
Martin Moser
Dafür & Dagegen
Räbeliechtli-Schnitzen: Muss das wirklich auch noch sein?
Von Manuela von Ah, Anita Zulauf
Kein Elternteil sollte Räbelichtli schnitzen müssen, findet Anita Zulauf. Manuela von Ah hingegen liebt diesen Brauch und kauft schon mal Räben auf Vorrat.
Dafür
Zum Glück ist es bis auf die leuchtenden Rüben stockdunkel, so fallen meine Tränen der Rührung nicht auf. Nastüechli gehörten seit jeher in meine Manteltasche, wenn ich meine Kinder auf dem Räbeliechtliumzug begleitete. Die Erklärung dafür ist vermutlich eine psychologische, denn die Anfänge meiner Räbeliechtlikarriere waren ebenfalls von Tränen geprägt – allerdings solcher der Wut. Bei meinem ersten Umzug im Kindergarten entpuppte sich mein ansonsten «bester aller Väter» als eine totale kreative Niete.
Das familiäre Räben-Trauma sitzt tief
Während meine Freundinnen handwerklich überaus geschickte Eltern zu haben schienen und allseits bewunderte Liechtli vor sich hertrugen, rümpfte man bei meiner Räbe irritiert die Nase. Das ausgehöhlte Liechtli glich innen einem von Mäusen zerfressenen Gemüse. Die kümmerlichen Sterne auf der Aussenseite waren als solche nicht erkennbar – mein Vater wusste offensichtlich nicht, wie man einen symmetrischen Fünf- oder Sechszack einritzt. Die Löchlein, wo die Schnur befestigt wird, setzte mein Vater so hoch am Rand an, dass sie nach der Hälfte des Marsches einrissen.
Kreativer Wettlauf unter Eltern
In den kommenden Jahren gab sich mein Papa alle Mühe. Vor demselben Trauma musste ich die eigenen Kinder bewahren, und deshalb legte ich mich beim Schnitzen der Reben ins Zeug. Vorsorglich kaufte ich pro Kind jeweils drei Stück. Und ja: Ich wurde je länger desto kreativer. Ob Stegosaurus, Monsterfratze oder Himmelsgewölbe samt Sonne, Mond und Sterne – ich freute mich Jahr für Jahr auf den November-Umzug.
Die Kinder sind über das Räbeliechtlialter hinaus. Aber noch heute zupfe ich ein Nastüechli aus der Tasche, sobald im November die Strassenbeleuchtung erlischt und helle Stimmchen an mir vorbeiziehen und «Ich gang mit miner Latärne, und mini Latärne mit mir» singen.
Manuela von Ah
Trotz Anspruch, stets nüchtern zu denken, erwärmen ihr Traditionen wie Räbelichtliumzug, Samichlaus und Weihnachten das Herz.
Dagegen
Okay. Räbelichtliumzüge sind was Schönes. Wer könnte was dagegen haben? Doch der Weg dorthin ist absolut unnötig. Warum kann man in diesem Land wirklich alles kaufen – nur keine fertig geschnitzten Räbeliechtli? Eltern wie ich würden tief in die Tasche greifen, könnten sie sich dem überflüssigen Akt des Schnitzens entziehen. Bei vier Kindern wurde ich 16 Mal zum Räbeliechtlischnitzen in den Kindergarten und die Primarschule zitiert. So sass ich mit anderen Mamas und Papas («Also ich geh da sicher nicht hin, selber Schuld, wenn du dich nicht abgrenzen kannst», so die Väter meiner Kinder) – auf Mini-Kinderstühlen, und wir werkelten an diesen Rüben rum. All die Luisa-, Paul- und Lothar-Eltern waren mit Spezialwerkzeugen ausgerüstet und – mit Talent.
Meine Kinder wissen längst: Sie kriegt es nicht hin
Ich arbeitete mich per Kafilöffeli, Schnitzer und Förmli an der Rübe ab, und neben mir entstanden filigrane Schönheiten, die an Appenzeller Schnitzereien erinnerten. Ich bemühte mich wirklich. Jedes Mal sollte ein mit Liebe kreiertes Räbeliechtli entstehen, welches mein Kind seinen Chindsgigspändli mit leuchtenden Augen (auf mich) in die Runde zeigen würde. Eines, bei dem am Abendumzug nicht das Kerzli vom Wind ausgepustet wird, weil dieses Mal die Rübenwände nicht durchbrochen waren. Ein Liechtli, welches nicht ankohlt, zu stinken beginnt, weil der Deckel jetzt nicht aufliegt und die schönen Randschnitzereien für die nötige Luftzufuhr sorgen. So viel zu meinem Wunschdenken. Interessanterweise hatten meine Kinder gar keine grossen Erwartungen. Sie wussten: Sie kriegts nicht hin. «Ist nicht schlimm, Mama», sagten sie, wenn sie mir am Umzug die vor sich hin mottende Rübe in die Hand drückten, die Schnur längst eingerissen. Dass ich davon peinlich berührt auf die Eltern neben mir schielte, war wohl einfach mein Problem.
Anita Zulauf
Ihre Kinder sind zum Glück dem Räbelichtlialter entwachsen. Denkt sie heute an die Umzüge zurück, sind da null nostalgische Gefühle.