Elternkolumne
Hilfe für erschöpfte Mütter? Fehlanzeige!
Von Sibylle Stillhart
Echt jetzt! Die Buchautorin und Journalistin Sibylle Stillhart guckt über die Landesgrenze hinaus. Und ist empört über die Familienpolitik hierzulande.
ZVG, Gabriela Gründler
Sibylle Stillhart lebt mit Mann und drei Kindern in Bern. Ihr neues Buch «Schluss mit gratis! Frauen zwischen Lohn und Arbeit» ist 2019 im Limmat Verlag erschienen.
Als ich kürzlich im Berliner «Tagesspiegel» blätterte, staunte ich nicht schlecht: Darin las ich, dass in Deutschland 49000 Mütter im Jahr 2016 eine Kur in Anspruch genommen haben. Die Diagnose Erschöpfung und Burnout steige bei Müttern seit vielen Jahren, liessen sich Experten zitieren. Gemäss dem Bundesfamilienministerium sei der Stress so gross, dass 20 Prozent aller Mütter sofort eine Kur beantragen dürften. Das wären 2,1 Millionen Mütter – allein in Deutschland.
Stress bei Müttern
So viele gestresste Mütter. Obschon Deutschland gar nicht einmal so schlechte Bedingungen bietet, Familie und Beruf zu vereinbaren. In einer aktuellen Studie des Kinderhilfswerks Unicef landete unser Nachbarland von den 41 untersuchten Ländern auf dem sechsten Platz. Eine lange Elternzeit (von mehreren Jahren) sowie niedrige Kita-Gebühren führten zu diesem Ergebnis. Trotzdem fühlen sich Mütter offenbar überfordert. Das zeigt auch eine Untersuchung aus Grossbritannien: Erwerbstätige Mütter sind deutlich gestresster als andere Personen, so das Fazit einer Auswertung der Manchester University. Die Mehrarbeit, die Mütter oft allein tragen, führt zu einer erhöhten psychischen Belastung; Stress und geringeres Wohlbefinden sind die Folgen.
Die Schweiz ist nicht familienfreundlich
Wie sieht es dann wohl in der Schweiz aus, wo die Bedingungen für erwerbstätige Mütter bedeutend schlechter, wenn nicht sogar die schlimmsten überhaupt sind? Auch die Schweiz wurde in der erwähnten Unicef-Studie begutachtet: Und landete prompt auf dem letzten Platz! Bemängelt werden nicht nur die aussergewöhnlich kurze Dauer des Mutterschaftsurlaubs, sondern auch die langen Arbeitszeiten sowie die hohen Kosten für die Fremdbetreuung. Trotz dieses miserablen Resultats blieb der öffentliche Aufschrei aus. Man will nicht wahrhaben, dass die Schweiz ein Entwicklungsland in Sachen Familienfreundlichkeit ist!
Die Lüge von der Vereinbarkeit
Wohl deshalb wird hier gar nicht erst über erschöpfte Mütter gesprochen. Es gibt ebenfalls weder ein Müttergenesungswerk wie in Deutschland noch sonst eine niederschwellige Institution, an die sich gestresste Mütter wenden könnten. Hier wird die «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» hartnäckig als harmonisches Nebeneinander gepriesen, das zum Leben moderner Frauen gehört.
Frauen werden dazu angehalten, ihr Arbeitspensum möglichst hoch – mindestens 70 Prozent, wie Gleichstellungsbeauftragte «empfehlen» – zu halten, damit sie nach der Pensionierung nicht in die Armutsfalle geraten. (Obwohl Frauen 20 Prozent weniger verdienen als Männer.) Auch soll etwa das Pensionsalter der Frauen von 64 auf 65 Jahren hinaufgesetzt werden, trotz der Tatsache, dass sie den Löwenanteil der unbezahlten Arbeit (Kinderbetreuung und Hausarbeit) bewältigen. Mittlerweile nehmen vier von fünf Frauen nach der Geburt eines Kindes ihre Arbeit wieder auf. Und das bereits nach kurzen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub. Dass die Erschöpfung unter solchen Strukturen programmiert ist, liegt auf der Hand.
Familienpolitik fehlt
Solche Fehlschlüsse könnte eine solidarische Politik beheben. Doch in der Schweiz gibt es keine Familienpolitik, die diesen Namen verdient: Gleichstellungsbeauftragte setzen sich nicht für die Rechte der Frauen oder von Familien ein. Sie betreiben unter dem Deckmantel der «Gleichstellung» knallharte Wirtschaftspolitik: Ihnen geht es darum, möglichst viele Arbeitskräfte zu rekrutieren, um das Wirtschaftswachstum voranzutreiben.
«Seien wir ehrlich: Mit einem 40-Prozent-Pensum kommt man beruflich nicht weiter», sagte Sylvie Durrer, Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, in einem Interview. «Es muss möglich werden, dass beide Elternteile 100 Prozent arbeiten und so viele Kinder haben, wie sie möchten.»
Weniger arbeiten
Entspricht eine solche Politik tatsächlich den Bedürfnissen erwerbstätiger Eltern? Das Ziel müsste doch sein, dass wir alle – Mütter und Väter – nicht mehr, sondern weniger arbeiten müssen, um die Herausforderungen zu Hause bewältigen zu können. Eine sinnvolle Gleichstellungspolitik könnte sich doch genauso gut dafür einsetzen, dass der Mutterschaftsurlaub ausgeweitet und eine Elternzeit eingeführt wird.
Dass die Arbeitszeit für alle reduziert wird, Kitas gratis sind und die unbezahlte Arbeit, die mehrheitlich von Frauen bewältigt wird, anerkannt und entlöhnt wird. Die Erschöpfung der Mütter würde damit auch öffentlich zum Thema – und nicht bloss hinter vorgehaltener Hand.