Vaterzeit
Spaghetti Bolognese aus dem Breiglas
Unser Kolumnist will es sich auch mit Baby Luule nicht nehmen lassen, in guten Restaurants essen zu gehen. Nicht alle sind erfreut darüber.
Ich bin nicht nur ein paar Jahre älter als viele meiner Papi-Kollegen, die am Freitag mit Kinderwagen durchs Quartier irrlichtern, sondern der Unterschied liegt auch im Portemonnaie: Dort nämlich steckt bei mir eine Mehrfahrtenkarte «Zürich-Chiasso». Das lohnt sich, fahre ich doch bestimmt achtmal im Jahr nach Italien. Fahren? Ok: Ich fuhr bis Oktober 2022. Bis Luule zur Welt kam.
Ging es von Zürich aus mit dem Eurocity einst auch mal bloss für einen halben Tag ins Gastroparadies Mailand, reise ich jetzt mit dem Interregio 75 am Samstag um 12.35 Uhr für zwei Stunden ins Windelparadies Konstanz. Statt mich auf den reservierten Platz im Speisewagen zu setzen, bitte ich nun drei Mitreisende, das hochklappbare Kinderwagenabteil für uns freizugeben. Statt mir später in Mailand zweihundert Gramm Wildschweinschinken von Hand abschneiden zu lassen, kaufe ich im Konstanzer Drogeriemarkt vier Pack Windeln. Als ich dort im Baby-Regal erstmals pürierte «Spaghetti Bolognese» entdeckte, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, dachte jedenfalls an schöne Tage in Bologna.
Senf tropft auf die Hose - auch egal
Auf der Heimreise von Konstanz verschlingen wir im Zug jeweils eine Leberkässemmel von Metzger, der im Untergeschoss des praktischerweise gleich neben dem Bahnhof liegenden Shoppingcenters eine Filiale hat. Beim Biss ins weiche Rund denke ich wehmütig an die Köstlichkeiten, die ich einst im Erdgeschoss des Mailänder Bahnhofs kaufte. Immerhin: Tropft der Senf auf die Hose, bleibe ich gelassen – dort klebt eh schon Brei von Luule.
Obwohl die Fahrten in den Süden drastisch abgenommen haben, ist meine Lust nach Restaurants nicht ausgelöscht. Ist das egoistisch – sowohl gegenüber Luule als auch gegenüber den anderen Gästen? Meistens schläft Luule im Kinderwagen. Tut sie es nicht, sitzt sie zufrieden bei meiner Partnerin oder mir auf dem Schoss und betrachtet die hochspannende Restaurantwelt, als wäre sie eine Theaterbühne. Und wenn zwei Herren am Nebentisch Luules süsses Lächeln stoisch ignorieren, verstehe ich das: Ich war vor einem Jahr genau so.
80 Minuten für 7 Gänge
Wir waren in Riga in einem Restaurant, wo man uns laut Speisekarte 7 Gänge in 3 Stunden servieren wollte. Wir setzten uns hin, sagten auf den Babywagen zeigend, falls sie es in 80 Minuten schaffen, würden wir bleiben. Und siehe da: Es war für alle machbar.
Tönt einfach, verlangt aber nicht viel mehr als das, was man im Restaurant fürs viele Geld sowieso immer verlangen sollte: gutes Essen und Gastfreundschaft. Und so wage ich es und mag es, auch in der Schweiz mit Luule in Restaurants zu gehen.
Ist sie dabei, fallen die Masken. In der bis anhin verschmähten Zürcher Quartier-Pizzeria hat Luule – und wir – nun eine beste Freundin («Ciao amore, come sei bella!»). In einem legendären, von mir einst geliebten Luzerner Traditionshaus eine beste Feindin, die bei unserem Eintritt mit Kinderwagen um 13.45 Uhr zur Tür wies und sagte: «Wir schliessen um 14.30 Uhr». Länger als 45 Minuten wollen wir sowieso nicht hierbleiben, sagte ich, worauf die Chefin uns den Tisch neben der Extraheizung gab, die Luule sehr zu schaffen machte.
Gastro-Reisen mit Baby?
Da erinnerte ich mich gerne an die Restaurantbesuche im Dezember in Mailand, wo man uns mitsamt der zweimonatigen Luule mit offenen Armen empfing. Und da das Reisen mit Luule problemlos ist – ja, ich bilde mir gar ein, dass sie es mag –, überlege ich mir eine Wiederholung der Pilgerfahrt in die Abruzzen nach Castel di Sangro, wo laut Gastroführern das beste Restaurant Italiens steht. «Wer aus Zürich mit dem Zug hinfährt, wird 30 Stunden nach Abreise den ersten Gang geniessen können. Und ihn nie mehr vergessen», schrieb ich 2019 in einer Reportage.
Ob Luule auch willkommen ist? Reserviere ich einfach mal drei Plätze, schiebe dann den dritten Stuhl weg und parkiere dort am grossen runden Tisch den extra kleinen Babywagen? Jedenfalls könnte ich dann wieder mal die Mehrfahrtenkarte «Zürich–Chiasso» benutzen.