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Beziehungskrise
Wenn das Kind die Beziehung belastet
Warum nur kriselt es plötzlich, wir haben uns doch so sehr Nachwuchs gewünscht? Was Eltern tun können, damit die Beziehung hält.
«Ein Kind ist sichtbar gewordene Liebe» wusste schon der Dichter Novalis. Sieben Jahre nachdem Peter seine neugeborene Tochter das erste Mal auf dem Arm hielt, kann er darüber nur müde lächeln. «Meine Tochter ist das grösste Geschenk», sagt der Architekt. «Doch für die Beziehung zu meiner damaligen Partnerin war die Geburt der Anfang vom Ende.»
Heute ist der 55-Jährige zwar stolzer Vater, aber seit fünf Jahren geschieden. Vor dem Nachwuchs noch ein glückliches Paar, ging die Beziehung mit dem Einzug von Windeln und Nuggis schnell bergab. Peter, der damals Vollzeit ausser Haus arbeitete, erzählt im Telefongespräch, er habe daheim versucht, seine Frau zu unterstützen. «Doch egal, was ich tat – aus ihrer Sicht war es nie genug.»
Stress gefährdet die Partnerschaft
Wie gross der Sprung vom Paar zur Familie ist, zeigt auch die Statistik: So sind Partnerschaften in den ersten drei Jahren nach der Geburt sehr anfällig. Zwei Drittel der Paare, bei denen es in dieser Zeit kriselt, erholen sich wieder, das andere Drittel schlittert in Richtung längere Unzufriedenheit oder Trennung.
Weitere Sollbruchstellen sind der Schuleintritt des Kindes, die Pubertät oder der Auszug des Nachwuchses. «Je mehr Stress, umso gefährdeter ist eine Partnerschaft», sagt Paarforscher Guy Bodenmann (58), Professor für Klinische Psychologie an der Universität Zürich. Und Kinder sind relevante Stressfaktoren.
Viele Paare suchen in dieser Situation professionelle Unterstützung. «Die Anliegen der Eltern, die zu uns kommen, ähneln sich sehr», sagt Felizitas Ambauen (40), Psycho- und Paartherapeutin, die in Nidwalden eine eigene Praxis betreibt. «Zu wenig Paarzeit, zu wenig Intimität, zu wenig Wertschätzung, Mutter wie Vater fühlen sich unverstanden und überfordert.»
Auch die heute 40-jährige Paula erlebte dies. Drei Jahre hatten sie und ihr Partner eine spannende Beziehung. Gelegentliche Konflikte löste das Paar in ruhigen Gesprächen, auf das Kind freuten sich beide sehr. «Als sich nach der Geburt alles nur noch um das kleine Wesen drehte, war das zwar wunderschön», erinnert sich die Marketingassistentin, «aber irgendwie auch beängstigend – mein Partner und ich hatten kaum noch Zeit, in Ruhe zu reden, ständig unterbrach uns die Kleine.»
Frauen hadern mit der Mutterrolle
Paula haderte mit ihrer neuen Rolle, beneidete ihren Mann um seine Freiheiten: dass er – wie vor der Geburt – so leicht weggehen konnte, Sport machte, Kollegen traf, während sie zu Hause hockte und stillte. «Zuvor waren wir gleichberechtigte Partner, doch plötzlich sass ich am kürzeren Hebel.»
«Anfangs macht Paaren vor allem fehlende Energie und erhöhte Reizbarkeit zu schaffen», sagt Felizitas Ambauen, die zusammen mit der Journalistin Sabine Meyer den Podcast «Beziehungskosmos» produziert. Vor der Familiengründung sind solche Stimmungen leichter abzufedern – mittels Emotionsregulation, wie es Psychologen nennen: Joggen, Lesen oder sich sonst irgendwie ausklinken.
Gute Kommunikation wäre wichtig
Eltern jedoch können weniger direkt auf ihre eigenen Bedürfnisse reagieren, müssen sich mehr dem Kind anpassen. Hinzu kommt: Zwischen Stillen, Wickeln und ein paar Stunden Schlaf hat das Paar kaum noch Zeit für gute Kommunikation. «Dafür braucht es Ruhe und genug Ressourcen», so die Therapeutin, «beides ist mit Geburt des Kindes nicht mehr ausreichend vorhanden.» Vielmehr wirken Kinder wie Brandbeschleuniger.
Auf die Alltagskommunikation kommt es dabei an, betont Guy Bodenmann. Eine gute Streitkultur sei zwar ebenso essenziell, doch 80 Prozent unserer Kommunikation betreffe den Alltag. «Natürlich redet ein frisch verliebtes Paar anders miteinander, als eines, das bereits seit zehn Jahren zusammen ist – doch ein netter Umgang bleibt wichtig. Wie fürsorglich und zugewandt Paare miteinander umgehen, bestimmt das Familienklima.»
Anfällig wird das neue Beziehungsgefüge auch wenn die Mutter in ihren Beruf zurückkehrt. «Für das Kind da sein, arbeiten und gleichzeitig alles organisieren, zerreisst mich fast», sagt Sabrina, die ein Jahr nach der Geburt ihres heute vierjährigen Sohnes in ihren Beruf als Pharmaassistentin zurückkehrte. Ursprünglich hatte die 28-Jährige vor, länger zu Hause zu bleiben. Aber schnell merkte sie: «Im Job bekomme ich eine ganz andere Wertschätzung» und plante ihren Wiedereinstieg.
Viele Paare sehen sich allerdings nach der Familiengründung in die Rollenverteilung der 1950er-Jahre katapultiert. Denn unabhängig vom Umfang ihrer Erwerbsarbeit liegen Organisation von Haushalt und Alltag auch heute meist exklusiv in den Händen der Mutter. Sie denkt daran, dass das Kind für die Kita neue Wechselwäsche braucht, die nächste Vorsorgeuntersuchung ansteht und für die Schwiegermutter ein Geschenk besorgt werden muss.
Der «Mental Load» zermürbt
Der «Mental Load», diese nie schrumpfende To-do-Liste im Kopf, zermürbt (siehe Interview) und raubt noch mehr Energie. Was dann noch übrig ist, fliesst eher zum Nachwuchs als zum Partner.
Auch bei Paula und ihrem Mann spitzte sich die Situation zu, als sie wieder zu arbeiten begann. «Ich wurde ihm gegenüber immer angriffiger», erzählt die Marketingassistentin am Telefon. «Beklagte mich, war unzufrieden, fühlte mich nicht gesehen. Von ihm kam nichts. Je lauter ich wurde, umso mehr zog er sich zurück.»
Dauert dieser Zustand über Monate, kann es kritisch werden, weiss Therapeutin Ambauen: «Der Cocktail aus zu wenig Paarzeit, schlechter Kommunikation, zu wenig Wertschätzung und das Gefühl auf der Strecke zu bleiben ist Gift für jede Paarbeziehung.» Weil das Paar über weniger Puffer verfügt, reagieren beide immer häufiger gereizt, kritisieren und verletzen sich aus Unzufriedenheit, die Fronten verhärten sich. Es fehlt an Verständnis, von Sex ganz zu schweigen.
Zum Weiterhören/ -lesen und sich informieren
♦ Guy Bodenmann, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Zürich, entwickelte mit «Stressfit» und «Paarlife» wissenschaftlich fundierte Programme zur Stressbewältigung bei Individuen und Paaren, paarlife.ch
♦ Guy Bodenmann: «Mit ganzen Herzen lieben», Patmos Verlag 2021, Fr. 27.90
♦ Podcast «Beziehungskosmos»: Was macht Paare stärker? Welches sind die klassischen Alltagsfallen? Und was ist guter Sex? Psycho- und Paartherapeutin Felizitas Ambauen und Journalistin Sabine Meyer besprechen alle zwei Wochen die brennendsten Beziehungsfragen. Via Spotify, Deezer, Castbox, Spreaker, etc.
♦ Patricia Cammarata: «Raus aus der Mental Load Falle», Beltz Verlag 2020, Fr. 24.70
Das Problem ist auch: Neben den Herausforderungen Kinder und Job steht die Pflege der Paarbeziehung meist an letzter Stelle. Dabei ist diese die Basis, wie Forscher Bodenmann betont. Er findet: Eltern sollten sich nicht nur über Organisatorisches austauschen, sondern vor allem über ihr Befinden und ihre Gefühle reden. Kurz: Auf sich selbst und sich als Paar fokussieren, statt nur auf das Kind. Denn teilen Paare ihre Gefühle nicht, geht der Zusammenhalt verloren und sie entfremden sich.
Was übrigens auch die Hauptgründe sind, weshalb Beziehungen enden, wie eine Studie unter 800 Geschiedenen zeigt. Und das, obwohl bei den Allermeisten (83 Prozent) am Anfang der Partnerschaft die grosse Liebe stand.
In 80 Prozent der Fälle sind es dann die Partnerinnen, die den Schlussstrich ziehen. «Frauen setzen sich oft intensiver damit auseinander, was sie wollen und was nicht», erklärt Felizitas Ambauen das Phänomen. Hat Frau bereits resigniert, wird es schwierig für eine Therapie. Deshalb: «Nicht auf bessere Zeiten warten, sondern früh genug handeln!»
Ritualisierte Paarzeit nehmen, empfiehlt die Psychotherapeutin, Gespräche in Ruhe ermöglichen. Etwa wöchentlich bei einer «Teamsitzung» Organisatorisches besprechen und sich zugleich mehrmals die Woche zum «Wetterbericht» verabreden: «Hier geht es darum, sich emotional abzugleichen und zu fragen: Wie geht es dir gerade?»
Ambauen und ihr Mann, die gemeinsam Workshops für Paare anbieten, haben sich ausserdem in ihren Agenden alle zwei Wochen den Termin «Schneeschippen» eingetragen. «Für uns ist das eine Erinnerung, um zu schauen: Gibt es etwas, das wir besser ansprechen sollten, bevor es uns wie eine Lawine überrollt?»
Ebenso wichtig wie bewusste Paarzeit findet Ambauen jedoch auch Selbstfürsorge der einzelnen. «Es ist wie mit den Sauerstoffmasken im Flugzeug: Nur wenn ich selbst genug Sauerstoff bekomme, kann ich mich um andere kümmern.»
Paare sollten sich deshalb überlegen: Wer braucht was, um ausgeglichen zu sein? Geht Er morgens eine Runde Joggen, um aufzutanken? Schöpft Sie neue Kraft, weil Sie länger schlafen kann?
Ausserdem gilt: Um eine gute Beziehung zu führen, muss man vor allem sich selbst gut kennen. So hilft es, wenn sich beide ihrer Muster bewusst sind. «Wir alle haben Denkund Verhaltensweisen, die uns stören oder gar schaden», sagt die Psychotherapeutin. Tappen wir immer wieder in dieselben Fallen, liegt das eventuell an unbewussten Mustern, denen wir folgen. «Idealerweise sind wir uns dieser bewusst, bevor wir Kinder haben – sonst fliegen sie uns in stressigen Situationen um die Ohren.»
Überhaupt wäre es am besten, Mann und Frau beschäftigten sich bereits vor dem Kinderwunsch mit ihrer Beziehung – was zunehmend der Fall ist: Immer häufiger kommen Paare, bevor sie Eltern werden, in die Beratung und lassen ihre Kommunikationsmuster durchleuchten, beobachtet Felizitas Ambauen. «Das finde ich sehr clever – als ob man einen Führerschein macht.»
Wünschten sich beide das Kind?
Guy Bodenmann verweist noch auf einen anderen Punkt, den es im Vorfeld zu bedenken gilt: «Ein Kind sollte von beiden gewünscht sein.» Sonst bestehe die Gefahr, dass sich nicht beide gleichwertig einbringen oder sich einer bei Schwierigkeiten raus nimmt. Rückblickend glaubt Peter, dass genau daran die Beziehung zur Mutter seines Kindes gescheitert ist: «Ich stand von Anfang an eher in der zweiten Reihe.»
Auch bei Paula hat die Beziehung nicht gehalten, sie hat sich früh vom Vater ihrer Tochter getrennt. Heute lebt sie zusammen mit Kind, neuem Partner und dessen Sohn. «Das Aufteilen der Aufgaben funktioniert nun viel besser», sagt sie. «Vielleicht weil man eine Patchwork-Familie bewusster gründet. Aber es hilft natürlich auch, wenn der Partner Gleichberechtigung anstrebt und feministisch eingestellt ist.»
Gehalten hat die Beziehung von Sabrina. «Unser Sohn ist ein absolutes Wunschkind», betont die Pharmaassistentin. «Aber ich verstehe, wenn sich Paare deswegen trennen. Man muss schon sehr aufpassen, dass man sich nicht auseinanderlebt.» Sie und ihr Mann verbringen bewusst Zeit zu zweit und nutzen die grosselterliche Bereitschaft zum Babysitten. «Aber ein weiteres Kind kann ich mir nicht vorstellen», sagt die 28-Jährige, «da müsste ich noch mehr zurückstecken.»
Einst Redaktorin beim «Tages-Anzeiger», später Korrespondentin in Shanghai, schreibt Kristina Reiss heute als freischaffende Journalistin leidenschaftlich über den Mikrokosmos Familie. Dabei interessiert sie sich für alles, was Menschen bewegt – ihre Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen.