wir eltern: Frau Queckenstedt, Ihr Einstieg ins Arbeitsleben hat in einer Strumpfhosenfabrik begonnen. Ein ziemlich kreativer beruflicher Werdegang…
Tanja Queckenstedt: (lacht) Ja, vielleicht. Ich komme aus einem kleinen Dorf, da schien die Strumpfhosenfabrik eine vernünftige Lösung zu sein. Aber eben nicht für mich. Schon nach ein paar Tagen habe ich gemerkt: Plan A kommt nicht infrage. Immer in Spurrillen zu fahren, hilft im Leben nicht weiter, man muss sich auch trauen, neue Wege zu gehen.
Kreativität und Mut sind also siamesische Zwillinge?
Ich vermute das. Sicher gibt es Studien dazu. Aber für Kreativität ist es jedenfalls wichtig, Sicherheiten aufzugeben und gegebenenfalls nach völlig neuen Lösungen zu suchen.
Der Begriff wird derzeit unheimlich gehypt. Zeitschriften mit Bastelanleitungen boomen, Konfitüre einzukochen, ist hip, zu musizieren...Und diverses Zeug wird damit beworben, die Kreativität von Kindern zu fördern.
Der Grund dafür ist: Wir leben in einer völlig durchdigitalisierten Welt, aber es ist eben auch ein tiefes menschliches Bedürfnis, etwas selbst zu erschaffen. Etwa mit seinen Händen. Ein Ergebnis sehen zu wollen und diesen Stolz «Das habe ich gemacht». Doch ich möchte Kreativität nicht nur aufs Musische und Handwerkliche einschränken. Man kann auf vielen Feldern kreativ sein: in der Wissenschaft, als Unternehmer…Es gilt, die Nische zu finden, für die man sich begeistert und die einen neugierig macht. Das kann auch Buchhaltung sein.
Igitt.
Tja, gibts aber. Wollen wir kreative Kinder, müssen wir sie dabei unterstützen, diese ganz individuelle Nische zu finden.
Und wie macht man das? Beziehungsweise, wie lässt sich verhindern, dass sie ihr originelles Denken verlernen?
Stimmt, Kinder sind von Haus aus neugierig, sonst würden sie sich nicht weiterentwickeln. Kinder fragen ständig: Warum ist das so? Leider heisst die Antwort der Erwachsenen manchmal: «Weil das eben so ist.» Gegenstände etwa können für Kinder völlig verschiedene Funktionen übernehmen, sie spielen und tagträumen. Aber gerade das wird ihnen oftmals aberzogen. Dann heisst es: «Du träumst ja schon wieder.»
Träumerlis nennt man solche Jungen und Mädchen in der Schweiz.
Dabei sind Tagträume wichtig. Sie setzen nämlich das Gehirn in diesen Ruhemodus, in dem Geistesblitze auftreten und Ideen zünden können. Erst in diesem Zustand ist divergentes Denken, das Denken um die Ecke, diese neue Perspektive möglich. Und dann haben unsere Kinder zu wenig Musse.
Einen zu durchgetakteten Tag voller Schule und Freizeitstress…
…und einen Tag mit Erwachsenen, die zu schnell eingreifen, zur Eile mahnen, gegen Langeweile zu viel Beschäftigung anbieten, Aus-der-Reihe-Tanzen nicht gernhaben, in der Schule Mathe und Deutsch über alles stellen…Wohlgemerkt: Ich habe absolut nichts gegen Faktenwissen, das ist wichtig. Doch ebenso wichtig ist die Fähigkeit, dieses Wissen neu vernetzen zu können.
Aber was ist die Lösung? Grenzenlose Freiheit?
Durchaus nicht. Wie gesagt, Wissen ist sehr wichtig. Aber es ist eben auch wichtig, zu vermeintlich Nutzlosem oder Sinnlosem zu ermuntern.