Burnout
«Das Weinen hörte nicht mehr auf»
Von Julia Panknin
Julia brannte für ihre Arbeit und war sich sicher, dass sie Kind und Karriere unter einen Hut bekommen würde. Die Realität sah jedoch anders aus und brachte sie in eine Burn-out-Klinik für Mütter.
« Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem ich aufhörte zu funktionieren. Ich war in einem Meeting mit hohen Entscheidungsträgern. Wir hatten die geplante Zeit bereits überzogen, und ich war so müde, dass ich der Diskussion nicht mehr folgen konnte. Die Nacht zuvor hatte unsere Tochter sehr schlecht geschlafen. Nach einem Blick auf die Uhr wurde mir bewusst, dass ich vor 15 Minuten hätte abfahren müssen, um die Kleine noch pünktlich abholen zu können. Da spürte ich, wie meine Hände plötzlich anfingen zu schwitzen und mein Herz zu rasen. Ich entschuldigte mich, verliess den Raum, packte meine Tasche, rannte aus dem Gebäude und brach zusammen. Damals wusste ich noch nicht, dass es das letzte Mal gewesen sein würde, dass ich in dem Büro war, in dem ich fast das ganze letzte Jahrzehnt gearbeitet hatte.
Der Körper zog die Reissleine
Die Abwärtsspirale begann sich zu drehen, als ich schwanger wurde. Plötzlich gab es quasi zwei von mir. Die stets gut gelaunte und hoch motivierte Mitarbeiterin und die Frau mit den dicken Füssen, der durchgehend übel war. Eine war sichtbar, die andere musste ich verstecken. Und dieses absurde Spiel hörte nicht mehr auf: Nach der Geburt kam ich zurück ins Büro und startete wieder voll durch. Als hätte ich zwischenzeitlich kein Kind zur Welt gebracht, sondern wäre sechs Monate von einer Karibikinsel zur nächsten gesegelt, um das Leben zu geniessen.
In der Realität hatte ich schon seit dem achten Schwangerschaftsmonat keine Nacht mehr durchgeschlafen und seit der Geburt keine einzige wache Stunde nur für mich gehabt. Wenn ich nicht lohnarbeitete, war ich Mutter, und andersrum. Und als wäre das nicht schlimm genug, schwang in beiden Welten immer mit, dass ich mir die andere bitte nicht anmerken lassen soll: ‹Arbeite, als wärst du keine Mutter und sei Mutter, als würdest du nicht arbeiten›, scheint das ungeschriebene Gesetz für Frauen im 21. Jahrhundert zu sein, die sich erdreisten, beides zu wollen: Kind und Karriere. Wie unmenschlich das Ganze war, begriff ich erst, als es zu spät war. Konkret viele Monate nachdem mein Körper die Reissleine gezogen und mich an einen sehr dunklen Ort verbannt hatte.
Nach meinem Zusammenbruch im Büro hörte das Weinen wochenlang nicht auf. Ich war zerfressen von Schuldgefühlen, meinem Kind und meinem Arbeitgeber gegenüber, und von Scham. Nicht selten dachte ich, es wäre mir lieber, ich hätte eine «echte» Krankheit. Etwas, wofür man mir Blumen mit Genesungswünschen schicken würde, statt mich als Verrückte oder Simulantin abzustempeln.
Wir müssen reden
Ich brauchte eineinhalb Jahre, um mich aus der Erschöpfung zu kämpfen. Zudem intensive Therapie, einen viermonatigen Aufenthalt in einer Burnout-Klinik für Mütter und viele Bücher, um zu verstehen, wie ich in dieser Misere gelandet war. Heute bezeichne ich diese Zeit gerne als die härteste und gleichzeitig wertvollste Weiterbildung meines Lebens. Weil mich das Ausbrennen dazu zwang, aus dem Hamsterrad zu steigen und zu hinterfragen, was ich da eigentlich tat und warum.
Als mir bewusst wurde, dass unser System und die gesellschaftlichen Ansprüche an uns Eltern, insbesondere an uns Mütter, einen grossen Teil zu meiner Krankheit beigetragen haben, konnte ich mir nicht erklären, wieso niemand darüber sprach. Also entschied ich, mein Schweigen zu brechen. Erst in meinem privaten Umfeld, dann auf dem Businessportal LinkedIn – und stach damit in ein Wespennest: Hunderte Frauen und ein paar Männer likten, kommentierten und schrieben mir private Nachrichten. Es entstand eine Community, die laufend wächst und die ich seitdem on- und offline zusammenbringe. Es fühlt sich an, als wären wir alle sehr lange in einem Dampfkochtopf gesessen, der sich nun endlich entladen darf.
Deshalb habe ich zusammen mit Frauen aus der Community die Plattform «mamibrennt»entwickelt. Diese richtet sich an alle lohnarbeitenden Mütter, die sich angesprochen fühlen. Ich werde ausserdem nicht aufhören, über das Thema zu sprechen und zu schreiben. Denn wir können es uns als Gesellschaft schlicht nicht leisten, Mütter reihenweise ausbrennen zu lassen.» → mamibrennt.com