Eltern sind es sich gewohnt, hochgetaktet durch den Alltag zu rasen. Das muss nicht sein. Neun Tipps für eine Entschleunigung.
Corona hin oder her: Kinder, Job, Haushalt bieten wie immer das volle Stressprogramm. Statt mit Volldampf in den Kollaps zu brettern, lohnt es sich, mental den Bummler zu besteigen. Und an jeder Station kurz durchzuatmen.
Blitzentspannung
Wellness-Weekend? Yoga-Kurs? Abendliches Tête-à-Tête? Schön wärs! Eltern von Babys und Kleinkindern fehlt dazu schlicht die Zeit. Oder das Geld. Oft beides. Wer nicht einmal fünf Minuten in Ruhe duschen oder eine Runde ungestört auf dem Klo sitzen kann, für den sind Wohlfühloasen so weit weg wie der Südpol für den Eisbären. Umso wichtiger ist es, die Entspannungsquelle in sich selber zu finden. Und das Nervenflattern zu beruhigen. Am besten innerhalb einer Minute. So gehts: Augen schliessen. Einmal bis tief in den Bauch einatmen. Sich vorstellen, eine Marionette an Fäden zu sein, an denen Kopf, Nacken, Schultern, Arme, Beine aufgehängt sind. Nun schneidet jemand alle Fäden gleichzeitig durch. Sämtliche Körperteile abrupt hängen lassen und gleichzeitig ausatmen. So fühlt man sich innert Sekunden leicht und locker. Notfalls hilft es bei Überspannung kurz vor dem Platzen, auch in ein Kopfkissen zu brüllen.
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Corinne Brunner
Ein Mützchen voll Schlaf
Die Folgen von zu wenig Schlaf sind Reizbarkeit, Müdigkeit, Konzentrationsmangel, im schlimmsten Fall Diabetes, Halluzinationen und Depressionen. Schlafentzug ist eine beliebte Foltermethode. Natürlich will man keinem Baby vorhalten, ein tyrannischer Folterknecht zu sein. Die Realität ist dennoch, dass gerade Eltern mit einer Doppel- oder Dreifachbelastung durch Schlafmangel in ein Hamsterrad von Stress, Leistungsabfall und Erschöpfung geraten. Deshalb: Wann immer möglich ein Nickerchen einlegen! Statt während Babys Mittagsschläfchen den Abwasch zu erledigen, das Badezimmer zu putzen und die ellenlange Mail-Liste abzubauen, sich lieber zum Kleinen legen und ebenfalls wegdösen. Nach dem Power-Nap lässt sich alles leichter erledigen.
Tschüss Perfektionismus
Was sich auf Facebook, Insta und Youtube an glücklichen Mamas und fürsorglichen Papas tummelt, erzeugt, mit Verlaub, manchmal Brechreiz. Als hätte man sämtliche Weihnachtsguetzli und Lebkuchenherzen auf einmal verschlungen. Alles zu süss, zu klebrig, zu rosa. So perfekt, wie im Netz eingeflüstert, ist das Eltern- und Familienleben nie. Mit dem Anspruch, als exzellente Eltern die perfekten Kinder aufzuziehen, können wir nur scheitern. Wie aber geht das, «nicht perfekt sein»? Langfristig bietet eine Psychotherapie sicher Erfolg. Kurzfristig atmet man am besten zehnmal am Tag tief durch und sagt sich: «Ich muss keine Super-Mama, kein Super-Papa sein – eine hinreichend gute Mutter, ein hinreichend guter Vater zu sein, genügt!» Das betont auch Margrit Stamm in ihrem neuen Buch «Du musst nicht perfekt sein, Mama».
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Corinne Brunner
Übernimm du!
Sich vom Perfektionismus zu verabschieden, bedeutet auch, sich selber nicht mehr als einzig fähige Instanz und unübertreffbare Familienmanagerin wahrzunehmen. Und sich einzugestehen, dass gewisse Aufgaben ruhig auch andere übernehmen können. Gerade nach einer Geburt ist es wichtig, so viel Hilfe wie möglich einzufordern. Statt dankend den 50. Strampler als Geschenk entgegenzunehmen, lieber um einen Gutschein für einen Grosseinkauf bitten. Oder Hütedienst für die Geschwister. Auch für spätere Familienphasen gilt: Grosseltern, Freunde, Onkel, Tanten und Nachbarn lassen sich oft gerne für einen Kinderhütetag oder einen Abend lang einspannen. Mit Kindern ab drei Jahren (wirklich!) kann zudem ein Ämtliplan erstellt werden. Die Einführung eines solchen mag ein bisschen anstrengend sein, dafür werden die Eltern die restlichen 15 Jahre des Familienlebens entlastet. 9
Es plätschert das Wasser
Im Schaumbad bei Kerzenlicht vor sich hinzuträumen – das war früher. Zu Singlezeiten. Wer Kinder im Krabbel- und Kleinkindalter hat, muss diese Art von Tiefenentspannung vorerst auf Eis legen. Dennoch: Unbestritten ist, dass warmes Wasser hilft, den Parasympathikus im Nervensystem zu aktivieren und sich so zu entspannen. Um Stress entgegenzuwirken, nützt es bereits, die Hände eine Minute lang unter warmes Wasser zu halten. Dazu Augen schliessen, durchatmen und einmal kurz OM chanten. Das reduziert die Stresshormone.
Kochen für Wochen
«Mahlzeiten vorkochen» mag antiquiert klingen – wer aber von «Meal Prep» spricht, ist voll dabei. Zeitgeist und Corona haben das Ihre dazu beigetragen – Google und der Büchermarkt explodieren zum Thema «Meal Preparation». Vorkochen spart Zeit und Nerven und rettet mitunter Ehen. Wie man das Mahlzeitenpreppen inklusive Planung, Einkauf, Kochen und Aufbewahren am besten in Angriff nimmt, zeigt zum Beispiel ➺ fooby.ch. Dazu gibts familientaugliche Rezepte und Infos zur Haltbarkeit der Gerichte
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Corinne Brunner
Ein Hoch auf das Spielen
Der Alltag erschlägt Eltern mit einem Pflichtprogramm, wie es nicht einmal Bankmanager kennen. Weil wir dafür weder Bonus erhalten noch mit fremden Geldern zocken können – erlauben wir uns, doch zwischendurch zu spielen. Oder besser: die Welt mit Kinderaugen zu sehen. Wer Käfer beobachtet, bis diese im Loch verschwunden sind, wer konzentriert einen Duplo-Turm vom Boden bis zur Decke baut oder mit Malfarben ziellos aufs Papier pinselt, spart sich den teuren Meditationskurs. Denn Kinder sind Achtsamkeitskünstler. Wer spielt wie ein Kind, lebt im Moment. Das entschleunigt. Auch wenn das Motto «Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen» öfter notgedrungen in die Erziehung einfliessen muss – Eltern tun gut daran, das Sprichwort ab und an in verkehrter Reihenfolge zu beherzigen.
Bin dann mal weg!
Elternsein ist Hochleistungssport. Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr, jahrein, jahraus, oft über zwei Jahrzehnte. Was ist schon ein schlapper 100-Prozent-Job dagegen! Kein Auto schafft es, ohne Tankfüllung, kein Kühlschrank ohne Stromanschluss zu funktionieren. Ohne Treibstoff macht die Karre schlapp. Auch Eltern müssen – MÜSSEN – auftanken. Und das geht nur ohne Kind(er). Werfen Sie die Schuldgefühle über Bord, wenn Sie das Kleine/die Kleinen eine Stunde dem Partner/der Partnerin, Oma und Opa, dem Nachbarn oder der Freundin überlassen, während Sie sich in ihr Zimmer zurückziehen. Oder allein spazieren gehen. Oder shoppen. Auch ein Wochenende «Nur wir zwei» liegt drin. Oder eine ganze Woche Ferien. Ihre Kinder ertragen das. Und Sie werden ausgeschlafen und erholt die nächste Etappe schaffen.
Lob der Faulheit
Mit der schmallippigen Redewendung «Ohne Fleiss kein Preis» muss man Eltern nicht kommen. Denn so fleissig und unermüdlich eingespannt wie diese ist keine andere gesellschaftliche Gruppe. Schlauer ist es, sich als Eltern an historische Grössen wie Goethe, Einstein oder Churchill anzulehnen, die unter anderem Dank viel Schlaf und Träumerei Monumentales geschaffen haben. Auch wenn die Nachwelt kaum über unsere Leistung, ein Kind aufgezogen zu haben, sprechen wird – Eltern leisten Grossartiges. Gerade deshalb dürfen – nein, müssen wir!– uns erlauben, zwischendurch so richtig zu trödeln und zu faulenzen.
Die hübschen Illustrationen sind von Corinne Brunner, @cocodilloillu
Manuela von Ah
Stv. Chefredaktorin
Manuela von Ah hat Ethnologie und Wirtschaft studiert. Für «wir eltern» schreibt sie über Erziehung und Familienpolitik, berichtet aus dem Gebärsaal, aus Kitas und Klassenzimmern – und erzählt, was Mütter und Väter auf dieser Welt bewegt.