Interview
«Ich war so erschöpft, nichts ging mehr»
Yonni Moreno Meyer ist Comedienne und eine Schweizer Instagram-Berühmtheit. Im Interview erzählt sie schonungslos ehrlich, was das Muttersein mit ihr gemacht hat.
Yonni Moreno Meyer, wie müde bist du gerade auf einer Skala von 1 bis 10?
Dafür, dass ich so wenig schlafe, bin ich eigentlich erstaunlich fit. Ich habe einen vierjährigen Sohn und mein Leben hat irgendwie einfach zu wenige Stunden für alles, was da rein soll. Obwohl ich so viel wach bin wie noch nie zuvor.
Wie erholst du dich?
Mein Mann und ich machen regelmässig Einzelferien – ohne Kind. Das sind wichtige kleine Inseln, fern vom durchgetakteten Kleinkinderalltag. Und ich bin generell einfach gerne allein. Dafür machten wir noch keine klassischen Familienferien zu dritt.
Was hättest du gerne vor der Geburt gewusst?
Auf emotionaler Ebene? Nichts. Nichts kann einen auf diesen Systemschock vorbereiten. Da kann man noch so viele Berichte lesen, es trifft jede Frau nochmals komplett anders. Als mein Sohn geboren wurde, hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Dieses Kind zu bekommen, war das Wichtigste und Richtigste, was ich in meinem Leben je gemacht habe. Und Zack, schon kommen mir die Tränen.
Die Geburt deines Sohnes war ein Systemschock? Das musst du erklären.
Wie hätte sie es nicht sein können? Die Geburt war eine Vollbremsung. Mich hat die Wucht der Veränderung extrem getroffen, weil ich aus einem sehr selbstbestimmten Leben geworfen wurde. Auf der Bühne stehen, bloggen und schreiben, Applaus bekommen und gesehen werden, das gehörte zu meiner Existenz und mit einem Schlag war das alles weg.
Mit der Geburt kam auch die Traurigkeit?
Ich habe schnell gemerkt, dass ich mich in dieser klassischen Rolle der Mutter, die nur gibt, auslauge. Dass ich so an meine Grenzen komme, wie ich es nie für möglich gehalten hatte. Es gab Tage, da habe ich mir selbst nicht mehr getraut, weil ich so erschöpft war und einfach nur noch aus dieser Situation mit diesem Kind rauswollte. Und ich bin fast sicher, dass alle Elternteile dieses Gefühl kennen. Nur redet da niemand gerne darüber, weil es sich schrecklich anfühlt.
Du hast deine postnatale Depression, inklusive stationärem Klinikaufenthalt, öffentlich gemacht, eines der ganz grossen Tabus der Mutterschaft...
Das war ein sehr gut überlegter Entscheid. Ich wusste, dass man danach einen anderen Blick auf mich als Mutter haben wird, dass es unangenehm und schmerzvoll wird. Aber ich wusste auch, dass ich all jenen Frauen eine Stimme geben möchte, die sich nicht trauen, darüber zu reden, die viel zu still und einsam leiden, bis sie komplett zusammenbrechen.
Zur Person
Yonni Moreno Meyer, 41, bekannt unter dem Pseudonym Pony M., ist Bloggerin, Kolumnistin und Comedienne. Die studierte Psychologin rief 2013 ihren Facebook-Blog Pony M. ins Leben und widmet sich seither vollzeitig dem Schreiben. Sie gilt als eine der bekanntesten und meistgelesenen Online-Autorinnen der Schweiz. Ihre Kolumnen wurden in vier Büchern veröffentlicht. Gerade tourt sie mit Lesungen und ihrem neusten Comedy-Programm «Oh Baby!» durch die Schweiz. Sie wohnt mit Mann und Sohn in Zürich.:
Alle Daten Instagram @p.o.n.y.m
Gab es negative Kommentare?
Ja, natürlich. Leute schrieben, man dürfe mich mit meinem Kind nicht alleine lassen.
Und was waren die positiven Reaktionen?
Mehr als ein Dutzend Mütter haben mir geschrieben, dass sie nach dem Lesen meines Textes selbst auch stationär in Behandlung gegangen sind. Und ungezählig viele schrieben mir, dass es ihnen nicht gut gehe, seit ihr Kind auf der Welt sei.
Zeit, das Klischee der überglücklichen Babymutter abzuschaffen?
Etwa 10 Prozent aller Mütter haben postnatale Depressionen in verschieden starker Ausprägung – es gibt auch Väter, die davon betroffen sind. Da müssen wir doch öffentlich darüber reden! Keine Mutter muss sich schämen, wenn sie nicht nur Freude über ihr Baby empfindet. Mütter dürfen traurig sein. Und jene, die es nie waren – ganz wunderbar für euch – aber wenn es einer Freundin von euch nicht so geht, hört ihr zu, anstatt sie zu verurteilen – sie schämt sich sowieso schon unendlich.
Hast du dich geschämt, dass du als Mutter nicht einfach funktioniert hast?
Ja, und wie! Scham und Schuld sind zwei prägende Emotionen der Mutterschaft. Mütter sind ja immer schuld, wenn was nicht perfekt läuft und Mütter schämen sich dauernd, dass sie nicht perfekt sind. Das muss doch mal aufhören. Wir geben alle unser Bestes. Punkt.
War dein Mann von Anfang an einverstanden, dass du euere Elternschaft als Content auf Social Media nutzt?
Das war eigentlich von Anfang klar. Ich erzähle seit zehn Jahren ziemlich tabulos aus meinem Leben. Hier meine Mutterschaft auszuklammern, wäre mir sehr unnatürlich vorgekommen. Zumal Mutterschaft voller Tabus und Stigmata ist, die anzusprechen ich enorm wichtig finde.
Wie schützt du deinen Sohn vor der Öffentlichkeit?
Ich fotografiere ihn sehr selten, und wenn, dann ohne Gesicht. Ich bin keine MamaBloggerin, sondern Comedienne. Ich sammle witzige, absurde Geschichten aus meinem Leben und manchmal kommt da mein Kind darin vor. Aber unser privates Leben schütze ich schon.
Du bezeichnest dich als Autorin und Comedienne. Sowohl deine Posts als auch deine Texte sind aber oft sehr ernst.
Ja, sie sind so, wie ich selbst bin. Eines meiner Erfolgsgeheimnisse ist, dass ich authentisch bin. Ich bin einfach ich und die Leute haben glücklicherweise Freude daran. Das ist meine Nische. Meine Shows sind sehr lustig und sehr traurig. So ist doch das Leben.
Bist du auf Tiktok?
Nein, hör auf. Ich mach keine eigenen Storys und Videos nur ungeschnitten, diese ganze Technik liegt mir überhaupt nicht.
Erstaunlich für eine Frau, die seit zehn Jahren sehr erfolgreich online unterwegs ist?
Ja, ich mach erstaunlich wenig und sehr oldschool, aber es funktioniert.
Ist es möglich, einen vernünftigen Medienkonsum zu haben, wenn man selbst eine Social-Media-Persönlichkeit ist?
Nein! (lacht). Social Media ist ein Teil meiner Arbeit und meines Lebens. Aber ich versuche, wenn ich mit meinem Sohn zusammen bin, das Smartphone wegzulegen. Manchmal bin ich auch die Mutter, die mit dem Handy in der Hand auf dem Spielplatz sitzt. Und das ist auch ok, wer weiss denn schon, dass ich die letzten acht Stunden nonstop diesem Kind hinterhergerannt bin?
Findest du, dass Eltern in der Schweiz zu stark kritisiert werden?
Ja. Zu viele mischen sich ungefragt ein. Und das Schlimmste, selbst der leichtfertigst hingesagte Spruch wie «Hat er auch genug gegessen?» kann extrem verunsichern. Und eine verunsicherte Mutter ist eine schlechtere Mutter. Statt solcher Sprüche könnte man doch einfach helfen. Das weinende Kind im Tram ablenken, die Türe aufhalten, ein aufmunternder, verständnisvoller Blick. Es wäre so einfach.
Findest du, die Schweiz ist zu wenig familienfreundlich?
Ja, Frauen müssen, sobald sie Mütter werden, zu sehr einstecken, werden systematisch benachteiligt. Trotzdem würde ich in keinem anderen Land auf der Welt Kinder bekommen wollen. Aber ich bin auch in einer privilegierten Position. Aber wie wir in der Schweiz alleinerziehende Mütter behandeln, das ist kein Ruhmesblatt.
Deine Person und dein Content polarisieren. Wie schwer fällt es dir, Kritik nicht persönlich zu nehmen?
Ich werde nie jemand sein, dem Kritik egal ist. Das macht mich auch aus. Ich will mir keine dicke Haut zulegen. Ich bin jemand, der sich auch bewegen lässt. Wobei ich schon merke, dass mich Kommentare über mein Muttersein tiefer treffen.
Du bist zurzeit mit deinem neuen Comedy-Programm «Oh Baby!» unterwegs. Kommen da eigentlich auch Väter zuschauen?
Eindeutig mehr Frauen, aber es kommen immer mehr Männer, manchmal sogar ganze Männergruppen und ich glaube, auch die amüsieren sich sehr gut.