Konfliktbewältigung
Wie Humor im Familienalltag hilft
Mit einem Lächeln auf den Lippen kommt man leichter durchs Leben – das gilt auch für den Familienalltag. Wie aber in Konfliktsituationen humorvoll bleiben? Ein Selbstversuch mit Lachglocke, Grinse-Smiley und Co.
Was soll denn der Smiley am Spiegel?», fragt die 9-Jährige misstrauisch, als sie in der Frühe ins Badezimmer schlurft. «Guten Morgen, mein Schatz», flöte ich. «Das ist unser neues Experiment.» «Wo hängt ein Smiley?», tönt es fröhlich von nebenan. Der 6-Jährige ist morgens sofort gut drauf – im Gegensatz zu seiner Schwester, die eher in die Kategorie Morgenmuffel fällt – was morgendliche Routinen nicht gerade entspannter macht. Doch ein Versuch soll dies nun ändern, denn – hahaha! – wir bringen jetzt mehr Humor in unser Leben.
Lachen ist gesund, regt die Verdauung an, reduziert Stress, und wer regelmässig herzhaft lacht, ist zufriedener. Menschen mit hoher Humor- und Lachkompetenz treten zudem leichter in Kontakt mit anderen, sind beliebter, sozialer und beruflich erfolgreicher, sagt die Forschung. Kurz: Lachen und Lächeln vereinfachen zwischenmenschliche Verständigungen.
Vor allem Kinder sind regelrechte Humorexperten – schliesslich lachen sie 500 Mal am Tag, während Erwachsene nur noch 15 Mal ihre Mundwinkel nach oben ziehen, wie Cornelia Schinzilarz in ihrem Ratgeber* ausführt. Eltern sollten sich also ruhig von ihrem Nachwuchs inspirieren lassen. Denn «gerade wenn es so gar nichts zu lachen gibt, gilt es das Lachen aus dem Hut zu zaubern», schreibt Schinzilarz im Kapitel «Humor mit Kindern und Jugendlichen». «So kommen wir in Situationen weiter, in denen uns der Humor abhandengekommen ist.» Das klingt doch vielversprechend!
Die Ratschläge der Expertin befolgend, habe ich also Smileys im Haus verteilt, die uns ans Lächeln erinnern sollen – und erschrecke am nächsten Morgen, als mich eine der debil grinsenden Fratzen im Bad begrüsst. Schlagartig bin ich wach: Stimmt ja, ab heute muss ich lustig sein. Puh – wirklich ab heute? Ein Blick auf die Uhr zeigt, wir sind spät dran. Ich knipse ein Lächeln an, ertrage das morgendliche Gemaule mit stoischem Buddha-Lächeln, bis die Tochter irritiert fragt: «Mama, warum grinst du denn so?» Da müssen wir beide kichern. Lachen ist einfach ansteckend!
Drei Minuten später gibt es trotzdem eine Socken-Krise («Ich habe überhaupt keine gescheiten Socken!»). Ich atme tief durch und übe mich im sogenannten humorvollen Intervenieren, wie es im Buch steht: «Jedes Mal, wenn Sie sich ärgern, aufregen oder angegriffen fühlen, halten Sie ein bis drei Sekunden inne, lächeln, fixieren einen Punkt im Raum und schimpfen dann lachend fantasievolle Kraftausdrücke.» Genau das mache ich nun, kreiere lautmalerische Schimpfworte und rufe: «Oh Qualle! Tannenbaum! Ohrenschmalz!» Die Grosse hört augenblicklich auf zu maulen, entgeistert starren beide Kinder mich an. «Jetzt ist Mama komplett durchgedreht», sagen ihre Blicke. Doch kurz bevor ich mir völlig dämlich vorkomme, fallen die zwei freudig mit ein. Alle lachen, Ziel erreicht!
Beim Frühstück entbrennt eine lebhafte Diskussion: Warum genau sollen wir mehr lachen? Und wie bringt man andere dazu? Wir führen eine sogenannte Lachglocke ein, wie von der Humorexpertin empfohlen. In unserem Fall ist das eine alte Kuhglocke, die endlich eine Funktion bekommt: Immer, wenn jemand daran läutet, wird gelacht, lautet die neue Regel. Junior ist begeistert: «Voll gut, dann läute ich die ganze Zeit!» Die Grosse verdreht die Augen, mir kommen Zweifel, ob dies wirklich so ein schlauer Schachzug war. Aber egal, weiter im Konzept. «Nun erzählen alle, worauf sie sich heute freuen!», arbeite ich gewissenhaft den empfohlenen humorvollen Tagesablauf mit Kindern ab. Den Fokus auf die positiven Dinge legen, lautet die Vorgabe.
Dem Junior fällt sofort was ein: «Auf Marco!», ruft er, den einzigen männlichen Erzieher im Kindergarten, der allerdings nur mittwochs kommt, also heute. Seit Monaten ist dies sein Wochenhighlight. Die Grosse hingegen ist überfragt. «Weiss nicht. Vielleicht wenn ich Nina nachher in der Schule sehe?» Und dann: «Worauf freust du dich denn, Mama?» Puh, gute Frage, das ist so ein kompakter Tag heute. Glücklicherweise kommt mir die Zeit zu Hilfe, «schnell, schnell, wir müssen los!»
Zugegeben, ich habe den Start des «Wir sind ab heute lustig»-Experiments rausgezögert; Ausreden gab es genug: «Diese Woche ist viel los», «nicht wenn das Kind krank ist», «nicht wenn die Grosseltern da sind». Im Grunde ist das Leben mit Kindern ja immer heiter und lustig – wenn nur nicht der Alltagsstress dazwischen käme. Aber genau deswegen helfen wir nun ein bisschen nach.
«Wirkt das Ganze nicht arg aufgesetzt, wenn wir versuchen, auf Knopfdruck lustig zu sein?», fragte ich mich im Vorfeld. Geschenkt, wird mir bereits an Tag eins klar. Die Kinder springen sofort darauf an, es liegt lediglich an mir, den Impuls zu setzen. Wie schreibt Cornelia Schinzilarz? «Die verantwortlichen Erwachsenen sind der Schlüssel für eine humorvolle Erziehung.» Ich habe es befürchtet! Pflichtbewusst arbeite ich an meiner Humoreinstellung und absolviere das von der Humorexpertin vorgeschlagene Lächeltraining. «Jeden Morgen, wenn Sie wach werden, lächeln Sie», heisst es im Buch. «Dann lächeln Sie bewusst alle 15 Minuten mindestens eine Minute lang, überlegen sich einmal jede Stunde, welches Ziel Sie erreichen wollen und lächeln dementsprechend. Beim Einschlafen: Lächeln Sie.» Ich wusste nicht, dass Humor so anstrengend ist!
An Tag drei unseres Experiments kehrt mein Mann von einer mehrtägigen Geschäftsreise zurück und ist leicht überfordert von den Veränderungen zu Hause. Beim morgendlichen «Auf was freust du dich heute am meisten?» entschlüpft ihm ein herzhaftes «Verschont mich!», worauf der Sohn gönnerhaft erklärt: «Papi, das ist jetzt halt so bei uns!» – was die Lacher auf seine Seite zieht. Nach acht Tagen üben wir uns immer noch fleissig im Lachen, stellen aber fest, dass man einiges dafür tun muss; manches nutzt sich schnell ab. Die aufgehängten Smileys bemerkt ab dem dritten Tag keiner mehr, deshalb hänge ich sie um – was ihnen zumindest kurzfristig wieder mehr Aufmerksamkeit beschert. Ich probiere weitere humorvolle Interventionen in kritischen Situationen aus: Male mir etwa einen Smiley auf den Daumen und halte ihn den verblüfften Kindern entgegen, als sie sich in die Wolle kriegen. Beim ersten Mal funktioniert die unerwartete Ablenkung perfekt, beim zweiten Mal hat auch sie sich abgenutzt. Lustigerweise jedoch springen die Kinder immer dann besonders gut auf etwas an, wenn ich denke: «Das ist aber sehr künstlich.»
Mit der Zeit kristallisiert sich heraus, was für uns passt. Das morgendliche «Wer-freutsich-auf-was?» lassen wir bald bleiben, weil es alle anstrengt. Gut funktioniert hingegen, streitende Kinder mit einem fantasievollen Kauderwelsch-Gebrabbel zu trennen oder bei einem Wutanfall des Juniors die Wut mit ihm lachend durchs Zimmer zu jagen. Anschliessend lässt sich viel besser trösten und nachhaken, was los war. Allerdings setzt das voraus, dass ich entspannt genug bin, mich darauf einzulassen – was in der Hektik des Alltags eine Herausforderung bleibt.
Am besten gefällt den Kindern jedoch unser neues Znacht-Ritual: Die «Was hast du heute Lustiges erlebt?»-Abfrage fordern sie mittlerweile regelrecht ein. Während die Grosse seit eh und je erzählfreudig ist, lässt sich ihr nicht gerade auskunftswilliger Bruder damit überraschend leicht aus der Reserve locken. Und auch die Eltern steuern fleissig Episoden bei. Wie viele lustige Dinge doch an einem Tag passieren, wenn man die Aufmerksamkeit darauf richtet!
Nach sechs Wochen hänge ich die Grinse-Smileys ab und keinem fällt es auf. Wir aber haben gelernt: Es lohnt sich, humorvoll zu bleiben und bewusster miteinander umzugehen, gerade wenn es garstig und grau ist. Erstaunlicherweise braucht es dazu nicht viel – man muss sich nur aufraffen.
**Cornelia Schinzilarz, Charlotte Friedli: «Humor in Coaching und Beratung», Beltz 2018, Fr. 65.–*
Einst Redaktorin beim «Tages-Anzeiger», später Korrespondentin in Shanghai, schreibt Kristina Reiss heute als freischaffende Journalistin leidenschaftlich über den Mikrokosmos Familie. Dabei interessiert sie sich für alles, was Menschen bewegt – ihre Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen.