Gesundheit
Flacher Baby-Schädel: Wie Helmtherapie hilft
Flache, unförmige Schädel bei Babys und Kleinkindern nehmen zu. Zu welchen Therapien Ärzte raten und was Eltern tun können.
Als unser Sohn mit etwa sieben Monaten einen Helm auf den Kopf gesetzt bekam, schluckte ich zwei Mal leer. Dass er später mal Eishockey spielen würde, konnte ich mir durchaus vorstellen. Aber so ganz ohne Brustpanzer und Knieschoner wirkte dieses unmodische Accessoire nicht besonders herzig.
Egal. Wie alle Eltern, die nur das Beste für ihr Kind wollen, standen wir drüber und machten mit dem Alltag weiter wie bisher: Spaziergänge, Restaurantbesuche, Tierpark, Babyschwimmen. «Mama, wieso trägt dieses Baby einen Helm?», fragten in der Öffentlichkeit oft andere Kinder. Das Unwissen ihrer Eltern war genauso gross wie die direkte Art der Kinder. «Weisst du, so tut es nicht so weh beim Umfallen», antworteten die Eltern. «Der lernt bestimmt gerade Laufen», oder «vielleicht hat es eine Behinderung».
Andere sprachen uns an, weil sie eigene Erfahrungen gemacht hatten. Manche wünschten sich, es hätte die Helmtherapie bereits früher gegeben – und ihr Kinderarzt hätte sie besser informiert. Wieder andere haben sich bewusst dagegen entschieden oder die Therapie nach wenigen Wochen abgebrochen.
♦ Achten Sie bei Ihrem Neugeborenen darauf, ob es eine Lieblingsseite hat. Wenn es den Kopf in Rückenlage oft auf dieselbe Seite dreht oder Spielzeug nur mit einer Hand greift, können Sie das Baby gezielt von der anderen Seite ansprechen, ihm Spielsachen anbieten oder mit einem Lagerungskissen eine schiefe Ebene herstellen.
♦ Bei flaschenernährten Kindern sollten Sie beim «Schöppelen» darauf achten, jeweils die Seite zu wechseln. Während das Kind wach ist, kann es beaufsichtigt auf dem Bauch liegen.
♦ Gerade wenn die Kopfverformung auf eine Ursache vor oder während der Geburt (Platzmangel im Mutterleib, schwierige, lange Geburt, Einsatz von Hilfsmitteln) zurückzuführen ist, kann das Baby in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein. In diesen Fällen sind Physiotherapie oder Osteopathie sinnvoll. Auf jeden Fall sollten Sie mit Ihrem Kinderarzt weitere Abklärungen und Massnahmen besprechen.
Vielleicht haben auch Sie schon einmal einen «Mini-Eishockeyspieler» gesehen und sich gefragt, was das wohl soll? Nun, diese Babys haben eine Abflachung seitlich oder hinten am Kopf, die der Helm korrigieren soll. Die sogenannten Kopfdeformitäten sind Anfang der 1990er-Jahre stark angestiegen, nachdem man herausgefunden hatte, dass die Rückenlage das Risiko eines plötzlichen Kindstodes senkt. Seither gilt die Devise: Säuglinge sollen auf dem Rücken schlafen. Weil der Schädel aber noch weich ist, drückt es den Kopf öfter flach. Die Verformungen können aber auch andere Ursachen haben: Das Kind hatte im Mutterleib zu wenig Platz oder verletzte sich bei der Geburt und schont nun diese Stelle des Schädels.
Bei der Helmtherapie steuert ein auf den Schädel angepasster Helm das Kopfwachstum. An der ausgeprägten Seite ist der Helm anliegend, an der abgeflachten Seite besteht Platz. So wächst der Kopf nur noch an der Stelle, wo er Aufholbedarf hat. Durch das enorme Kopfwachstum im ersten Lebensjahr stellen sich rasch Erfolge ein.
Markus Lehner, leitender Kinderchirurg am Kantonsspital Luzern, ist überzeugt, dass man ganz viele dieser Verformungen mit einfacheren Mitteln verhindern könnte (siehe Box), wenn man nur früh genug reagieren würde: «Die Eltern sind nicht gut aufgeklärt», stellt Lehner fest, «aber das viel Schlimmere ist, dass das Problem selbst bei den Kinderärzten erst in den letzten drei, vier Jahren zum Thema geworden ist.»
Die Zahl der geschätzten Betroffenen schwankt stark. In den meisten Veröffentlichungen geht man davon aus, dass etwa jeder Zehnte eine Schädelverformung aufweist. Dabei bedeutet das Erkennen einer Kopfverformung noch lange nicht zwingend eine Helmtherapie. Vor dem sechsten Monat, sagt Markus Lehner, würde er keinen Helm empfehlen.
Erstens bestehe die Chance, dass sich die Kopfform durch andere Massnahmen spontan verbessere. Zweitens seien diese Babys zu klein: «Die zusätzlichen 200 Gramm auf dem ohnehin schon schweren Kopf können zu Störungen bei der Kopfkontrolle führen», sagt Lehner. «In meinen Augen werden viel zu viele Helme verschrieben.»
Lehner meint dabei, dass in manchen Fällen nach sechs Monaten gar kein Helm mehr nötig gewesen wäre, weil sich das Problem erübrigt hätte. Damit grenzt er sich nicht nur von Helmproduzenten oder Orthopäden ab, für die solche Helme ein Geschäftsmodell darstellen. Sondern auch gegen Eltern, die mit klaren Forderungen nach einem Helm an ihn gelangen. Schliesslich spielt die Zeit eine wichtige Rolle: Je früher der Helm angewandt wird, desto schneller stellen sich Erfolge ein. Analog der Wachstumskurve des Kopfes bringt ein Helm hingegen nach dem ersten Lebensjahr praktisch nichts mehr.
In der Wissenschaft herrscht bis anhin noch keine Klarheit, was der richtige Weg ist. Die deutschsprachige Gesellschaft für Neuropädiatrie hat zum Thema eine Stellungnahme veröffentlicht, weil Kinder- und Jugendärzte zunehmend mit Schädelasymmetrien konfrontiert würden.
Darin weist die Gesellschaft auf die mangelnde Datenlage hin. So wird unter anderem erläutert, dass man zu wenige Informationen über einen Spontanverlauf (ohne eingeleitete Massnahmen) wie auch auf die längerfristigen Auswirkungen einer Schädelasymmetrie – etwa motorische Defizite – hat. «Ob die Helmtherapie über die rein kosmetische Verbesserung der Schädelasymmetrie hinaus einen medizinischen Nutzen hat, erscheint fraglich», folgert die Gesellschaft für Neuropädiatrie in der Stellungnahme. Peter Weber, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Neuropädiatrie, sagt ausserdem zum richtigen Zeitpunkt der Helmtherapie: «Ob der Helm die motorische Entwicklung verzögert, ist allenfalls als Hypothese zu werten.»
Wissenschaftliche Daten dazu würden fehlen. «Und wenn dies so wäre, stellt sich ja die Frage, ob eine Verzögerung, die dann im zweiten Lebensjahr aufgeholt wird, de facto langfristig ein Problem darstellt.» Aufgrund der besseren Formbarkeit des Schädels beginnt man oft im Alter von vier Monaten mit der Helmtherapie. «Eine dadurch bedingte Verzögerung in der motorischen Entwicklung konnten wir nicht beobachten», sagt Weber und widerspricht damit der Einschätzung seines Kollegen Lehner.
Fachärzte wie unter anderem Markus Lehner arbeiten zurzeit daran, klare Kriterien zu entwickeln, wann eine Helmtherapie angezeigt ist. Dies auch im Hinblick auf die Kosten von rund 2000 Franken pro Helm, welche die Eltern heute oft selber übernehmen. Die Kopfverformungen reichen von leichten Asymmetrien, die von Auge kaum sichtbar sind, bis zu starken Deformitäten, die sich auf Ohren, Gesicht und Kiefer auswirken. «Bei diesen extremen Ausprägungen handelt es sich nicht mehr um rein kosmetische Korrekturen», sagt Lehner, «weil sie beispielsweise die Kieferstellung beeinflussen können.»
In den meisten Fällen, bei denen sich die Ausprägung bloss auf den Hinterkopf beschränkt, handelt es sich aber um eine rein äusserliche Massnahme: sozusagen die erste Schönheitskorrektur. Wenn die Abflachung nicht ganz korrigiert werden konnte, gibt es zumindest einen Trost: Es wachsen Haare drüber. So versteckt sich die leichte Asymmetrie, die unserem Sohn geblieben ist, heute auch unter einem dicken Wuschelkopf. Wenn wir Babyfotos anschauen, sind wir schockiert, wie unförmig der kleine Kopf ausgesehen hat. Und entsprechend dankbar, dass wir ihm mit der Helmtherapie helfen konnten. Rückblickend haben ihm die paar Monate Helmpflicht ein ganzes Leben mit einem schöneren Kopf eingebracht.