Sex
So kommt die Lust auf Sex nach der Geburt
Flaute in den Laken – der Problem-Klassiker junger Eltern. Was man dagegen tun kann, wenn man etwas tun will, weiss die Sexologin Ann-Marlene Henning.
wir eltern: Ann-Marlene Henning, Hodenwachs – was, um Himmels Willen, ist das? Beim Lesen Ihrer Bücher musste ich nämlich feststellen, dass ich offenbar weniger aufgeklärt bin, als ich gedacht habe.
Ann-Marlene Henning: (lacht) Hodenwachs kann man am besten mit Handcreme vergleichen. Das ist so ein Zeug, das die Hoden nach dem Rasieren weich und schön duftend macht. Jetzt, wo Männer sich auch überall rasieren, entstehen natürlich auch neue Produkte.
Gunnar Meyer
Die wohl bekannteste Sexologin und Paartherapeutin Deutschlands. Die gebürtige Dänin lebt in Hamburg, ist Autorin zahlreicher mehrfach ausgezeichneter Aufklärungsbücher für Jung und Alt, Moderatorin der ZDF Dokumentarreihe «Make Love», studierte Neuropsychologin, Ex- Model, Mutter, geschieden, neu verpartnert – und fest davon überzeugt, dass Lachen und Lockerheit auch im Schlafzimmer gewiss nicht schaden können. Neustes Projekt von ihr: « Doch! Doch! Doch! (D) ein erotisches Spiel».
Aha. Mein Mann, den ich danach als Erstes gefragt habe, hält mich jetzt nicht nur vollends für verrückt, sondern hat zudem irgendwas gemurmelt von man könne eindeutig auch zu viel über den Bereich Sex reden.
Hat er Recht?
Halb. Wenn es ein Problem gibt, wird man wohl nicht drumrum kommen zu reden. Probleme haben leider die Eigenschaft, sich nicht von allein in Luft aufzulösen. Aber wenn alles gut läuft, ja, dann kann man tatsächlich manchmal alles zerreden. Apropos: In Norwegen gibt es eine Initiative, die anregt, jungen Eltern zur Geburt eine 10er-Karte Paartherapie zu schenken.
Und? Was halten Sie davon?
Einiges. Ich finde es eine gute Idee, jungen Paaren damit zu signalisieren: Hallooo, jetzt kommt eine Phase, in der vielleicht Probleme kommen werden. Prophylaxe ist hier eine gute Sache, ohne dass damit etwas verteufelt wird.
Mit der Elternschaft gibt es einige neue Klippen, die es zu umschiffen gilt…
Das stimmt. Aber was ich sagen will, ist: Früher hat man mit Familienmitgliedern, mit Freunden oder dem Pastor gesprochen, wenn etwas nicht glatt lief. Heute gilt: Wer ein Problem hat und fragen muss, hat irgendwie versagt. Das ist falsch. Genauso wie Menschen einzureden, dass alles, was von hollywoodartigem Familienalltag abweicht, verkehrt und behandlungsbedürftig sei. Ich bin eine Verfechterin davon, die Realität zu sehen, wie sie ist.
Die Realität frischgebackener Eltern ist aber manchmal, dass der Sex flöten geht und ebenso die Selbstwahrnehmung als sexy Mann oder sexy Frau. Bezeichnenderweise heisst es in der Schweiz DAS Mami…
Oh nein, wirklich? DAS? Nicht DIE? Das ist schlimm. Ja, viele Mütter und Väter gehen sich selbst als sexuelle Wesen verloren. Man muss allerdings sagen, besonders diejenigen, die vorher auch nicht gerade versessen auf Sex waren. Denen reichen dann vollständig die Streicheleinheiten durchs Kind. Ich habe in der Beratung Paare erlebt, da sagt er: «Bei uns läuft so gut wie nichts mehr, seit das Kind da ist.» Das Kind ist acht. Oder noch älter.
Klingt, als sei mit dem Baby aus dem Bauch der Mutter auch der Sex verschwunden.
Oft entsteht ein Teufelskreis. Die Säuglingszeit ist anstrengend, mindestens einer von beiden findet Schlaf vielleicht zeitweise wichtiger als Sex. Und nehmen wir mal an, die Frau sei die Wenig-Wollerin, dann ist es doch so, dass der Mann nach längerer Abstinenz schon mal auch bei einer Umarmung eine Erektion bekommt und die Frau denkt: «Ständig will der nur Sex, gibt man ihm den kleinen Finger, nimmt er gleich die ganze Hand.» Manchmal werden daraufhin vorsorglich sämtliche Berührungen eingestellt. Das entfernt die beiden voneinander. Es gibt das übrigens genauso umgekehrt, dass der Mann der Wenig-Woller ist.
Mit einem Baby ist ja ohnehin schon rund um die Uhr ein Mensch körperlich total nah.
Ja, klar. Und das ist zeitweilig auch normal. Ich kann es nicht oft genug sagen: So wie sich alles im Leben ändert, ändert sich auch der Sex. Immer wieder. Bis ins Alter. Die Erwartung, man müsse sich permanent heftig begehren und sich alle paar Tage sofort an der Tür die Kleider vom Körper reissen, ist Quatsch. Aber es ist fest in den Köpfen zementiert, wie ein Liebesleben sein soll. Angeblich stets leidenschaftlich wie am Anfang. So ein Unsinn. Zu Beginn erledigen die Hormone alles von allein. Später muss man sich ein bisschen bemühen und herausfinden, was passt. Berührungen ganz einzustellen jedenfalls sorgt dafür, dass Männer leiden wie Sau. Und Frauen auch.
Okay, der Sex ändert sich. Aber verdampfen sollte er auch nicht. Was also tun?
Schritt 1: Weg von den Hochglanzvorstellungen. Sich keinen Stress machen und wissen: Das ist eine Phase. Die geht vorbei.
Schritt 2: Gelegenheiten schaffen. Warum sich nicht samstags nachmittags, wenn die Kinder Mittagsschlaf machen, gemeinsam hinlegen und schauen was passiert.
Schritt 3: Verliebt spielen.
Klingt schräg. Wie hab ich mir denn das vorzustellen?
Na, sich überlegen, was hätte ich denn jetzt in dieser Situation getan, damals, als es mit uns noch frisch war?
Nicht die Jogginghose angezogen?
Vielleicht. Und wenn, dann vielleicht dazu ein anderes Oberteil. Vielleicht eines mit einem rutschenden Träger. Und vielleicht hätte ich auch häufiger was Nettes gesagt…
Frauen hadern nach der Schwangerschaft aber oftmals mit dem veränderten Körper und haben Mühe, ihren Busen wieder als erotisch und nicht als Futternapf zu sehen. Da fällt lasziv schwer.
Erstens: Die meisten stillen ja nicht drei
Jahre. Okay, es gibt Härtefälle …
Zweitens: Wer sagt, dass Stillbrüste es nicht mögen, wenn ein Mann daran zu Gange ist? Viele Frauen spüren beim Stillen mit einmal wieder ihr Unten und sind daher schneller geil auf den Partner. Es gibt alles. Und drittens: Jetzt komme ich wieder mit meiner Realitätswahrnehmung: Man muss einfach mal die Sachen so nehmen, wie sie halt sind. Den eigenen Körper beispielsweise. Okay, man könnte gegen den Restspeck der Schwangerschaft ansporteln, um sich wieder sexy zu fühlen. Könnte man. Aber sollte man das auch? Nö. Die Zeit ist stressig genug, da muss man sich nicht noch zusätzlichen Stress machen wegen einiger Rundungen. Das sage ich jetzt auch als Wissenschaftlerin: Es ist eher schädlich als gesund, noch mehr Adrenalin durch anstrengenden Sport oben drauf zu pappen, für den es für eine Weile eigentlich kaum Zeit gibt. Und unentspannt ist es auch. Das ist nie sexy. Wieso erlaubt man seinem Körper nicht einfach mal ein Jahr Ruhe? Oder länger. Man kann ihn ja, wenn man sich so gar nicht arrangieren kann, nett verhüllen. Für kleines Geld gibt es jede Menge Hübsches. Aber am besten wäre, endlich die überzogenen Erwartungen abzulegen. Ich bin jetzt 55. Zu hoffen, dass ich nochmal aussehe wie mit 26, ist schlicht unrealistisch, da könnte ich rund um die Uhr Sport machen. Ausserdem ist es einfacher, neue Lampen zu kaufen.
Äh, neue Lampen?
(lacht) Ja, ich sollte wirklich für meine Tipps Geld von Möbelhäusern bekommen. Man muss sich manche Wohnungen mal angucken: total erotikfeindlich. Das Schlafzimmer ist eiskalt und grell ausgeleuchtet. Und im Wohnzimmer sitzt er im Sessel und sie auf der Couch. Da ergibt sich garantiert gar nix einfach so von allein. Weder spontan, responsiv noch kontextabhängig.
Die Begriffe müssen Sie aber erklären.
Spontane Lust ist dieses «zack, ich bin geil». Laut einer Studie funktioniert das bei 75 Prozent der Männer, aber nur bei 15 Prozent der Frauen. Wahrscheinlich wäre deren Prozentsatz aber höher, wenn sie nicht noch immer dieses angelernte «das gehört sich für eine Frau nicht» im Kopf hätten. Responsiv bedeutet: Man liegt so rum, streichelt absichtslos hier, berührt dort und schaut was entsteht: 30 Prozent der Frauen reagieren so, 5 Prozent der Männer. Die kontextabhängige Erregung ist diejenige, die nur entsteht, wenn das ganze Drumherum auch stimmt: Stimmung, Licht, Bett … Für 50 Prozent der Frauen ist das essenziell, aber auch für jeden vierten Mann. Kurz: Wenn es mit dem Sex nicht läuft, lässt sich jenseits spontaner Geilheit noch einiges tun.
Männer, Frauen. Sind die wirklich so unterschiedlich? Barbara Schöneberger hat
ja neulich einen Shitstorm kassiert, weil sie gesagt hat, dass Männer von Natur aus anders sind und sich doch bitte nicht auch noch schminken sollen.
Dieses «typisch Mann», «typisch Frau» ist – vom Offensichtlichen abgesehen – Unsinn. Uns wird nach wie vor viel Quatsch anerzogen. Was etwa die Jungen und Männer heute alles sollen: weich sein bei Bedarf, aber auch knallhart ihren Mann stehen – in jeder Hinsicht … Die Männer stehen unter enormem Druck. Diese Stereotype sind nicht gut. Ich zum Beispiel bin eine Frau, aber in vieler Hinsicht total typisch männlich: Ich trage ständig Hosen, bringe das meiste Geld heim … Was allerdings wichtig ist in der Partnerschaft, ist eine gewisse Spannung. Dass man nicht eins wird, nicht symbiotisch. Sondern stets eine gewisse Distanz bleibt.
Aber sind nicht gerade für Eltern Einheit und Harmonie die höchsten Ziele?
Ach ja, sind sie das? Ich finde nicht. Respektvoll sein, ja. Aber ansonsten sollte doch jeder als eigenständige Person fassbar bleiben. Dieses ganze harmonische ei, ei, ei sorgt nur dafür, dass man vor lauter ei, ei, ei im Bett einschläft.
Aber in langen Beziehungen kennt man sich doch so gut…
Tut man das wirklich? Zu meinen, man kenne den anderen so gut, die Neugierde aufeinander zu verlieren, das ist lähmend für die Paarsexualität. Deshalb habe ich dieses Spiel «Doch! Doch! Doch!» entworfen, in dem man sich wechselseitig sehr persönliche – auch sperrige – Fragen stellt und exakt eine Minute darauf antworten darf. Sich solche Fragen zu stellen, zuzuhören und vielleicht über die Antwort zu staunen, das bringt Nähe, Intimität und erotische Spannung. Zudem gibt es auf höheren Spielstufen auch Berührungsaufgaben, die nun auch für eine gefühlte Minute ausgeführt werden. Man kanns ja aus Spass mal testen. Ich bin ohnehin ein Fan von Spielerischem, Lachen und ganz locker was auszuprobieren.
Frau Henning, leider, leider ist unsere Gesprächszeit um. Zum Schluss noch mal eine reine Wissensfrage: Neulich hab ich gelesen, dass es gar kein Jungfernhäutchen gibt. Stimmt das?
Richtig. Das Jungfernhäutchen gibts nicht. Reine Erfindung. In Schweden hat man das Wort deshalb aus dem Wörterbuch gestrichen. Das Einzige, was es gibt ist eine Art Kranz am Vagina-Eingang, der kleiner oder grösser sein kann. Aber: nix durchstossen, nix Blut. Alles Unfug. Fragen Sie mal im Bekanntenkreis rum, bei wem es geblutet hat. Bei wenigen wahrscheinlich. Das blutige Bettlaken nach der Hochzeitsnacht wird häufiger von einem absichtlich angeritzten Finger blutig gemacht, aber meist nicht von einem durchstossenen Jungfernhäutchen. Keine Angst also, Jungs und Mädchen!
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.