Spuren der Schwangerschaft und Geburt
Nackte Wahrheit
Schwangerschaftsstreifen, Hängebusen, ein Bäuchlein: Souvenirs des Kinderkriegens. Die nackte Wahrheit sieht anders aus als die Models, die vom Gebärsaal direkt auf den Laufsteg rennen.
Zwei Wochen nach der Geburt meiner Tochter fragte die kinderlose Freundin: «Na, fühlt es sich gut an, den Körper wieder für sich zu haben?» Für sich? Welchen Körper? Den leeren, unförmigen Bauch? Die Atom-Brüste, die locker Vierlinge mit Milch versorgen könnten? Nach neun langen Monaten ist das Baby endlich da. 40 Wochen wuchs und gedieh es im Bauch seiner Mutter, dehnte ihren Körper, beulte ihn aus, hinterliess Spuren: Schwangerschaftsstreifen, Hängebusen, ein Bäuchlein – Souvenirs des Kinderkriegens, die mitunter für immer bleiben. «Mein Sohn ist jetzt zehn», sagt Mara, 41, «und ich fürchte mittlerweile, die Zeichen der Schwangerschaft werde ich noch an mir sehen, wenn mein Kind längst ausgezogen ist.»
Was eine Schwangerschaft dem weiblichen Körper abverlangt und welche Spuren sie hinterlassen kann, lehrt kein Kurs dieser Welt. Noch immer ist es ein Tabu, wie Frauen nach einer Geburt wirklich aussehen. Was wir hingegen kennen, sind die Hochglanzkörper der Promis: Frühzeitige Kaiserschnitte im achten Monat, damit der Babybauch nicht zu dick wird, keine Schwangerschaftsstreifen entstehen und bereits kurz nach der Geburt für Unterwäsche gemodelt werden kann.
Jade Beall
Jade Beall
Jade Beall
Furcht vor Veränderung
Das gewohnte Bild, das wir vermittelt bekommen, durch Fernsehen, Zeitschriften, Internet, ist jedoch ein anderes: Michelle Hunziker etwa, die vier Tage nach der Geburt ihrer Tochter schon wieder im italienischen Fernsehen moderierte – im Minikleid und gertenschlank. Es sind jene Bilder, die bei vielen Frauen unrealistische Erwartungen erzeugen. «Frauen stehen heute unter Druck – während und nach der Schwangerschaft», sagt denn auch Franziska Summermatter, Inhaberin und Gründerin der Hebammenpraxis Zürich. Galt früher die Zeit der Schwangerschaft als eine Art Schonfrist, in denen Frau für einmal von sämtlichen Schönheitsidealen befreit war, ist heute alles sehr viel öffentlicher und weniger schamhaft. Wallende, kaschierende Gewänder, mit denen die rundlicher werdende Figur verhüllt wurde, sind abgelöst von eng anliegenden, bauchbetonenden Kleidern. Eine kleine Kugel vor sich her zu tragen, gilt gerade noch als annehmbar – selbst eine Kugel zu werden aber bitte nicht.
«Wie lange dauert es, bis ich wieder so aussehe wie vor der Schwangerschaft?», ist denn auch die zentrale Frage der Frauen, die in Franziska Summermatters Rückbildungskurse kommen. Die Hebamme wird dann nicht müde zu erklären, dass der Kurs nicht zum Abnehmen da ist, sondern in erster Linie, um den Beckenboden wieder auf Vordermann zu bringen. Doch die Furcht vor Veränderungen des eigenen Körpers sitzt tief. Eine britische Wissenschaftlerinnen veröffentlichte eine Studie, für die sie 739 Schwangere befragt hatten. Jede Vierte gab dabei an, grosse Angst vor einer Gewichtszunahme und der Veränderung ihrer Körperformen zu haben. Eine Tatsache, die allein nicht weiter verwundert. Denn keine Frau wird angesichts der Aussicht, in wenigen Monaten etwa 15 Kilogramm zuzunehmen, in Jubel ausbrechen. Schliesslich hat sich das Selbstverständnis von Schwangeren längst geändert. Spätestens seit viele Frauen wieder schnell in den Beruf einsteigen und im Schnitt in der Schweiz nur 1,53 Kinder bekommen, ist Kinderkriegen eine Episode, aber längst nicht einziger Lebensinhalt. Frauen wollen deshalb auch nicht immer nur als Mütter oder Ex-Schwangere wahrgenommen werden.
Aus der Zeit gefallen
Vor allem aber sind wir es gewohnt, sämtliche Bereiche unseres Lebens kontrollieren zu können: Welchen Beruf wir ergreifen, wann Karriereschritte anstehen, dass wir nicht schwanger werden wollen. Kommt der Kinderwunsch auf, machen einige dann das erste Mal die Erfahrung, dass sich nicht alles planen lässt. Spätestens in der Schwangerschaft und bei der Geburt aber ist es völlig aus mit der Kontrolle: Es kommt, wie es kommt. Und so enden manche Frauen mit Dehnungsstreifen und Hängebusen, während andere auch nach dem vierten Kind aussehen, als seien sie nie schwanger gewesen. Seit einiger Zeit beobachten nun Ärzte, dass es vermehrt Frauen gibt, die in der Schwangerschaft oder kurz danach Essstörungen entwickeln. Die Zahl der Betroffenen ist bislang nicht riesig; aber eine Spezialklinik in Bayern hat auf die Nachfragen reagiert und bietet nun spezielle Therapieplätze an – für Schwangere bzw. Mütter mit Säuglingen. Die Essstörung, so erklären Experten, gebe den Erkrankten das Gefühl, wenigstens noch eine Sache kontrollieren zu können. So sind Schwangerschaft und ihre Begleiterscheinungen heute ein aus der Zeit gefallenes Relikt, ein Anachronismus: Nicht kontrollieren zu können, was mit unserem Körper vor sich geht und welche Formen er annimmt, passt so gar nicht zu unserem Lebensstil.
Jade Beall, die selbst im Februar 2012 einen Sohn bekommen hat, fotografiert mit grosser Ehrfurcht «Super-(S)heros», lässt sie ihre Geschichte erzählen und zeigt, wie ihre Post-Baby-Bodys nach der Geburt wirklich aussehen.