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Kinder sind Mitbewohner-katastrophen
zvg
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«Und immer, wirklich immer gewinnst du in Streitereien. Weisst du, das nervt!» sagt meine kluge Tochter und hat wie so oft Recht. Es ist nämlich wirklich so. Unabhängig von der Tatsache, dass ich mich irre, schon mal daneben liege, mich total verrenne und keine Schwierigkeiten habe, mich dafür bei ihr und meinen anderen Kindern zu entschuldigen, bin ich ein Elternteil und sie ist das Kind. Auch wenn ich Sätze noch nie mit der Floskel «Solange du deine Füsse unter meinen Tisch stellst …» begonnen habe, schwingt doch in jeder Situation das Machtgefälle mit. Ich erinnere mich daran, wie ohnmächtig ich mich als Kind gefühlt habe – besonders wenn mir etwas unterstellt wurde, das ich weder getan noch gedacht hatte, oder wenn mir etwas gesagt wurde, was nicht stimmte. Ich erinnere mich allerdings auch daran, dass das immer nur mir gegenüber ungerecht war. Wenn ich andere falsch einschätzte oder sie belog, dann war das stets zwingend erforderlich und unausweichlich. Mindestens aber verdient.
Im gleichen Zwiespalt befinde ich mich, wenn es um Eltern-Kind-Gespräche geht. Als ich im Alter meiner Tochter war, ging mir besonders der konstante Strom an elterlicher Kritik und Ermahnung auf die Nerven. Trotzdem ertappe ich mich dabei, meine Kinder gelegentlich in dieser Art und Weise anzusprechen. Gibt auch genügend Gründe dafür. Schalen mit Müsliresten beispielsweise, die sich nur noch mit einem Meissel reinigen lassen. Geschwisterstreitigkeiten mit Körpereinsatz. Epischer Faulheit die nur noch von dem Genöle darüber übertroffen wird, warum denn hier nie was passiert.
Kurz:
Dinge, für die man jeden WG-Mitbewohner fragen würde, wann er oder sie denn mal gedenkt, den Kopf aus dem Arsch zu ziehen. Und genau da liegt das Problem. Rund um den 10. Geburtstag herum fangen die lieben Kleinen nämlich an, sich wie besagte WG-Mitbewohner aufzuführen, die zwar ihr eigenes Ding machen wollen («Lass mich in Ruhe!»), aber mit grosser Selbstverständlichkeit erwarten, dass man ihnen den Hintern nachträgt. Darüber hinaus bleiben sie deine Kinder. Im Zusammenspiel macht mich das wahnsinnig. Mal ist es so, dann wieder ganz anders oder alles zusammen. Und ich soll gefälligst mitkommen. Dann heisst es tiiiieeeef atmen und sich vergegenwärtigen, dass Eltern als Mitbewohner wohl auch ziemliche Katastrophen sind. Jedes «Solange du deine Füsse unter meinen Tisch stellst…» bekommt das «Deinen Tisch hasse ich will aber einen Tisch!», den es verdient.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.