Schlaf
Nur noch müde
Einen Vorwurf kann man ihnen nicht machen: Neugeborene können noch nicht durchschlafen. Nach neun Monaten im Mutterbauch müssen sie erst lernen, dass der Tag zum Wachsein da ist und die Nacht zum Schlafen. In den Monaten vor der Geburt herrscht für das heranwachsende Lebewesen nämlich rund um die Uhr Dunkelheit, Wärme, Körperkontakt und Nahrungsservice. Die Natur kümmert sich perfekt um die Bedürfnisse des Ungeborenen.
Und plötzlich sollen die Eltern diese Aufgaben übernehmen und erkennen, was das Kleine braucht. Milch? Wärme? Bewegung? Geborgenheit? Schlaf?
Wann und wovon wie viel?
Zwar lernt das Kind in Siebenmeilenstiefeln. Doch passt ihm etwas nicht, hat es ein wirksames Instrument, um darauf aufmerksam zu machen: es weint! Es weckt auf. Sich selbst, seine Eltern und womöglich auch seine Geschwister.
Kein Wunder ist der Schlaf ein rarer Luxus und ein Dauerthema in jungen Familien. Auf vieles können sich Eltern vorbereiten, auf vieles verzichten – doch permanenter Schlafentzug ist eine Folter, die kein Ratgeber lindern kann. Denn ohne Schlaf geht nichts. Er ist lebensnotwendig. Schon 24 Stunden Wachzustand wirkt wie ein Promille Alkohol im Blut. Die Konzentration sinkt, das Reaktionsvermögen sowieso, und auf Dauer macht Schlafentzug krank.
Sind Eltern also einfach weniger gesund? Erwiesen ist, dass Mütter und Väter die kindlichen Nachtruhestörungen besser wegstecken als Nichteltern. Die fürsorgliche Einstellung hilft ihnen dabei. Ausserdem lernen alle Kinder irgendwann durchschlafen. Diese Tatsache allein kann entspannend wirken. Nicht zuletzt gibt es allerhand, was man unternehmen kann, um den Kindern und auch sich selbst in den Schlaf zu helfen. In diesem Sinne: gute Nacht!
Babys
Durchschnittlicher Schlafbedarf:
Neugeborene: 12–20 Std.
1-Jährige: 9–14 Std.
Das sagt die Forschung
Neugeborene kennen keinen Tag-Nacht-Rhythmus. Ihre innere Uhr muss sich erst darauf einstellen. Hilfreich bei diesem Reifeprozess sind regelmässige soziale Zeitgeber wie Ernährung, Pflege und soziale Kontakte. Das Tageslicht hingegen spielt bei Säuglingen eine weniger wichtige Rolle als bei älteren Kindern und Erwachsenen. Für die Hirnentwicklung sind die Babys bis etwa zum sechsten Monat auf nächtliche Mahlzeiten angewiesen.
Das sagt der Entwicklungspädiater
Schon wenige Tage oder Wochen nach der Geburt schläft der Säugling in der Nacht länger als am Tag. Ab dem 6. Lebensmonat entwickelt sich die sogenannte Objektpermanenz; das Kind ist fähig, sich an Gesehenes oder Erlebtes zu erinnern, also auch eine bestimmte Art des Einschlafens. Gewöhnt es sich daran, zum Beispiel an der Brust einzuschlafen, wird es diese Gewohnheit nicht mehr so schnell aufgeben wollen. Schlaflernprogramme, bei welchen man sich vom Kind verabschiedet und es für eine bestimmte Zeit alleine lässt, auch wenn es weint, propagiert man etwa im Kinderspital Zürich nicht. Schläft das Kind unregelmässig und schlecht, während 14 Tagen den Schlaf protokollieren, um herauszufinden, wie gross der Schlafbedarf des Kindes ist. Bei Überforderung Hilfe suchen.
Das sagen die Ratgeber
Ein geregelter Tagesablauf gibt dem Baby Sicherheit, ist Orientierungshilfe und fördert seine Zufriedenheit. Ein Abendritual signalisiert, dass es jetzt zur Ruhe geht. Ob ein Baby alleine einschlafen soll, ab wann es durchschlafen kann und ob es ein eigenes Zimmer braucht, ist eine Frage der Kultur wie auch der persönlichen Vorlieben. Wem frühe Selbstständigkeit wichtig ist, lehrt das Baby allein ein- und durchzuschlafen. Wer dem Kind auch nachts Nähe und Geborgenheit geben will, bleibt bei ihm, bis es schläft, richtet vielleicht sogar ein Familienbett ein.
Tipps von Eltern
Baby tagsüber viel tragen, so fühlt es Körperwärme, hört den Herzschlag und die Stimme der Eltern. Auf Elternbluff à la «mein Zweimonatiger schläft schon acht Stunden durch» einen trockenen Spruch parat haben und das Thema wechseln, denn weder falsches noch echtes Mitleid helfen weiter. Wacht das Kind nachts mehrmals auf, sich absprechen, wer für die Betreuung zuständig ist. Getrennte Schlafzimmer sind in dieser Zeit ein pragmatischer Entscheid.
Buchtipp: «Schlafen und Wachen», William Sears, La Leche League;
«Ich will bei euch schlafen!» Sibylle Lüpold, Urania 2009
Kleinkinder
Durchschnittlicher Schlafbedarf:
2-Jährige: 10–13,5 Std.
5-Jährige: 9–12,5 Std.
Das sagt die Forschung
Rund die Hälfte der Kleinkinder wacht nachts auf, viele mehrmals. Darunter auch solche, die als Baby schon mal durchgeschlafen haben. Mögliche Gründe: die Zähne, aber auch Albträume, die zwischen zwei und sechs Jahren häufig auftreten.
Das sagt der Entwicklungspädiater
Bei ungenügendem Schlaf sind Kinder gereizt und schlecht gelaunt. Zwischen ein und zwei Jahren geben die meisten Kinder ihren Vormittagsschlaf auf und schlafen nur noch einmal am Tag. Der Schlafbedarf bleibt jedoch individuell. Es gibt Zweijährige, die bereits keinen Mittagsschlaf mehr brauchen und Kindergartenkinder, die ohne Nickerchen gegen den Abend quengelig werden.
Das sagen die Ratgeber
Sobald die Kinder selbstständig aufstehen können, schlüpfen sie nachts gerne zu Mama und Papa ins Bett. Damit auch die Eltern gut weiterschlafen, für genügend Platz sorgen. Oft entschliesst sich ein Elternteil, ins leere Kinderbett zu wechseln.
Tipps von Eltern
Hat das Kind Angst vor der Dunkelheit, vor Monstern im Schrank und Schatten an den Wänden, die wie Einbrecher aussehen, hilft es, den Schrank vor dem Gutenachtkuss nach dem Ungeheuer abzusuchen, die Einbruchgefahr zu besprechen, ein Nachtlicht brennen zu lassen und die Tür nicht zu schliessen.
Schulkinder
Durchschnittlicher Schlafbedarf:
7- Jährige: 8–12 Std.
Teenager: 6–10 Std.
Das sagt die Forschung
Schlafen Kinder chronisch nicht genug, sind sie in der Schule weniger leistungsfähig und krankheitsanfälliger, da sich im Tiefschlaf das Immunsystem regeneriert. Häufiges Problem: Vor dem Schlafengehen sitzen viele Kinder vor dem Fernseher, gamen, chatten oder surfen im Internet – alles Aktivitäten, die das Gehirn anregen oder überreizen, statt es zu beruhigen. Im Teenager-Alter beeinflussen die Hormone auch den Schlaf-Wach-Rhythmus; diese Schwankungen sind bei Mädchen und jungen Frauen besonders ausgeprägt. Hormonell geflutete Teenies brauchen durchschnittlich eine Stunde mehr Schlaf als jüngere Kinder.
Das sagt der Entwicklungspädiater
Im Alter von 6 bis 12 Jahren lassen die typischen Schlafprobleme der frühen Kindheit gewöhnlich nach. Kinder dieses Alters schlafen in der Regel schnell und mühelos ein, haben einen gesunden Schlaf und sind am Tage wach und ausgeschlafen. Zu wenig Schlaf wirkt sich auf die Konzentrationsfähigkeit und die Leistung in der Schule aus.
Das sagen die Ratgeber
Im Schulalter sind Kinder oft kaum ins Bett zu kriegen; alles ist interessanter als die langweilige Pritsche. Trotzdem: Streit und Stress rund ums Zubettgehen vermeiden. Rituale stimmen auf die Ruhezeit ein. Die Kinder nicht ins Bett schicken, wenn sie nicht müde sind. Regelmässige Schlafenszeiten sind aber auch in diesem Alter wichtig.
Tipps von Eltern
Die Aussicht auf eine Gutenachtgeschichte oder das nächste Kapitel in einem spannenden Buch, hilft, sich aufs Schlafengehen einzustellen oder gar zu freuen. Auch ein «Bettmümpfeli» kann ein schönes Ritual werden – ein Stück Apfel oder Birne wirken schlaf-, aber nicht kariesfördernd. Kinder lieben es, wenn sich die Eltern vor dem Lichtlöschen zu ihnen ans Bett setzen oder sogar ein Weilchen mit unter die Decke schlüpfen. Die Zeit, um den Tag Revue passieren zu lassen, hilft auch, mit pubertierenden Teenies in Kontakt zu bleiben. Eine Bettflasche in der kalten Jahreszeit macht das Bett zur wohlig warmen Höhle. Kinder selbst beobachten lassen, wie viel Schlaf sie für ihr Wohlbefinden brauchen und ihnen die Verantwortung dafür Schritt für Schritt übertragen.
Erwachsene
Durchschnittlicher Schlafbedarf:
8–12 Std.
Forschung
Schlafmangel ist Folter, sagt der Volksmund. Studien zeigen, dass er dick und krank macht. Wer weniger als sieben Stunden ruht, erkältet sich dreimal häufiger. Ein- und Durchschlafprobleme können zu Herz-Kreislauf-Schwächen, Magen-Darm-Beschwerden und manchmal sogar zu Depressionen führen. Auch Leistungsfähigkeit und Konzentration sind beeinträchtigt. Frauen sind gefährdeter als Männer: Nach der Geburt der Kinder entwickeln sie besonders häufig Einund Durchschlafstörungen.
Tipps
Die wichtigste Voraussetzung für Schlaf ist Entspannung. Angenehme, erfreuliche Tätigkeiten oder Gespräche stimmen auf die Nachtruhe ein. TV wirkt auch auf Erwachsene eher anregend. Alkohol kann zwar das Einschlummern vereinfachen, stört aber die Tiefschlafphasen. Einschlafrituale helfen auch Erwachsenen: eine Tasse Tee oder Honigmilch trinken, leise Musik hören. Sex wäre eine Möglichkeit.
Schläft das Kind nicht durch, lohnt sich der Gedanke an getrennte Schlafzimmer, sodass zumindest ein Elternteil durchschlafen kann. Wem dieses Privileg zukommt, ist oft das Resultat zäher Verhandlungen. Aufgepasst: Auch wenn die Mutter in der Babypause ist oder keiner Erwerbsarbeit nachgeht, soll der Vater regelmässig die Nachtschicht übernehmen und seine Frau an einem der beiden Wochenendtage ausschlafen lassen.
Schlafen für die Forschung
Das Kinderspital in Zürich untersucht in einer Studie den möglichen Einfluss von intensivem Denktraining auf den Schlaf und sucht dafür männliche Probanden zwischen 12 und 16 Jahren.
Infos und Kontakt: www.kispi.uzh.ch/sleep