Beruf
Gutenachtkuss Per Telefon
Von Vera Sohmer
Pendeln kostet Nerven und Zeit. Berufstätige Eltern leiden ganz besonders darunter: Sie opfern kostbare Familienzeit.
In aller Herrgottsfrühe aus den Federn, das ist hart. Auf der Autobahn im Schritttempo Kolonne fahren – noch härter. Deshalb steht Marketing- und Onlinefachmann Peter Jauch jeden Morgen um halb sechs auf. Duschen, anziehen, rein ins Auto. «Fahre ich gegen sechs Uhr los, geht es meistens noch mit dem Verkehr», sagt der 34-Jährige. Läuft alles rund, ist er gegen sieben an seinem Arbeitsplatz in Aarau. Stauen sich die Autos aber schon frühmorgens am Brüttiseller Kreuz oder vor dem Gubristtunnel, gehts länger. Oft dauere die Hinfahrt mehr als eine Stunde und das nerve. Weil es bedeutet, pro Arbeitstag fast drei Stunden auf der Autobahn zu verbringen. Zeit, die er mit der Familie verbringen könnte.
Peter Jauch eilt aus dem Haus, wenn seine Schätze noch schlafen. Ihm bleibt nur der Kontakt per Telefon: Jeden Morgen ruft er von unterwegs an. Zuerst spricht er mit seiner Frau Simone. Und sofern sie schon wach sind, wollen auch die 6-jährige Chénille, der 3 ½-jährige Gaël und die 2-jährige Smilla an den Apparat, um ihrem Papa einen guten Morgen zu wünschen.
Die junge Familie lebt in Mönchaltdorf, idyllisch gelegen im Zürcher Oberland. Wer nach Aarau pendelt, ist aufs Auto angewiesen. Mit dem öV müsste man viermal umsteigen. «Aber wir sind verwurzelt hier, auch für die Kleinen ist es ideal», sagt Simone Jauch. Selbst zur Arbeit zu pendeln könnte sich die 35-Jährige nicht vorstellen. «Es geht einfach zu viel Zeit verloren.» Wenn die Kinder grösser sind, will sie wieder als Lehrerin arbeiten – aber in der Nähe. Dass ihr Mann jeden Tag so weit zur Arbeit fahren muss, sei kein Dauerzustand. Peter Jauch wird bald einen Job in Zürich annehmen. Die Fahrzeit mit Auto oder Motorroller verkürzt sich dann pro Weg auf 20 Minuten. Und nimmt er den Zug, muss er nur einmal umsteigen.
Den Arbeitstag an einem anderen Ort verbringen – ein schlechtes Gefühl habe er deswegen nicht, sagt Peter Jauch. «Ich weiss, dass meine Frau alles gut managt, sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt.» Dennoch hockt er manchmal wie auf Nadeln. So wie neulich, als eines der Kinder krank und auch seine Frau gesundheitlich angeschlagen war. In solchen Fällen habe er abends nur noch einen Wunsch: auf dem schnellsten Weg heim. Sei dann die Autobahn verstopft, verliere er zuweilen die Geduld. «Ich fange zwar nicht an zu drängeln oder zu rasen, aber ich fluche schon mal hinter dem Lenkrad.»
Ist Pendeln ungesund?
Nicht grundsätzlich, sagt Arbeitspsychologin Simone Grebner von der Fachhochschule Nordwestschweiz. Pendeln werde nur dann zur Belastung, wenn Freizeit, Erholung und die Zeit für die Familie zu kurz komme. Manchmal kann Pendeln sogar Vorteile bringen: «Für manche Eltern ist es an den Arbeitstagen die einzige Zeit, in der sie etwas Ruhe haben», sagt Simone Grebner. Erholsames Pendeln, das man zum Lesen, Musik hören oder entspannen nutzt, setzt allerdings zwei Dinge voraus: Die Arbeitswege sollten nicht zu lang sein. Zwei Stunden Fahrtzeit pro Tag seien in etwa die obere Grenze. Und: Es braucht flexible Arbeitszeiten. Nur so können Berufspendler die Stosszeiten umgehen. Staus oder überfüllte Züge sind zusätzliche Stressfaktoren.
Kehrt Peter Jauch später zurück als geplant, ist die Stimmung schon mal gereizt. Die Eltern sind genervt: er vom Stau und sie, weil er angekündigt hatte, zum Abendessen mit am Tisch zu sitzen. Die Kinder wiederum veranstalten ein riesiges Hallo: Endlich ist Papa da! Vor lauter Aufregung denken sie nicht mehr an die Mahlzeit. Und sind noch aufgekratzt, wenn sie längst ins Bett müssten. «Wenn Peter jeweils rechtzeitig zum Nachtessen da wäre, würde das sicher mehr Ruhe ins Familienleben bringen», sagt Simone Jauch. Ihr Mann liebt die gemeinsame Zeit abends mit den Kindern, obschon er manchmal an seine Grenzen stösst. «Freitags sind meine Batterien ziemlich aufgebraucht. » An den Wochenenden brauche er mehr Schlaf als sonst und etwas Zeit für sich. Die Kinder sehen das anders: «Sie geniessen ihren Vater intensiv, wenn er zu Hause ist», sagt Simone Jauch. Schliesslich muss ihr pendelnder Papa schon bald wieder weg.