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Familie
So gelingt der Umzug mit Kindern
Die Wohnung wird zu klein, ein Garten wäre schön – Familien ziehen aus vielerlei Gründen um. Meist kein Problem für die Eltern, nicht selten jedoch ein grosses für die Kinder. Doch der Schritt kann trotzdem gelingen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Kinder. So in etwa könnte ein Rat an Eltern lauten, wenn es um ein grosses Thema für Familien geht: Zügeln.
Rund 10 Prozent tun es jährlich in der Schweiz. Das sind 800 000 allein im vergangenen Jahr. In jedem dritten Fall war der Hauptgrund, dass sich die Familie vergrössert, bei 10 Prozent wars der Job und bei 9 Prozent eine Trennung.
Doch während Mütter und Väter einem Umzug meist positive Seiten – grössere Wohnung ; hurra, ein Garten ; endlich Eigentum – mindestens aber etwas Rationales abgewinnen können, sieht das für Kinder anders aus. Für sie ist Zügeln oft zunächst zweierlei : Abschied und Angst.
Abschied von Gewohntem : den Freunden, dem vertrauten Zimmer, der Schule, den eigenhändig gepflanzten Erdbeeren. Und Angst vor dem Unbekannten. Wird man am neuen Ort Gschpänli finden ? Einen Spielplatz mit Schaukel? In der Klasse jemanden, der mit einem Partnerarbeit machen möchte ? Und jemals dieses Gefühl bekommen von « zu Hause » ? Kurz : Jubel über Umzugspläne erwarten Eltern besser erst gar nicht. Heisst das nun, um jeden Preis am Ort ausharren, der Kinder wegen ? Nein, das heisst es nicht. Weil es realitätsfern wäre und halt auf jedem Lebensweg auch ein paar Steine herumliegen.

Neue Klasse
Wer wissen will, wie schmerzhaft es ist, sich den Zeh an diesem Stein, der Umzug heisst, zu stossen, muss sich nur ein wenig unter « verpflanzten » Kindern umhören. Manchmal, wie in meinem Fall, reicht es sogar, einfach in sich selbst hineinzuhören und sich zu erinnern : Es war dieser Frühling, bevor ich im Herbst ins Gymnasium kam. Wir wohnten zu der Zeit mitten in der Stadt. Zwischen breiten Strassen, an deren Laternen man das Gummi fürs Gummitwist anknoten konnte. Zwischen Buchläden mit «Hanni & Nanni»- Büchern, Zoohandlungen, in deren Schaufenstern Kaninchen hoppelten, und es gab Kinos mit Kindervorführung am Sonntagmorgen. Ein Paradies. Fand ich. Fanden meine Eltern nicht. Deshalb zogen wir um. In ein Haus im Grünen. Langweiligeres als Grünes konnte ich mir damals nur mühsam vorstellen. Was soll man da machen ? Dem Gras bei Wachsen zuschauen ? Waldbaden ?
Bald wirds besser
Als meine alten Freundinnen mir am Telefon erzählten, wie toll am Sonntagmorgen der Film « Die unendliche Geschichte » gewesen sei, hörte ich gerade angeödet meiner Mutter bei ihrem euphorischen Geseufze zu. « Haaaach, dieser herrliche Garten, wie das riiiiiecht, die Blumen, die Bäume. Der viele Platz …» Und während ich vor Eifersucht platzte, weil meine zwei Freundinnen in der alten Schule nun selbstverständlich nebeneinandersassen, sass ich in der neuen Klasse neben der beknackten Iris. Neben der wollte niemand sitzen. Zu Recht, übrigens. Im Unterricht lernte ich, mein Geschnipse sein zu lassen und dass mein alter Lehrer wohl ein Freak gewesen war. Die anderen Kinder konnten souverän schriftlich dividieren, ich stattdessen Bilder von Max Ernst beschreiben. Wollte aber niemand, dass ich das tat. Auch meinen neongrünen Minirock liess ich nach zwei Einsätzen im Schrank. Reichte ja schon, die stets beäugte Neue zu sein, zusätzliche Aufmerksamkeit und blöde Kommentare konnte ich da wirklich nicht brauchen.
Ein Jahr, viele Tränen, noch mehr Heimwehschübe und – einen Sitzplatzwechsel, der mich neben meine spätere beste Freundin katapultierte, brauchte es, bis ich anfing, mich wohlzufühlen : Ich blieb beim Sport nicht mehr übrig, wenn Mannschaften gewählt wurden, ging zu Geburtstagspartys und – hatte mir mit den alten Gschpänli von Telefonat zu Telefonat weniger zu sagen. Daran, dass es meine Eltern sonderlich interessiert hätte, wie es mir mit dem Umzug geht oder sie irgendeine Form von Neue-Freunde-Akquise für mich betrieben hätten, kann ich mich nicht erinnern. Garten, Haus, eigenes Zimmer mit Schleiflackmöbeln – das musste ja wohl reichen. War so üblich, damals.

• Traurigkeit des Kindes ernst nehmen.
• Neue Umgebung – wenn möglich – vorab erkunden
• Geht es in ein anderes Land? Dann ist das gelbe Männchen von Google Street View ein Segen. Auch gut: Videos und Bücher über die neue Heimat ansehen.
• Hobbys weiterführen
• Kontaktmöglichkeiten mit den alten Freunden ausprobieren: skypen, mailen, Videotelefonie...
• Abschiedsfest oder -rituale helfen, mit etwas sauber abzuschliessen.
• Kind beim Kisten Ein- und Auspacken beteiligen. So ist es aktiv beteiligt.
• Mit neuer Lehrperson in Kontakt treten.
• Über den Umzug entscheiden nicht die Kinder. Doch bei der Einrichtung ihres neuen Zimmers dürfen sie mitentscheiden!
• Das Schmusetier bleibt auch in der heissen Zügelphase griffbereit.
• Einrichten? Kinderzimmer first!
• Umzug gekoppelt mit fremder Sprache? Altersabhängig: praxisbezogenen Sprachunterricht nehmen oder ein paar Sätze lernen, die beim Spielen helfen: «Wie heisst du?» «Darf ich mitmachen?»
• Das Kind muss sich die neue Umgebung selbst erarbeiten. Nicht ständig einmischen!
• Vereine helfen, Kontakte zu knüpfen.
• Bis zum Alter von 5 ist Zügeln unproblematisch, in der Pubertät am schwierigsten
• Zuhören und miteinander reden. Miteinander reden und zuhören! Und wieder von vorn…
Ritual mit Tee und Schwedenofen
Steffi Künzler Mutter, von Emil ( 10 ) und Ronja ( 8 ), legt sich da mehr ins Zeug : « Wir haben uns vor dem Zügeltermin gemeinsam den neuen Ort angeschaut und Kontakt mit den Lehrpersonen aufgenommen », erzählt die 36-Jährige. « Beide Kinder durften sich für ihr neues Zimmer etwas wünschen. » Eine knallorangene Wand sollte es bei Emil sein. Ein mit Schriften beklebter Schrank bei Ronja. Der Grosse sei schon jetzt gut integriert, die Kleine tue sich noch schwer. Sie hofft, dass das Ritual, dass sie sich ausgedacht haben, hilfreich ist : « Jeden Abend setzen wir uns gemütlich mit einer Tasse Tee auf den Boden vor unseren alten Schwedenofen, den wir mitgenommen haben, und lesen eine Geschichte vor. »
Ein Hauch Heimeligkeit in einem noch fremden Heim. Der Anfang vom Happy End? Vielleicht.
Gewinner und Verlierer
Denn es gibt Studien, die nicht unbedingt angeraten sind, den Optimismus zügelnder Familien zu düngen.
So wiesen etwa die beiden amerikanischen Psychologen Shigehiro Oishi und Ulrich Schimmack nach, dass häufig umziehende Kinder später als Erwachsene eine geringere Lebenszufriedenheit aufweisen. Ins gleiche in Moll tönende Horn tutet eine Langzeitstudie der University of Manchester. Sie belegt, dass Umzüge die psychische Gesundheit vor allem von Teenagern zwischen 12 und 14 Jahren negativ beeinflussen.
« Tja. Es ist nun mal Fakt, dass ein Umzug einen Bruch innerhalb eines Systems darstellt », bekräftigt Claudia Roebers, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Uni Bern. « Innerhalb des Systems der Familie verschiebt sich etwas. Und auch innerhalb des Systems der Rollen, die das einzelne Individuum jeweils innehat. » Gewissheiten und Sicherheiten brächen weg, Beziehungsnetze würden zerschnitten – je weiter weg gezügelt wird, desto mehr – und andere geknüpft. Jeder Einzelne müsse sich neu positionieren und definieren. Und dabei, so Roebers, könne es sowohl Gewinner als auch Verlierer geben.
Es möge sein, dass beispielsweise die Mutter – durch den Umzug – eine spannendere Stelle bekommt und nun begeistert Karriere macht. Der Vater durch den neuen Hobbykeller aufblüht. Das eine Kind im Handumdrehen neue Freunde findet, während das andere sich sehr lange nicht wohlfühlt. Weil es vielleicht introvertierter ist, weil es vielleicht plötzlich im Schulstoff hinterherhinkt, weil, weil, weil …
Bedeutung Gleichaltriger
« Bis etwa zum Schuleintritt ist ein Umzug meist unproblematisch. Bis zu diesem Alter sind die Eltern die absolut wichtigsten Bezugspersonen und jedes vor einer Viertelstunde auf dem Spielplatz kennengelernte Mädchen kann zur besten Freundin deklariert werden », erklärt Roebers. « Doch so ab sechs Jahren ändert sich das. Nun werden die Gleichaltrigen immer stärker zum Referenzpunkt. Wie man unter ihnen angesehen und eingebunden ist, das ist es, was zählt. » Den Höhepunkt erreiche die Bedeutung Gleichaltriger in der Pubertät. Jetzt wollen die Teenies um jeden Preis genauso sein, wie die anderen Jugendlichen in Klasse und Umgebung, wollen dazugehören. Genauso sprechen, die gleiche Musik kennen und hören, die gleichen Klamotten tragen. Bloss nicht auffallen, um Himmelswillen nicht ausgegrenzt werden ! «In dieser Phase ist ein Umzug für den Heranwachsenden besonders schwierig. Da wankt die ganze Identität. » In einzelnen Fällen, beispielsweise wenn der Junge oder das Mädchen kurz vor der Matura stünde, könne es daher überlegenswert sein, das fast erwachsene Kind am alten Ort zu belassen. Vielleicht beim Grosi oder einem Onkel – wenn es das will.
« Aber über all das muss man ehrlich miteinander sprechen. » Miteinander sprechen ist, laut Roebers, überhaupt das Wichtigste. Wie geht es dir ? Was wünschst du dir ? Was brauchst du ? Was vermisst du ? Denn die Adaptionsleistungen, die so ein Umzug erfordere, seien enorm. « Schön sind solche Phasen der Herausforderungen nicht unbedingt », sagt Claudia Roebers, « Aber erstens gehört auch weniger Schönes zum Leben und zweitens ist ebenfalls Fakt : gemeisterte Herausforderungen, machen stolz, erweitern den Horizont – und lassen einen reifen. » Ein Schritt hin zum Erwachsenwerden.

Claudia Roebers
