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Gesellschaft
Elternzeit - Zeit für uns
18 Wochen Elternzeit für Mütter und Väter, das fordert die Volksinitiative für Familienzeit. Seit Anfang April läuft die Unterschriftensammlung. Darum gehts.
Kinder betreuen, mit der Erwerbsarbeit die Renten sichern, sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern – auf den Schultern der mittleren Generation lastet viel. Die überparteilich lancierte Familienzeit-Initiative will das ändern. Seit Anfang April 2025 läuft die Unterschriftensammlung.
Die Initiative sieht für Mutter und Vater eine paritätische Elternzeit von je 18 Wochen vor. Paritätisch heisst, dass die Zeit für beide Elternteile gleich lang ist. Davon können sie maximal vier Wochen überschneidend beziehen. Die Idee: Nachdem die Mutter ihren Teil bezogen hat, übernimmt der Vater. Weiss die Mutter das Kind beim Vater, funktioniere der Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit reibungsloser, sind die Initiant:innen überzeugt.
Dazu gehören Alliance F – der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, die Grünen, die Grünliberale Partei (GLP), die Mitte Frauen sowie der Arbeitnehmer-Dachverband Travaille Suisse.
«Eine paritätische Elternzeit führt dazu, dass Mütter vermehrt erwerbstätig bleiben und in einem höheren Pensum arbeiten können», erklärt Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin von Alliance F und GLP-Nationalrätin. Eine vom Initiativ-Komitee in Auftrag gegebene Studie beim unabhängigen Wirtschaftsforschungsund Beratungsunternehmen Ecoplan hat ergeben, dass mit zusätzlichen 2500 Vollzeitbeschäftigten zu rechnen ist, die jedes Jahr kumuliert dazukommen. So reduziere die Familienzeit den Fachkräftemangel. Eine Elternzeit fördere zudem die Chancengleichheit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. «Momentan tragen Frauen das Erwerbsausfallrisiko alleine und werden so bei Anstellungen und Beförderungen unter Umständen benachteiligt», führt Kathrin Bertschy aus, «Elternschaft ist aber eine gemeinsame Verantwortung, was sich in unseren Gesetzen widerspiegeln soll.»
Einen längeren Vaterschaftsurlaub sehen die Initiant:innen als Türöffner für eine partnerschaftliche Aufteilung von Familienarbeit. Zudem schafft er eine stärkere Vater-Kind-Beziehung, und die Eltern sind psychisch gesünder, wie Studien aus Ländern mit einer längeren Elternzeit zeigten. Das Risiko, an einer postpartalen Depression oder an einem Eltern-Burn-out zu erkranken, sinkt. Auch fühlen sich Väter, die sich um ihre kleinen Kinder kümmern, glücklicher und haben weniger gesundheitliche Probleme.
Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin von Alliance F und GLP-Nationalrätin
Kosten: 1 Milliarde Franken
Finanziert werden soll die Elternzeit über die Erwerbsersatzordnung (EO), wie dies auch beim bestehenden Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub der Fall ist. Die Lohnbeiträge müssten von 0,25 auf 0,75 Prozent angehoben werden. Die Ecoplan-Studie rechnet mit jährlichen Kosten von rund 1 Milliarde Franken. «Ja, die Elternzeit kostet. Doch nur die Ausgabenseite zu sehen, ist kurzsichtig. Denn diese Investition lohnt sich», sagt Kathrin Bertschy. Die Kosten sind aus Bundessicht nach spätestens 20 Jahren gedeckt, denn die vermehrt berufstätigen Frauen zahlen mehr Sozialabgaben und Steuern. Sie deckten zudem Versorgungsengpässe in Berufen mit Fachkräftemangel ab, die sonst viel höhere Kosten verursachen würden.
Ebenso zeigt die Ecoplan-Analyse auf, dass ein Grossteil des Nutzens sich nicht direkt quantifizieren, also in Zahlen messen, lässt. Zum Beispiel: Sind Frauen vermehrt und in höheren Pensen berufstätig, müssen sie im Alter weniger Ergänzungsleistungen beziehen. Auch sinken Gesundheits- und Erwerbsausfallkosten, wenn sich das psychische und physische Wohlbefinden der Eltern verbessert. Die gestärkte Vater-Kind-Bindung führt ausserdem zu einem grösseren Wohlbefinden der Kinder sowie zu leicht besseren schulischen Leistungen.
Kleine Unternehmen geraten unter Druck
Für Urs Furrer ist das Anliegen «aus Arbeitnehmersicht möglicherweise wünschbar und gut gemeint». Die hohen Kosten, die durch den Erwerbsausfall der Väter anfallen, sind für den Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) allerdings untragbar. «Wir stehen bei den Sozialversicherungen bereits jetzt vor gewaltigen Herausforderungen», sagt er, «wir müssen die AHV und die IV sanieren sowie die 13. AHV-Rente finanzieren.» Ein weiterer Ausbau der Sozialversicherungen sei daher nicht angezeigt. Die Erhöhung der Sozialabgaben schwäche die Unternehmen und höhere Lohnabzüge die Kaufkraft der Arbeitnehmenden.
Um die Erwerbsquote der Frauen zu erhöhen, spiele die Elternzeit eine unwesentliche Rolle. «Dazu braucht es eine gesamtheitliche und vor allem längerfristige Betrachtung, nicht nur eine auf die Zeit nach der Geburt», sagt Urs Furrer. Dabei strebt er keine schweizweit einheitlichen Lösungen an. «Auch hier soll der Wettbewerb zwischen den Kantonen und den Unternehmen spielen.»
Neben den hohen Kosten verursache ein längerer Vaterschaftsurlaub ein grosses organisatorisches Problem für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). «90 Prozent aller KMU in der Schweiz haben weniger als zehn Mitarbeitende», erklärt er, «wenn in einer solchen Firma jemand längere Zeit fehlt, können nicht einfach die anderen die Arbeit machen.» Ersatz zu suchen, bedeute einen grossen Aufwand und gestalte sich beim aktuellen Fachkräftemangel sehr schwierig.
Gleich lange Spiesse für alle
Ganz anders sehen dies die Initiant:innen. «Die KMU profitieren von der Familienzeit-Initiative. Sie sorgt für gleich lange Spiesse für alle Unternehmen», entgegnet Kathrin Bertschy. Derzeit lockten internationale Grossfirmen wie Novartis oder Google Fachkräfte mit einem längeren Vaterschafts- und Mutterschaftsurlaub an. Kleinere Firmen, insbesondere in ländlichen Regionen, könnten nicht mithalten. Bei einer gemeinsam finanzierten Familienzeit würden KMU und strukturschwache Regionen für Arbeitnehmende wieder attraktiver. Auch sinke der Rekrutierungsaufwand für Unternehmen. Zum einen, weil die Mütter nach der Geburt vermehrt an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten. Zum anderen, weil attraktive Rahmenbedingungen zu weniger Fluktuation führten. «Mehrere KMU-Geschäftsführer engagieren sich daher im Komitee, sie sehen die Familienzeit für ihre Unternehmen als Vorteil», sagt die Mutter zweier Kinder.
Urs Furrer hingegen ist überzeugt, dass kleinere Firmen mit anderen Anreizen punkten können. Zum Beispiel mit kurzen Arbeitswegen, was für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenfalls hilfreich sei. «Viele KMU bieten diesbezüglich bereits heute attraktive Lösungen wie flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice an», meint der SGV-Direktor. Als weiteren Vorteil der Elternzeit sieht Kathrin Bertschy die Planbarkeit für Unternehmen. «Wer es sich leisten kann, verlängert bereits heute den Mutter- oder Vaterschaftsurlaub mit unbezahlten Ferien.» Das sorge für Unsicherheit in der Einplanung der Arbeitskräfte. Zudem sollen sich alle die Elternzeit leisten können: Die Initiative sieht vor, dass Personen mit tiefen Einkommen 100 Prozent ihres Lohnes erhalten, solche mit hohem Einkommen 80 Prozent. Dazwischen soll es Abstufungen geben.
Abstimmung in vier bis fünf Jahren
Bis die Volksinitiative an die Urne kommt, dauert es noch. Das Komitee hat bis im Herbst 2026 Zeit, um 100 000 Unterschriften zu sammeln. Dabei wollen die Initiant:innen nicht auf kommerzielle Anbieter setzen, die im vergangenen Jahr mit Unterschriftenfälschungen von sich reden gemacht haben. «Wir sind eine breite Allianz verschiedener Parteien und Organisationen, die alle selbst sammeln», erklärt die Co-Präsidentin von Alliance F.
Hat das Komitee die Initiative eingereicht, befinden der Bundesrat und danach das Parlament darüber. Sie entscheiden, ob dem Stimmvolk ein Gegenvorschlag unterbreitet werden soll. Dies geschah beispielsweise beim zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub, der 2020 gutgeheissen wurde. Die Initiant:innen hatten 4 Wochen gefordert, der Gegenvorschlag reduzierte auf 2 Wochen. Kathrin Bertschy rechnet damit, dass die Bevölkerung 2029 oder 2030 über die Familienzeit-Initiative abstimmen wird.
Doch würden die Väter die Elternzeit überhaupt beziehen? «Andere Länder zeigen, dass es zu Beginn eine gewisse Zurückhaltung gibt, die aber sehr rasch schwindet», meint die GLP-Nationalrätin. «Die Initiative ist nichts Kurzfristiges, sie ist ein Generationenwerk im doppelten Sinne: Es dauert, bis sie etabliert ist. Zudem ist sie eine Infrastruktur, die es der mittleren Generation ermöglicht, erwerbstätig zu sein, um der älteren Generation die AHV zu finanzieren und gleichzeitig eine junge Generation aufzuziehen. Damit sie gesund bleiben kann, soll sie die bestmöglichen Rahmenbedingungen erhalten.»