschneiden? «Kann. Muss aber nicht. Es reicht schon zu sagen: Wir sind doch vor den Kindern gern zusammen wandern gegangen, lass uns das doch mal wieder machen. Nur du und ich.» Der klare Rollenwechsel von Elternrolle zur Paarrolle bringe viel.
Elternrolle, Paarrolle – was ist mit der Speckrolle, die Müttern nach der Geburt ja manchmal ziemlich zu schaffen macht? Elisabeth Wirz-Niedermann seufzt. «Vor allem Frauen erwarten viel zu viel von sich. Pölsterchen stören mit Sicherheit keinen Mann. Eine Frau allerdings, die mit sich im Reinen ist und nonchalant auf ihre Makel pfeift – das ist erotisch.» Und den Partner nicht als Privatbesitz anzusehen ist erotisch; die kleine Umarmung von hinten, wenn er gerade Nachtessen macht; das Kompliment für sie; der Kuss, der mehr ist als ein Bussi; der herausblitzende hübsche BH-Träger trotz Jogginghose und – das Necken von früher. «Flirten, Humor und sich ab und an ‹anzünden›, das finde ich sehr wichtig», sagt Elisabeth Wirz.
Gemeinsam lachen.
Dann kann man das mit den Zwiebelringen getrost mal ausprobieren.
Siehe auch www.paar-sexualberatung.ch
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