Fremdbetreuung
«Nanny-Betreuung boomt»
Von Anita Zulauf und Martina Schnelli
Margrit Stamm hat zur Nanny geforscht. Und viel über das Selbstverständnis von Müttern herausgefunden.
Margrit Stamm (*1950) ist Professorin em. für Erziehungswissenschaft und Leiterin von Swiss Education. Nanny-Studie unter margritstamm.ch
wir eltern: Frau Stamm, Sie forschen stets zu aktuellen Themen. Was lag in der Luft, dass Sie sich das Thema «Nanny» ausgesucht haben? Die Kino-Fortsetzung von Mary Poppins wird es ja wohl nicht gewesen sein.
Margrit Stamm: Nein. Könnte man aber denken, da ja unsere Studie auch «Mary Poppins» heisst. Wer spielt übrigens in der Fortsetzung die Rolle von Julie Andrews?
Ui, weiss ich nicht. So charmant wie Julie Andrews ist sie jedenfalls nicht.
Apropos charmant: Den Aspekt «Attraktivität von Nannys» und «Promi-Männer, die mit der Nanny durchbrennen» haben wir bei unseren Forschungen aussen vor gelassen. Nur falls Sie vorhatten, danach zu fragen. Sind ja nicht wenige. Aber im Ernst: Der Aufhänger war, dass die Nanny-Betreuung boomt.
Wie erklären Sie sich den Boom? Sind Nannys das neue Statussymbol wohlhabender Eltern?
(lacht) Sicher ist, wir reden von privilegierten Familien, ja. Aber dennoch: Eltern, vor allem Mütter, machen sich sehr viele ernsthafte Gedanken über die bestmögliche Betreuung für ihre Kinder. Wahrscheinlich zu viele. Wir nennen das Phänomen in der Studie «intensive Mutterschaft».
Was hat man sich darunter vorzustellen? Und was hat das mit dem Nanny-Boom zu tun?
Intensive Mutterschaft bedeutet, dass die Frauen sich enorm für ihre Kinder engagieren, Erziehungsratgeber lesen, alles richtig machen wollen, trotz Partner fast allein die Verantwortung für die Kinder übernehmen, Nummer eins bei den Kindern sein und alle Fäden in der Hand halten wollen. 66 Prozent denken, sie seien qua Natur die besten Fürsorgepersonen fürs Kind. Deshalb sind es, laut unserer Untersuchung, fast immer die Mütter, die die Nanny aussuchen, ihnen die Aufgaben zuweisen, sie kontrollieren … Jede Dritte sieht die Nanny als verlängerten Arm der Mutter. Dieses Denken hat mich überrascht.
Dieser Wunsch, «Wonderwoman» zu sein?
Ja. Als ich jung war, war das nicht so. Wir haben uns den Beruf erkämpfen müssen, aber wir hatten nicht das Gefühl, gleichzeitig die beste Mutter aller Zeiten sein zu müssen. Die heutigen jungen Frauen wollen super im Beruf sein, super als Mutter, super überall. Die Nanny, denken sie, sei das beste Medium, das zu erreichen.
Und ab einem gewissen Familienverdienst und zwei Kindern ist sie das günstigste Mittel.
Ja. Aber laut unserer Untersuchung ist bei der Wahl der Kinderbetreuung ebenso wichtig, dass die Nanny der Mutter ermöglicht, trotz Arbeit eine «gute Mutter» zu sein: Die Kinder haben häusliche Ruhe, sind nicht allein, werden gefördert… Und dadurch, dass die Mütter die Nanny oft stark kontrollieren, haben sie trotz vielleicht 100 Prozent Berufstätigkeit das Gefühl, die Hauptverantwortliche zu sein. Das ist auch nachvollziehbar. Denn die Bindungstheorie hat den Frauen gewissermassen in den Kopf gepflanzt, dass sie immer für die Kinder da sein sollen. Die Folge: ein schlechtes Gewissen, sobald sie auch nur ein bisschen zurücktreten.
The one and only sein zu wollen, ist aber auch ein häufiger Auslöser von Eifersucht.
Die Nannys müssen den Balanceakt hinbekommen, eine emotionale Bindung zu den Kindern aufzubauen, aber doch eine auf Distanz. Nur jede dritte Mutter in unserer Studie empfindet die Kinderfrau als auf Augenhöhe, als Erziehungspartnerin. 48 Prozent der Mütter wünschen sich, dass die Nanny eine freundschaftliche, aber keine innige Beziehung zu den Kindern aufbaut.
Sonst wird sie gefeuert …
Das würde ihnen natürlich nie so ehrlich gesagt – aber ja.
Mein Patenkind hat seine Kinderfrau, als es klein war, manchmal «Mama» genannt…
Das schmerzt die meisten Mütter ungemein. Das ist halt das Risiko dieses Modells. Aber möglicherweise muss man generell das Familienleben anders denken und nicht nur das Organisatorische sehen.
Sie meinen Gefühle statt Timetable?
Genau. Im «Tagesanzeiger» war neulich ein Interview mit dem Arbeitgeberpräsidenten, der gefordert hat, dass die Frauen in einem höheren Pensum arbeiten sollten. Dafür müsse man öffentliche Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. Klingt gut, perpetuiert jedoch das Hamsterrad, in dem die Frauen und Männer zwischen 40 und 45 stecken. Die Erwerbsarbeit bekäme dann einen noch höheren Stellenwert im Leben. Alles Soziale, Zwischenmenschliche träte noch weiter zurück. Ausserdem wird so zementiert, dass Fürsorge, also Nannys, Altenpflegerinnen etc. weiterhin eine weibliche Tätigkeit bleibt, die schlecht entlohnt wird. Betreuung und Fürsorge gelten immer noch als wenig erstrebenswert. Wenn auch hinter vorgehaltener Hand.
Ihre Lösung?
Ich habe als Wissenschaftlerin eigentlich keine. Ich bin nicht Politikerin, sondern erforsche nur die Wirklichkeit. Aber zumindest versuche ich in meinen Dossiers aufzuzeigen, in welche Richtung es gehen könnte.