In der magischen Weihnachtszeit sind wir besonders empfänglich für Wunder. Wir haben uns Geschichten von persönlich erlebten Wundern erzählen lassen. Lesen Sie sie hier.
Wunder geschehen. Kleine und grosse. Wir haben ein paar Geschichten von Wundern gesammelt.
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Am 21.1.1995 um 17.30 Uhr stirbt Andreas Berglesow. Drei Stunden liegt er in der Leichenhalle. Jetzt gerade allerdings, rund 24 Jahre später, steht er putzmunter in Uster auf der Bühne des Heilsarmee-Hauses und erzählt seine Geschichte. Wie ist das möglich? Durch ein Wunder.
Denn die geschehen. Tatsächlich und täglich. Wahrscheinlich ist dies das Wunderbarste an ihnen. Manchmal sind sie imposant und unglaublich: Wenn jemand von den Toten aufersteht; eine Jungfrau – wie weiland in Bethlehem – ein Kind auf die Welt bringt und deshalb zwei Milliarden Menschen Weihnachten feiern. Manchmal sind sie dramatisch wie im Fall der heute 23-jährigen Virginie Baudois aus Bulle (FR), die als Kleinkind von einem 2,5 Tonnen schweren Traktor überrollt wird und nur ein paar blaue Flecken davonträgt. Der Grund: Die 1879 verstorbene Freiburger Näherin Marguerite Bays soll hilfreich die Finger im Spiel gehabt haben. Das befand zumindest der Vatikan und sprach sie dieses Jahr im Oktober dafür heilig. Eine grosse Sache.
Doch viel häufiger sind Wunder konfessionslos. Auch ist so ein Wunder oft klitzeklein. Kapriziös, unberechenbar – und immer scheu. Gern versteckt es sich unter Alltag und Stress, verkriecht sich vor Ignoranz und Blindheit. Und blitzschnell duckt es sich weg vor Zynikern, Miesepetern und allen, die mit Scheuklappen durchs Leben gehen und verlernt haben zu staunen. Nein, mit denen will das Wunder nix zu tun haben. Bemerkungen wie «reiner Zufall», «alles wissenschaftlich erklärbar» und «ach, das ist doch nicht besonders» verscheuchen es sofort. Es ist dann beleidigt. Denn selbst wenn etwas häufig passiert: Ist es tatsächlich nichts Besonderes, wenn sich etwa zwei Menschen verlieben? Ist das grünliche Flackern eines Nordlichts ohne Zauber, nur weil jeder Physiker weiss, dass irgendwelche elektrischen Ladungen daran schuld sind? Und wenn einem eine wildfremde Frau spontan mit Kleingeld am Parkautomaten aus der Patsche hilft, ist das wirklich nicht der Rede wert?
Kann man so sehen. Muss man aber nicht. Rund die Hälfte der Menschen tut das auch nicht. Nach einer Umfrage des Allensbach-Institutes glauben 52 Prozent der Deutschen an Wunder. In der Schweiz dürfte es im Schnitt ähnlich aussehen.
Kaum einer davon meint vermutlich damit okkultes Brimborium wie Gläserrücken, Gespräche mit toten Tanten im Jenseits, verbogene Uri-Geller-Löffel oder dass bei Vollmond vergrabene Panini-Bildchen die Schweiz 2022 zum Fussballweltmeister machen. Sondern sie glauben fest an dieses unerwartet Schöne, das im Leben manchmal kurz aufblitzt und noch lange wärmt. Die Hoffnung, dass jederzeit Wunderbares passieren kann.
«Es gibt nur zwei Arten zu leben. Entweder so als wäre nichts ein Wunder oder so als wäre alles ein Wunder», hat Albert Einstein mal gesagt. Da nehmen wir doch lieber die zweite Art.
Und stellen Menschen vor, die mit ihren erstaunlichen Geschichten beweisen, dass genau das richtig ist.
Schwanger trotz Unmöglichkeit
Simone (39) widerlegt die Wahrscheinlichkeit
«Eigentlich hatte ich kaum eine Chance, Kinder zu bekommen. Jetzt habe ich zwei! Aber von Anfang an. Ich habe starke Endometriose. Man teilt ein in Schweregrad 1 bis 4, bei mir wurde Grad 4 diagnostiziert. Aufgrund starker Schmerzen musste ich eine happige Hormonbehandlung machen, damit die Entzündungen zurückgingen und überhaupt operiert werden konnte. Da es bei der ersten Operation Komplikationen gab, musste ich zwei weitere Eingriffe über mich ergehen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, schätzten die Ärzte in etwa bei Null ein und rieten uns, uns an das Kinderwunschzentrum zu wenden, um unsere Möglichkeiten zu besprechen.
Doch während wir auf das Beratungsgespräch gewartet haben, war das Wunder schon unterwegs. Ich war schwanger! Zum Gesprächstermin sind wir trotzdem gegangen. Die Ärzte wollten es kaum glauben. «Sind Sie sicher, schwanger zu sein?», haben sie gefragt. «So sicher, wie man sich nach drei Schwangerschaftstests sein kann», habe ich geantwortet. Zur Sicherheit wurde ein Ultraschall gemacht: 8. Woche, Fötus 9 Millimeter lang, ein winziges pochendes Herzchen. Gleich drei Mediziner haben perplex auf den Bildschirm gestarrt. Und mir auch den errechneten Geburtstermin genannt: 24. Dezember!
Bald nach der Geburt hatte ich wiederum Schmerzen, eine weitere Operation war notwendig. Leider hatte ich erneut starke Verwachsungen und ein Eileiter musste durchtrennt werden. Nur noch eine halb so grosse Chance einer fast nicht bestehenden Chance, schwanger zu werden. Doch wenige Wochen nach diesem Eingriff war unser Wunschkind Nummer 2 unterwegs. Doppeltes Wunder!»
Hirntumor überlebt trotz später Diagnose
Anne Estermann feiert zwei Mal jährlich Geburtstag. Am 27. August, das ist der, der im Pass steht. Und am 23. Januar.
Nicht ganz ein Jahr ist es her, seit ihr dieser Tumor aus dem Kopf operiert wurde. Und etwas länger, dass die 37-jährige Luzernerin an Wunder glaubt. Dabei war Wunderglaube an keiner Ecke ihrer Biografie vorgesehen: lustig, bodenständig, geboren im Osten Deutschlands, juristische Angestellte, verliebt, verlobt, verheiratet in der Schweiz, Mutter. Alles wunderbar und normal.
Doch vor sechs Jahren bekam die Normalität Risse: Ihr Töchterchen kam zur Welt. Und mit ihr der Hörsturz. Kann passieren, Stress. Finden die Ärzte. Danach ist Anne Estermann viel krank, oft hat sie Fieber. Kann vorkommen, finden die Ärzte, junge Mutter zu sein, verwuschelt halt Einiges im Körper. Vor zwei Jahren kommen Augenprobleme dazu, das Drumherum sieht verschwommen aus. Kann schon mal sein, finden die Ärzte. Man wird halt nicht jünger. Im Herbst wird sie taub auf einem Ohr. Heftiger Drehschwindel kommt dazu. Karussellfahren ist nichts dagegen.
Zum ersten Mal zucken die Ärzte nicht mit den Achseln. Magnetresonanztomografie und danach die Bilder im Besprechungsraum. Unübersehbar: ein weisser Knubbel. Ein Tumor. Erblindung, Behinderung, Tod – all das steht jetzt im Raum. «Und in dem Moment beginnt mein Wunder», sagt Anne Estermann lächelnd. «Meine Wunderkette, genaugenommen». Am 23. Januar wird das Ding entfernt. Sechs Jahre nach Beginn der Beschwerden. Sechs Jahre, in denen niemand gemerkt hat, was da in Annes Kopf passiert. Doch jetzt leistet der Neurochirurg ganze Arbeit. Er tröstet, baut auf, macht Mut – und die junge Mutter gesund. Ein bisschen später und der Tumor hätte sich beim Wachsen so viel Platz verschafft, dass eine Entfernung ohne gravierende Schäden nicht möglich gewesen wäre. Aber so – «Wunder in Kette», sagt sie: allerbester Arzt, allerbestes OP-Ergebnis, allerbester Ehemann, allerbeste Tochter. «Ihren 6. Geburtstag gesund und ganz gross feiern zu können, das war wirklich wunder-bar.»
➺ Annes Geschichte als e-book: «Das Leben ist hart, aber ich bin härter»
Glückliches Kind trotz schwerem Start
Adrian (8) hat Spina bifida, eine Sportbegabung – und genau die richtigen Eltern.
Adrian ist ein Supersportler, schnell, wendig, kraftvoll. Ständig ist er in Bewegung, am wohlsten fühlt er sich auf dem Sportplatz oder in der Turnhalle. Zu Weihnachten wünscht er sich ein mobiles Tennisnetz. Und, ach ja, er sitzt im Rollstuhl.
Für seine Mutter Fabienne ist der Junge ein einziges Wunder. Nein, ist alles ein Wunder, was mit ihm zu tun hat. Und während sie erzählt, sieht sie ihrem Sohn stolz hier in Nottwil beim Rennrollstuhl-Training zu. Aus grünbraunen Augen. Exakt so grünbraun wie seine. Was wundersam ist.
«Adrian ist adoptiert. Eine Inlandsadoption. Und ich glaube, dass er irgendwie für uns bestimmt war. Meinem Mann gleicht er nämlich sogar noch mehr als mir», lacht die 43-Jährige. Adoptionen sind kompliziert. Seriöse zumindest. Es gibt viel Papier, viele Formulare, Gespräche, Gutachten, Hausbesuche. Und auf einer der zahllosen Unterlagen die Frage: «Nähmen Sie auch ein Kind mit Behinderung?» Sie zögern und kreuzen «nein» an. «Wir wollten einfach, wie alle Eltern, ein leichtes glückliches Leben für unser Kind», sagt Fabienne. Fast als müsse sie sich dafür rechtfertigen. Und dann im Mallorca-Urlaub nach verwarteten Monaten sagt ihr Mann plötzlich: «Ich weiss, wenn wir zurück kommen, haben wir eine Nachricht, dass unser Kind da ist.» Und da war sie tatsächlich, diese Mail. «Wir haben ein Kind. Es hat Spina bifida.» Ja, das nehmen wir, haben wir zwei gleichzeitig gesagt, erinnert sich Fabienne. «Es hat sich für uns beide gleich richtig angefühlt.» Drei weitere Paare bewarben sich auch, doch nur sie durften Adrian sehen. «Ein Wunder», sagt seine Mutter. Ein bisschen wunderfördernd dürfte gewesen sein, dass Fabienne gelernte medizinische Masseurin ist und Reto, ihr Mann, Krankenpfleger. Wunderbar für Adrian. Denn medizinische und pflegerische Kenntnisse sind schon sehr nützlich bei einem Kind mit sogenanntem offenen Rücken. Zumindest in so einem schweren Fall wie bei Adrian. Vom Bauchnabel abwärts ist er ohne Empfindung, in seinem Kopf steckt ein Ventil, um überschüssiges Hirnwasser abzuleiten. Aufrecht halten, mit Hilfe stehen, verdauen oder einfach das Wachsen seiner Organe – was für andere Menschen das Alltäglichste ist, ist für Adrian eine Challenge. Gut, dass er Challenges liebt. Wettkämpfe, sich messen, gewinnen, notfalls verlieren: zähneknirschend. Innerlich ist er ein Bub wie jeder andere. Fröhlicher ist er vielleicht. Tapferer sicherlich.
«Adrian, hast du nicht langsam genug trainiert?», ruft Fabienne ihrem Sohn zu, der hochkonzentriert Bahn um Bahn fährt. «Neieiiiheiiinn!», ruft der zurück. Wer ein Ziel hat, muss dafür kämpfen. Seines ist, so schnell wie Marcel Hug, der Rennrollstuhl-Weltmeister und Paralympics-Sieger zu werden. «So 60 Stundenkilometer», schätzt Adrian, bringt der auf die Reifen. Adrian mit 60 Stundenkilometern? Warum nicht? Kann alles passieren.
Sportlicher Erfolg von Null weg
Sayed (14) ist Flüchtling, Schüler – und Sieger
«Vor vier Jahren sind wir in die Schweiz geflohen. Ich komme aus Afghanistan, dort ist ständig Krieg. Hier ist Frieden. Das ist nicht selbstverständlich. Man kann «wundervoll» dazu sagen. Ich habe aber noch ein anderes Wunder erlebt: 2017 habe ich mit Ringen begonnen. 2018 bin ich Schweizer Meister geworden. Für die Klasse unter 53 Kilo. Ich bin sehr stolz darauf.»
Rückkehr von den Toten
Andreas Berglesow (51) ist ein Ex-Toter. Was nie passiert, ist ihm passiert. Ein Rückkehr-Wunder.
Im Januar 1995 ist Andreas Berglesow in Sibirien für die «Aktion verfolgter Christen» unterwegs. Reha-Zentren will der Russland-Deutsche gründen, Armut lindern und, ja, auch das, als zutiefst gläubiger Mensch sein Verständnis der «frohen Botschaft» selbst in den allerletzten gefrorenen Winkel der Welt tragen. Vom Baikalsee aus fährt seine Gruppe immer Richtung Norden. Das Thermometer zeigt an diesem 21. Januar minus 58 Grad. Die Strasse durch die Taiga ist lediglich eine schmale Fahrspur: links tiefe Schneewehen, rechts tiefe Schneewehen. Stockfinster wird es da oben spätestens ab 16 Uhr. Doch um 17 Uhr wird es plötzlich hell: Scheinwerfer eines entgegenkommenden Lasters. Das Ausweichmanöver missglückt. Frontalkollision. Das Lenkrad seines Jeeps bohrt sich in Andreas Berglesows Bauch.
Was von da ab passiert, bekommt er später erzählt. Wie man ihn in Burjatien in ein kleines Krankenhaus geschafft hat und man dort versucht, trotz diverser abgerissener Organe sein Leben zu retten. Gegen halb sechs beugt sich ein Arzt über ihn und sagt zur Schwester: «Kein Puls mehr. Kein Herzschlag.» Exitus.
Andreas Berglesow ist tot. Er wird in einen Nebenraum geschoben. Seine Frau, die in Irkutsk geblieben ist, wird verständigt, zwei Stunden später bringt man ihn mit einem Tuch bedeckt in die Leichenhalle. Und dort geschieht nach weiteren drei Stunden das Unglaubliche. Eine Art Bestatter sucht «seine» Leiche, schlägt bei der Suche versehentlich das Tuch von Andreas Berglesow zurück und – der blickt ihn an: mit offenen Augen. Fünf Stunden ist er da offiziell schon tot. Dann geht alles ganz schnell: neue Notoperation, Intensivstation. Anderthalb Monate Krankenhaus. Jetzt steht der Ex-Tote schmal, blass, aber überaus lebendig hier vor der Heilsarmee-Gemeinde in Uster und erzählt. Naturwissenschaftler könnten vielleicht eine Erklärung für sein Erlebnis finden. Doch für den gläubigen Christen geschah damals «ganz klar ein Wunder. Gott will, dass ich sein Wort noch länger weiterverbreiten kann.»