
Papacode
Digital Native trifft Kassettli-Kind
Digital Native trifft Kassettli-Kind
Junior und ich spazieren vom Fussballtraining nach Hause. Unvermittelt fragt er mich: «Papi, als du jung warst ... gab es da schon Bücher ?» Ich muss lachen und schaue ihn leicht beleidigt an. «Ja, stell dir vor ! Es gab schon Bücher ! Und Strom ! Und sogar Autos !»
Er nickt wenig beeindruckt . «Aber keine Smartphones, gäll ?» Nickend antworte ich: «Das stimmt. Um beispielsweise ein Hörbuch zu hören, musste ich damals ein Kassettli in einen Apparat stecken und es manchmal mit dem Bleistift reparieren, wenn es das Bändli wieder mal ‹ usgfädlet › hat.» Grosse Augen schauen mich an. Ungefähr so müssen unsere Vorfahren in der Steinzeit geguckt haben, als auf einer Waldlichtung plötzlich ein Feuer brannte. So richtig scheint er nicht zu erfassen, was ich ihm gerade erzähle. Aber wie soll er auch? Unsere Jungs hatten nie einen CD-Player, geschweige denn einen Kassettenspieler. Wir sind direkt mit digitalen Hörspielen eingestiegen. Zuerst mit einer Toniebox, jetzt mit einem Smartphone und Apple Music. Letzteres hat übrigens jüngst Spotify abgelöst. Ich hole kurz aus, warum :
Wenn ich früher das falsche Kassettli eingelegt hatte, merkte ich schnell, dass da Mamas Musik drauf war, statt «meinem» Globi. Heute ist das komplizierter. Bei Spotify habe ich nur durch Zufall entdeckt, was sich unsere Jungs alles «anhören» und war ziemlich erschrocken über die Videos, die sie auf der Musikapp konsumierten. Der Wechsel zu Apple Music war die Konsequenz, weil es dort diese Videos nicht gibt. (PS : Schau doch mal in der History, was dein Kind so konsumiert. Ich wette, auch du wirst staunen.) Aber diese neue Vielfalt, die das moderne Leben bietet, gibts nicht umsonst. Im Gegenteil gehen diese modernen Hörbuchgeschichten ganz schön ins Geld. Während ich (in meiner Erinnerung) immer wieder dieselben Globiund Chasperligeschichten eingelegt habe, braucht es zumindest in unseren Kinderzimmern mehr Auswahl. Das heisst: Wir bezahlen nicht nur das Apple-Music-Abo, auch Bookbeat schickt jeden Monat eine neue Rechnung ...
Trotzdem finde ich das unter dem Strich gut investiertes Geld: Hörbücher regen nicht nur die Fantasie an, sondern helfen auch dabei, Phasen der Langweile zu überbrücken. Wenn ich ihre regelmässige Bitte nach dem Fernsehchästli wieder mal augenrollend mit «Nein!» beantworte, finden die Jungs meine Empfehlung «Gschichtli lose» meistens eine valable Alternative. «Gschichtli lose» hält sich als Ausdruck übrigens seit Jahren hartnäckig. Die ganze Familie nennt es immer noch so, obwohl die Inhalte mit den Jahren komplexer geworden sind – eigentlich wie die ganze Technik dahinter.

Diese hat nämlich vieles grundlegend verändert: Früher war die Rolle der Eltern eine andere, ich vermute eine simplere: Kassettli kaufen, einlegen, abspielen, Fertig.
Heute sind Eltern Kuratorinnen, IT-Supporter und Content-Filter zugleich. Sie müssen wissen, welche Apps sicher sind, wie sie wichtige Einstellungen anpassen oder welche Inhalte gesperrt werden müssen. Notabene ohne, dass dabei die Magie des Geschichtenhörens verloren geht. Ganz schön tricky, oder ?
Ich frage mich deshalb manchmal, ob wir unseren Kindern einen Gefallen tun mit dieser endlosen Auswahl. Aber spätestens wenn ich sie begeistert von einer neuen Hörspielreihe erzählen höre, die es zu meiner Zeit nicht gab, denke ich mir: Wahrscheinlich ist es doch gut so, wie es ist.
Und ehrlich gesagt: Bei den Büchern verhält es sich ja genauso. Während ich früher hoffnungsvoll in die Buchhandlung oder in die Bibliothek pilgerte, um den gewünschten Titel zu suchen, laden wir heute einfach alles auf den Tolino. Entweder aus dem virtuellen Buchladen oder aus der Onlinebibliothek. Auch hier lockt mehr Auswahl und sofortige Verfügbarkeit und macht als kleines Zückerli das Feriengepäck erst noch ein paar Kilo leichter ... Vielleicht hatte Junior bei seiner Frage beim Spazieren also gar kein «richtiges» Buch aus Papier und Druckerschwärze mehr im Kopf wie ich, sondern ein elektronisches – und hatte somit natürlich recht. Denn diese gab es damals tatsächlich noch nicht.