Fussballkids
Chum, bring en hei!
Fussball ist das Hobby Nummer eins für ganz viele Buben und nicht wenigen Mädchen. Dass dazu mehr gehört als ein Ball und zwei Tore, zeigt unser Besuch bei drei ganz unterschiedlichen Fussballclubs.
Kinderfussball boomt. Laut dem Schweizer Fussballverband SFV spielen in der Schweiz rund 60 000 Kinder zwischen fünf und zehn Jahren in einem Fussballverein. Die Nachfrage nach einem Platz in einem Juniorenclub ist so gross, dass einige von ihnen Wartelisten führen. Nicht selten warten Kinder bis zu einem Jahr auf einen Trainingsplatz – Buben in der Regel etwas länger als Mädchen, doch diese holen in Sachen Fussballbegeisterung gerade gewaltig auf.
Mit einem Platz in der Trainingsmannschaft ist die Sache für die Eltern noch lange nicht erledigt. Damit der Nachwuchs kicken kann, braucht es oft sehr viel elterliches Engagement und ehrenamtliche Trainer:innen (meist auch Eltern), die einen Grossteil ihrer Freizeit gerne auf dem Fussballrasen verbringen.
Wir durften bei drei Clubs am Spielfeldrand Platz nehmen, um herauszufinden, wie man heute Jungmannschaften zwischen Fair Play, Spass und Nachwuchshoffnungen trainiert. Zwei Dinge waren überall gleich, ganz gleich ob Stadt oder Land, Grossverein oder Dorfclub; mit wie viel Herzblut, Zeit und Geduld sich die Trainer:innen für ihre Kids einsetzen und wie unglaublich motiviert die Nachwuchskicker:innen bei der Sache sind.
Der traditionelle Quartierclub aus der Stadt
«Ich will keinen Ball in der Hand sehen, Leute!», ruft Trainer Jorge Baia übers Feld und bläst in seine Trillerpfeife. Zehn Buben mit Jahrgang 2016 tänzeln um ihn herum. Dass sie alle gleich alt sind, sieht man ihnen nicht an. Einige Buben überragen ihre Mannschaftskollegen um fast zwei Köpfe. Jeder der Sieben- bis Achtjährigen schiebt zum Aufwärmen einen Fussball vor sich her. «Rennt mit dem Ball! Ihr schlaft ja fast ein!», ruft Jorge. Obwohl sie sich nur in einem kleinen Abschnitt des riesigen Fussballfeldes bewegen, ist es schwierig, die Anweisungen des Trainers zu verstehen.
Der Sportplatz Hardhof liegt mitten in Zürcher Quartier Altstetten. Die Grossstadt dröhnt, ein überdimensionaler Presslufthammer lärmt unermüdlich in der Nähe. Es ist der erste schöne Tag der Saison, und auch das erste Training auf dem Kunstrasen, nachdem die Gruppe monatelang in der Halle trainiert hat. Es riecht nach Frühling. Jorge klopft einem Jungen aufmunternd auf die Schultern, hilft einem anderen, die Schuhe zu binden. Dann beginnt eine neue Übung. Es ist nur noch ein Ball im Spiel.
Die Eltern stehen am Spielfeldrand. Manche schauen aufs Handy, andere gebannt aufs Feld. Ein Vater ruft ab und an Anweisungen in Richtung seines Sohnes. Dieser scheint verunsichert. Es gäbe manchmal schon überambitionierte Eltern, sagt Jorge. Aber «seine» Eltern seien sehr umgänglich. Er hätte ihnen von Anfang an klargemacht, dass er die Entscheidungen treffe und dass es hier um die Freude am Spiel gehe.
Die Kinder spielen nun übers Kreuz und versuchen, den Ball in einem der vier kleinen Goals zu versenken. «Ist das bubig», kommentiert ein Junge. Die Gruppe der Junioren wurde im Sommer 2023 neu gegründet. Davor standen die meisten von ihnen über ein Jahr auf der Warteliste. Das sei keine Selten - heit, erzählt Jorge Baia.
Jorge Baia, Trainer Sportclub Wipkingen
Das sei keine Selten - heit, erzählt Jorge Baia. Der Fussballtrainer hat portugiesische Wurzeln, ist Stadtzürcher und mit Fussball aufgewachsen. Er war schon als Bub Mitglied im Fussballclub Wipkingen, kurz SCW. Sie seien ein Familienverein. 1919 wurde der SCW von einer Gruppe Fussball - freunde gegründet und hat in seiner über hun - dertjährigen Geschichte einige Höhen und Tiefen erlebt.
Schon früh war der SCW für hochwertigen Frauenfussball bekannt. Heute trainieren Kinder, Jugendliche und Erwach - sene im Traditionsverein, der für Integration, Gleichstellung, Respekt und Offenheit steht, wie es auf der Website heisst. Im Gegensatz zu anderen Quartierclubs braucht es beim SCW keinen Eignungstest, um einen Trai - ningsplatz zu bekommen. Allerdings sei es schwierig, kompetente Trainer zu finden, sagt Jorge. Er sei sehr kritisch und habe damit schon einige Diskussionen ausgelöst.
«Das hast du gut gemacht, ich habs gese - hen!», ruft Jorge einem Jungen mit blonden langen Haaren zu. Sie spielen fünf gegen fünf. Plötzlich liegt ein Junge am Boden und weint. «Hey Leute, seid nett zueinander !», mahnt Jorge. Genauso schnell, wie er zu Boden ging, steht der Junge auf und spielt weiter. Bald werden sie ihr allererstes Turnier spielen. Die Fussballschuhe leuchten neonfarben auf dem grünen Kunstrasen. Engagiert und quirlig sind sie, die Jungs, ihre Wangen sind gerötet. Zwei tragen Shirts mit Namen bekannter Fussballer wie Sommer oder Messi. Als wir sie nach ihren Vorbildern fragen, antworten beide ohne nachzudenken: «Unsere grossen Brüder!»
Auf Kunstrasen zwischen Stadt und Land
«Das hier ist kein Zirkus. Wir sind im Fussball!», ruft Trainer Pitch Würgler. Ein Mädchen hat mitten in der Aufwärmübung ein Rad über die Wiese geschlagen. Eigentlich sollten die zwanzig Mädchen seitlich der Linie entlang rennen und dabei jeweils einen Fuss hinter den anderen setzen und umgekehrt. «Nicht zu viel drehen, sonst wird euch schwindelig», ergänzt Berni Lippuner. Er ist der zweite Trainer, der die Mädchengruppe trainiert. Seine Frau Nicole Lippuner ist Lehrerin und unterstützt die beiden als Hilfstrainerin. Der Umgang mit Kindern ist für sie Routine. Ihre Tochter und die von Pitch sind auch Teil der Gruppe. Die Mädchen sind zwischen sieben und neun Jahre alt.
«Der Rasen ist warm», sagt ein Mädchen und alle, die um sie herumstehen, legen instinktiv ihre Handflächen auf den Kunstrasen. «Ein Regenwurm!», ruft eine andere. Trainerin Nicole nimmt ihn und bugsiert ihn aus dem Spielfeld. Dass es Regenwürmer auf dem Kunstrasen gibt, wundert offensichtlich niemanden. Um genau diesen Rasen musste der 1968 gegründete FC Urdorf lange kämpfen. Am 1. Juli 2022 war es dann endlich soweit. Nach einer Gemeindeabstimmung bekam Urdorf den Kunstrasen-Fussballplatz Chlösterli.
Nicole Lippuner, Trainerin FC Urdorf
Heute zählt der Club 500 Aktive, davon sind 400 Kinder. Bei den Mädchen gibt es noch keine Wartelisten, innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre sind jedoch 130 neue Mitgliederinnen hinzugekommen. Die neuen Rasenflächen bieten neue Kapazitäten. Ein Mädchen streckt auf wie in der Schule. «Ja?», fragt Nicole. «Wann dürfen wir trinken?» Noch nicht. Zuerst gibt es noch ein paar Übungen. Diese stellen die Trainer:innen aus den Jugend- und Sportheften ( J & S) zusammen oder aus ihrem eigenen Repertoire. Pitch und Berni sind selbst passionierte Fussballer. Immer wieder rufen sie «konzentrieren !», «genau so !» oder «sehr gut, super gemacht !», während die Mädchen spielen.
Nicole erzählt, dass die Unterschiede schon gross seien. Einige Mädchen wären noch total verträumt, andere dribbeln schon wie die Grossen. Aber alle seien sehr motiviert und umgänglich. Dass sie zu dritt das Training leiten, hätte sich so ergeben. Wegen des Geldes machen sie es nicht. Pro Jahr bekommen sie pro Team 1750 Franken. Die setzen sie dann für ein gemeinsames Hotdog-Essen mit der Mannschaft ein. Auch in Urdorf sei es eine Herausforderung, neue Trainer:innen zu finden. Der Aufwand ist gross, weil man auch viele Turniere am Wochenende organisieren muss. Trinkpause. Dann wird weitergespielt.
Auch hier werden die Kinder in kleine Gruppen aufgeteilt. Nicole erklärt, dass sie nach den Regeln des «Play more Football» spielen. Eine Spiel- und Trainingsmethode, die vom Schweizer Fussballverband SFV extra auf die Bedürfnisse des Kinderfussballs zugeschnitten wurde. Auf kleinen Spielflächen sollen die Kinder eine möglichst aktive Spielzeit erhalten. Alle kommen so zum Zug und können verschiedene Spielsituationen und Positionen üben. Nicole zeigt eine Übung vor und schiesst dabei ein Tor. Alle klatschen und applaudieren. Es wird viel gelacht und gescherzt. Nicole sagt, dass die Mädchen sehr sozial seien und die Solidarität untereinander riesig sei. Und was ist der grösste Unterschied zu den Jungs? «Die Buben trainieren in jeder freien Minute auf dem Schulhof. Die meisten Mädchen nur im Training.» Ansonsten merke man in diesem Alter noch keinen grossen Unterschied.
Dorfverein auf der Wiese
Auf der grossen Wiese beim Schulhaus Mettmenstetten stehen Bauvisiere. Ein Teil des Platzes wird für neue Pavillons benötigt. Immer mehr Familien und Kinder ziehen aufs Land. Das merkt auch der FC Knonau-Mettmenstetten-Maschwanden. Gleich drei Gemeinden haben sich zum Dorfverein zusammengeschlossen. Es gibt über 200 Mitglieder, davon sind 170 Kinder. Damit sie trainieren können, weichen sie auf Wiesen, Äcker oder Fussballfelder in Nachbargemeinden aus.
2009 gegründet, zählt der FC KMM zu den jüngsten Fussballvereinen im Knonaueramt. Mittlerweile führt aber auch er eine Warteliste. «Mein Ziel ist es, so bald wie möglich eine reine Mädchenmannschaft zu gründen», sagt Trainer Cesar Castillo. Er stammt aus Mexico und trainiert zusammen mit zwei weiteren Trainern, ebenfalls Elternteile, eine 12-köpfige gemischte Kindergruppe. In Mexiko sei es total normal, dass Mädchen Fussball spielen. Hier auf dem Land merke man schon noch die konservative Einstellung, dass Mädchen eher tanzen oder reiten. Das will Cesar ändern. In der gemischten Gruppe spielt auch seine eigene Tochter. Im Moment sind es sieben Mädchen. «Sobald ich 12 habe, legen wir los.»
Marcello Musio, Präsident FC KMM
Die Kinder in dieser Mannschaft sind zwischen sechs und neun Jahre alt. Während wir reden, wärmen sie sich auf. Sie hüpfen um bunte Markierungen herum und dribbeln den Ball von einem zum anderen Punkt. Eltern stehen hier keine am Spielfeldrand. Aber die meisten Trainer:innen hier sind Eltern, die den sechstägigen J&S-Kurs absolviert haben. «Wir bezahlen unseren Trainern und Trainerinnen auf dieser Stufe 1000 Franken Lohn pro Jahr, die sie sich dann aufteilen, so sind wenigstens die Spesen gedeckt.» Ohne Sponsoren wäre nicht mal das möglich, sagt Vereinspräsident Marcello Musio, der nun mit uns am Spielfeldrand steht. Nur mit den Mitgliedsbeiträgen komme der Club auf keinen grünen Zweig. Aktuell sind auf der Website sechs Vakanzen ausgeschrieben. Gesucht werden unter anderem Juniortrainer:innen, OK-Mitglieder und Schiedsrichter:innen. Bewerbungen erhalten sie dafür aber keine. Deshalb werden Eltern, deren Kinder neu in den Club wollen, sofort für eine Aufgabe eingespannt. Anders gehe es nicht.
«Bei uns müssen die Kinder etwa ein halbes Jahr warten, bis wir sie in die Mannschaft aufnehmen können», sagt Marcello. Und wie werden Talente gefördert? «Ich bin der Talentscout», sagt der Vereinspräsident. Bei den Zwölfjährigen fange er an. Pro Jahr meldet Marcello zwei bis drei Talente zum Probetraining an und mit etwas Glück und viel Geschick landen diese dann beim grossen Grashopper Club Zürich. «Einer unserer Junioren spielt bei GC in der U17, da sind wir megastolz drauf.» Es sei vielmehr das Angefressensein, nicht mal unbedingt, ob jemand besonders technisch spielt, das ein Talent ausmache, sagt der Vereinspräsident und rennt zu den Jungs rüber, die schon auf ihn warten. Er trainiert die Zwölfjährigen.
Cesar verteilt derweil Goalie-Handschuhe, die er wie Pausenbrote aus kleinen Ikea-ZipTüten zieht. Die Kinder sind in zwei Gruppen aufgeteilt und versuchen, Goals zu schiessen. Jeder und jede darf mal in die Handschuhe schlüpfen und das Tor hüten. Ein Junge scheint dabei besonders Spass zu haben. «Ich bin Mathis und wenn ich gross bin, möchte ich Goalie werden», sagt er stolz.
Zum Schluss wird richtig gespielt. «Andere Seite!», ruft Cesar. Er zeigt mit dem Finger auf das gegenüberliegende Goal, als ein Junge aufs falsche Tor zielt. Kann ja mal passieren. «Du spielst heute sehr gut», sagt er zu einem anderen. Mitten im Spiel müssen auch mal Schuhe gebunden werden. Auch das übernimmt Cesar. Als das Training vorbei ist, stehen alle in einer Einerreihe, um sich von ihm zu verabschieden. Die meisten werden von ihren Eltern mit dem Auto abgeholt. «Gut, haben wir Fahrgemeinschaften organisiert», sagt eine Mutter und winkt zum Schluss nochmals dem Trainer zu. «Bis nächste Woche !»