
Vaterkolumne
«Elternhobby Kinderaufsicht»
Von Arno Camenisch (38)
Kinder müssen beaufsichtigt werden. Doch die elterlichen Überwachungsmethoden treiben mitunter seltsame Blüten, findet der Bündner Schriftsteller Arno Camenisch. Ein Blick von oben.
Ich war für ein paar Tage in die Berge abgehauen, wo ich ungestört sein wollte, ohne Laptop und all den Plunder, nur das Handy hatte ich dabei, aber das lag auf dem Zimmer, und ich war auf der Hotelterrasse auf einem Liegestuhl, die Bergkulisse war imposant, das Wetter prächtig, als ein Helikopter am Himmel auftauchte und über das Hotel hinwegflog und ich an den Bericht denken musste, den ich im Radio auf dem Weg in die Berge gehört hatte und der von Helikopter-Eltern sprach. Zuerst wollte ich das Radio ausdrehen, blieb aber doch dran, eigentlich fand ich den Begriff Helikopter-Eltern noch witzig, ein schönes Bild für Eltern, die ihre Kinder auf Schritt und Tritt verfolgen. Der Kellner mit dem Moustache stand an der Terrasse, hielt die flache Hand vor die Stirn und schaute zum Helikopter hoch, der jetzt genau über dem Hotel schwebte wie eine Spionage-Trupp in den Agentenfilmen.
Der Kellner winkte mit dem Tablett, als würde er den Helikopter verscheuchen wollen, hier wollte man ungestört sein. Ich setzte die Sonnenbrille auf. Dank verschiedenen Apps hätten die Eltern die Schützlinge stets auf dem Schirm, das Kind trage eine Uhr mit Sensor oder ein Gerät in der Tasche, einen Sender wie ein Hund, und der übermittle den Eltern via App auf Handy oder Tablet den genauen Standort der Kids. «Little Nanny», «Life 360» oder «Wo ist Lilly?» hiessen diese Programme, die ursprünglich für demenzkranke Menschen entwickelt wurden. Und mit den neuesten Geräten würden sich die Eltern live dazu schalten können, um zu sehen, wo das Kind stehe, ob es in der Schule zum Fenster rausschaue oder in der Nase bohre, und das alles bequem vom Sofa aus. Auch im Kinderzimmer hingen Kameras. Ich war inzwischen im Pool, gut wussten unsere Eltern nicht, was wir als Kinder alles angestellt hatten, sie hätten sich mit Sicherheit eine Herzbaracke eingefangen.
Ich verzog mich auf den Balkon vom Zimmer, von wo aus man über das ganze Tal sah, wie die Bauernhöfe auf der anderen Seite in den Hängen gestapelt waren, und dachte an George Orwell und daran, dass inzwischen auch Drohnen eingesetzt würden, um die Kinder in die Schule zu begleiten. Wir zogen ganze Tage lang durch den Wald, morgens gingen wir aus dem Haus und waren gegen Abend wieder da, was in der Zwischenzeit passierte, war unsere Sache. Von Weitem war ein See zu sehen, am Himmel hingen ein paar Wolken, und mit wenig Aufwand können auch sämtliche Social Media Accounts der Kids reguliert werden, die Eltern bestimmen das soziale Umfeld, und sollte den Geräten der Sprit ausgehen, war alles in einem Back-up in der Cloud hoch oben über den Wolken abgespeichert. Das grosse Hirn vergisst nicht. Dabei hatte unser Hirn doch die wertvolle Eigenschaft, vergessen zu können. Im Hintergrund lief ein Lied von «Tocotronic», Eure Liebe tötet mich, lautete der Refrain, und ich musste an diese Frau denken, die ich kennengelernt hatte und die mir sehr gefiel, die mich aber bereits nach wenigen Wochen in den Würgegriff nahm, wo ich gewesen sei und mit wem, sodass ich schnell wieder fort war.
Beim Abendessen sass ich am Fenster und hing dem Radiobericht nach, mit den Kindern könne man den ganzen Tag vertrödeln, hiess es da, das sei ein sinnvolles Hobby für Eltern geworden, das sei Lifestyle. Und von all dem Zauber würden die Kinder selbstverständlich nichts mitbekommen, die sollten ja möglichst unbeschwert und natürlich aufwachsen. Ich bestellte zum Hauptgang einen Nebbiolo aus der Valtellina, als ich die Frau ein paar Tische weiter vorne sah, sie hatte lange braune Haare und die Augen wie Lauren im Film «The Truman Show», der die Geschichte von einem Mann erzählt, dessen Leben inszeniert und auf Schritt und Tritt verfolgt und live im Fernsehen übertragen wird. Sie schaute rüber und lächelte. Ich lächelte zurück. Nur blöd, dass Truman irgendwann dahinterkam, was da genau abging, und abhaute, auf Nimmerwiedersehen. Na dann, guten Tag, guten Abend und gute Nacht!