Familienalltag
Drillinge heute
Von Veronica Bonilla Gurzeler Fotos Sonja Ruckstuhl
Wie geht das, wenn gleich drei Babys aufs Mal da sind? Gleichzeitig loskrabbeln, aufs Fahrrad steigen und Schulkinder werden? «wir eltern» hat die Familie Dubach besucht – damals vor sieben Jahren und heute.
Rückblende
Völlig überrascht seien sie gewesen, als die Gynäkologin beim Ultraschall
nach dem ersten ein zweites und dann noch ein
drittes Herzchen erblickte,
berichteten Andrea (37) und Andreas Dubach
(42) im Herbst 2010, als «wir eltern» die
Familie mit den damals fünf Monate alten
Drillingen besuchte. Trotz 1000 Ängsten, ob
eine solche Aufgabe überhaupt zu schaffen
sei: Der Sekundarlehrer und die Prozessmanagerin
und Psychologin waren – und sind!
– das ideale Team für diese herausfordernde
Aufgabe. Statt in Überforderung und Chaos
zu versinken, fokussierten sie auf ihre Ressourcen:
Gelassenheit, Lebensfreude und
eine Extraportion Organisations- und Improvisationstalent.
Elternurlaub
In den ersten 12 Monaten verschickten Dubachs
jeden Monat ein Doodle mit dem
Schichtplan des Folgemonats. Hier konnten
sich Familienmitglieder, Freunde und weitere
gute Seelen eintragen, um die Jungeltern
beim Schöppeln, Füttern, Windelnwechseln
und Spazierengehen zu unterstützen. Nach
neun Monaten Mutterschaftsurlaub kehrte
Andrea an ihren Arbeitsplatz beim Finanzdatenanbieter
Six zurück, zuerst eineinhalb,
später zwei Tage. Andreas setzte ein ganzes
Jahr aus und arbeitete danach 40–60 Prozent.
Neben der Kinderbetreuung befasste er sich
während des unbezahlten Urlaubs intensiv
mit der gemeinsamen Familien-Lebensplanung.
«Andy ist der Visionär und Analytiker,
ich gehe die Dinge vom Gefühl her an
und bin eine Macherin», sagt Andrea.
Familienleitbild
In den ersten Jahren als Familie hat das Paar viel über gemeinsame Werte diskutiert. Was ist uns wichtig? Was sind unsere Ziele und Visionen? «Gemeinsam in Freiheit leben» wurde zum Familienmotto. Andreas erstellte
ein Familienleitbild und der Baum im Wohnzimmer, der mittlerweile bis zur Decke ragt, wurde zum Familiensymbol und Reflexionstool für Orientierung, Strukturierung und Priorisierung. Die Wurzeln stehen für die haltgebenden Werte, der Stamm für Familienidentität, die Äste für sämtliche Tätigkeitsfelder der Familie, die Blätter für die wachsenden Kompetenzen und die Früchte für die daraus resultierenden Freiheiten. «Auf der Basis des Familienleitbildes fällt es uns heute viel leichter, Entscheide zu fällen», sagt Andrea. «Wir überprüfen, ob neue Ideen oder Projekte mit unseren Werten, Zielen und Visionen übereinstimmen und erkennen so schnell, ob etwas passt oder nicht.»
Excel-Tabellen
24 Stunden hat der Tag, ob mit oder ohne
Drillinge. Wer tut was und wie gerne? Dubachs
trugen erstmals vor fünf Jahren alle
Arbeiten im Haushalt und rund um den Familienalltag
mit ungefährer Zeitangabe in
eine Excel-Tabelle ein. Vom Steuererklärung
Ausfüllen übers tägliche Kochen und
saisonale Kleiderausmisten bis zum Veloflicken.
Danach verteilten sie die Aufgaben,
die einer oder beide gern machen, zu gleichen
Teilen. Und schliesslich diejenigen,
die niemand mag – Putzjobs, was sonst? –
genauso ausgeglichen. «Die Visualisierung
und Auflistung aller Familien-Jobs und
deren
gerechte Aufteilung hat uns geholfen,
Reibungen und Spannungen im Alltag
abzubauen
und wertzuschätzen, was der
andere
macht», sagt Andrea.
Vorteile
Selber essen, erste Schritte wagen, die Welt
entdecken – bald schon war bei den Drillingen
richtig was los. Wie schon bei der Geburt
war Elea auch beim Laufen die erste,
wurde dann aber wieder unsicher. Erst als
Mael, der Drittgeborene, loslegte, traute sie
sich auch wieder. Lenas liess sich Zeit, beobachtete
– und spielte schliesslich schneller
Fussball, als dass er richtig laufen konnte.
«Dieses Muster zeigte sich auch beim Velofahren
oder auf dem Stand-up-Paddle: Elea
und Mael üben eifrig, fallen auch mal und
stehen wieder auf; Lenas lernt beim Zusehen
und wenn es klick macht, setzt er direkt um»,
so Andreas. Drei Kinder gleichzeitig in der
gleichen Entwicklungsstufe zu haben, empfinden
Dubachs als Vorteil: «Wir können uns
auf die jeweilige Phase einstellen und müssen
nicht noch auf ein jüngeres oder älteres
Kind mit anderen Bedürfnissen Rücksicht
nehmen. Ausserdem bringen sich die Kinder
vieles selbst gegenseitig bei», sagt Andrea.
Total gleichgeschaltet sind die Drillinge aber
nicht. Das zeigt sich bereits am simplen Beispiel
Essen: Mael mag Spaghetti nur mit Käse,
Lenas nur mit Tomatensauce und Elea am
liebsten mit beidem.
Verzicht
Lebensqualität und gemeinsame Zeit sind
Dubachs wichtiger als Geld, weshalb letzteres
clever eingeteilt werden muss. Fantasie
und ungewöhnliche Methoden sind gefragt,
um einer fünfköpfigen Familie mit einem Arbeitspensum
von insgesamt 80–110 Prozent
einen angenehmen Lebensstandard zu ermöglichen.
So gehts: Auf der Basis von «Simplify
your life» erstellte Andreas einen Finanzplan
für die nächsten Jahre. Ausgaben
für Ernährung, Bewegung und Freizeit wurden
kalkuliert. Fixkosten für Versicherungen
und Telefon überprüft und angepasst, Verzicht
neu definiert. «Egal ob bei Kleidern,
Möbeln, Elektronik oder Sportartikeln, neues
Material hat für uns wenig Stellenwert», sagt
Andreas. Er entwickelte sich zum Fachmann
für die Gestaltung von Lebensräumen.
Tauschen
Gebrauchte Kinderkleider erhalten Dubachs
nach wie vor von Nachbarn. Früher hatte jedes
Kind der Einfachheit halber seine Farbe:
Elea erhielt alle roten Kleider, Lenas alle
blauen und Mael die grünen. Längst handeln
die Kinder untereinander aus, wer welche
Kleider bekommt; ausschlaggebend ist mittlerweile
nicht mehr die Farbe, sondern Stil
oder Aufdrucke. Was die Drillinge nicht
brauchen, geben sie weiter. Andrea und Andreas haben sich vor zwei Jahren sogar einen Kleider-Kaufstopp verordnet, den sie mit wenigen
Ausnahmen durchgezogen haben.
Stattdessen tauschen auch sie Kleider, verschenken
oder werden beschenkt.
Zeitgewinn
Lange Zeit war es Dubachs Traum, mit mehreren
Familien und Generationen in einem
gemeinschaftlich verwalteten Haus zu wohnen,
sie engagierten sich in mehreren Bauprojekten.
Schliesslich entschieden sie sich
aber dafür, weniger Geld fürs Wohnen aufzuwenden
und dafür mehr Zeit zu haben.
Und blieben in der preisgünstigen und familienfreundlichen
Genossenschaft in der Stadt
Zürich. Hier leben sie Gemeinschaft und ein
offenes Haus auf nachbarschaftlicher
Ebene:
Sich gegenseitig die Kinder hüten, den Tumbler
flicken, bei Computerschwierigkeiten
oder Bewerbungen helfen, coachen, Mittagstisch,
Gerätschaften und Auto teilen – alle geben,
wo und was sie können und bekommen,
was sie brauchen. Ihr Garten ist rundherum
bekannt als Kinderparadies, weil es sich mit
dem herumliegenden Material spielen lässt
wie auf einem Abenteuerspielplatz. Vier, fünf,
sechs oder mehr Freunde der Kinder sind
keine Seltenheit, ob draussen oder drinnen.
«Die Drillinge haben sich genau das Dorf geschaffen,
von dem man sagt, dass es Kinder
zum Aufwachsen brauchen», sagt Andrea.
«Natürlich gibt es hin und wieder Streit unter
den Geschwistern, sie geben einander
aber auch viel Sicherheit und Geborgenheit.
Gleichbehandlung
Von der Dynamik her sind die Drillinge ein
Team und nicht eine Einheit, sie haben ganz
verschiedene Persönlichkeiten, die sich
ergänzen. Lenas ist verschmitzt, immer in
Bewegung und ein Kindermagnet, Mael
orientiert sich an Älteren, probiert gern
Neues aus, ist wissbegierig und wortgewandt,
Elea ist ein Wald- und Wiesenmädchen, einfühlsam
und stark, studiert ständig neue
Rollenspiele aus. Gerade weil die drei so verschieden
sind, vergleichen sie sich selten bezüglich
ihrer Leistungen. «Wichtig ist ihnen
allerdings, dass sie gleich behandelt werden
», sagt Andrea. Weil Elea eine Weile lang
Andreas vorwarf, er mache mehr mit den
Jungs, haben die Eltern Gutscheine für
Mami- und Papi-Zeit eingeführt, die am
Kühlschrank hängen: Diese berechtigen
wöchentlich zu je einer halben Stunde exklusiver
Zeit mit dem gewünschten Elternteil.
«Lustig ist, dass sie nun gar nicht so viel
gebraucht werden», sagt Andrea.
Familyboard
An der Küchentür befindet sich ein weiteres
wichtiges Organisationselement, das Kanban-Familyboard.
Hier können alle Familienmitglieder
während der Woche ihre Ideen und
Wünsche aufschreiben, ebenso was zusätzlich
erledigt werden muss. Zum Beispiel Kindergeburtstag
organisieren, Krankenkasse
überprüfen, Zeltübernachtung im Garten
und vieles mehr. Am Wochenende versammelt
sich die Familie vor dem Familyboard
und diskutiert die notierten Themen. Danach
entscheidet sie gemeinsam, wie viele
der zusätzlichen Unternehmungen in der zur
Verfügung stehenden Zeit von wem umgesetzt
werden. «Dabei werden wir uns immer
wieder unserer Grenzen bewusst, müssen
sie verbalisieren und uns innerhalb dieser
agil organisieren», sagt Andrea. Work-Life-Balance
ist ein Dauerthema für die Dubachs,
auch beruflich. Vor einigen Jahren haben
sie ihre eigene Firma Nahdenken gegründet
(nahdenken.ch) und unterstützen seither
Menschen durch Coachings, Beratungen
und Workshops beim Erwerb von
Selbst-, Familien- und Sozialkompetenz.
Schulwahl
Eben sind die Drillinge sieben geworden und
nach den Sommerferien in die erste Klasse
gekommen. Den Geburtstag feierten sie auf
Kinderwunsch das erste Mal getrennt, mit je
zwei besten Freunden: Mael ging mit Rüeblikuchen
und seinem Götti ins Technorama,
Lenas mit Mama und Zitronenkuchen ebenfalls
dorthin, Elea mit Papa und Schokoladenkuchen
eine Burg besichtigen. Dafür
sitzen jetzt alle drei in der gleichen Klasse.
«Wir haben lange überlegt und mit den Kindergärtnerinnen
und anderen Lehrpersonen
gesprochen», sagt Andrea. Alle waren sich
einig, dass sich die Kinder unabhängig voneinander
einbringen, mit verschiedenen Kindern
spielen und sich individuell entwickeln.
«Wegen ihrem Sinn für Gleichbehandlung
denken wir, dass es für alle im Moment einfacher
ist, in den nächsten drei Jahre die gleiche Lehrerin zu haben – und sich mit derselben Lern- und Ausflugsphilosophie auseinanderzusetzen.»
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