Mutter krank, Vater krank, Baby rekonvaleszent – wie man dieses Worst-Case-Szenario übersteht.
Es war der Horror, einfach nur schlimm. Zurecht weicht man zurück oder zuckt zusammen, wenn andere davon erzählen und man hofft nur, dass es einen selber nicht trifft. Immerhin gab es bei uns keine Vorwarnung, das hätte wohl alles noch unerträglicher gemacht - die Magen-Darm-Grippe kam einfach so. Zuerst erwischte sie unsere Tochter, sie übergab sich einmal, hatte dann ziemlich üblen Durchfall, aber sie nahm es so gelassen, dass wir uns keine Sorgen machten. Wir Narren! Ich war gerade noch daran, ein soeben gekauftes Möbel zusammenzubauen, da nahm das Unwohlgefühl die Übermacht. Auch meine Freundin klagte, worauf wir uns hinlegten und uns so unserem Schicksal ergaben. Wir sollten erst wieder freiwillig aufstehen, um Dinge von uns zu geben, die wir lieber nicht so abrupt veräussert hätten – um es mal euphemistisch auszudrücken. Eine Qual, dieser Kontrollverlust über die eigenen Körperfunktionen. Das hat so etwas Archaisches, Ultimatives, als wolle der Organismus dem Geiste zeigen, dass er das letzte Wort hat.
Das letzte Mal, als ich so etwas erleben musste, wohnte ich noch alleine. Auch das war katastrophal, aber immerhin waren wir nur zu zweit, mein Leid und ich. Ich rotierte zwischen WC, Bett und Sofa und bewegte mich so wenig wie nur möglich. Das machte alles etwas erträglicher. Nun aber Magen-Darm-Grippe im Familienpack: Meiner Freundin ging es ebenso schlecht wie mir, es hat uns zur gleichen Zeit gepackt, die Tochter war glücklicherweise schon wieder auf dem Weg zur Besserung. Aber das bedeutete auch: Schoppen geben, spielen, füttern, herumtragen. Und eigentlich hatte keiner von uns die Kraft dazu. Das Baby wickeln, während einem eh schon kotzübel ist: sehr schwierig. Es vor Ecken und Kanten bewahren, während es im eigenen Magen sticht und brennt: nicht einfach, im Elend altruistisch zu sein. Ich bin beileibe kein Weichei, aber mir taten alle Muskeln weh und ich fühlte mich elend und ausserstande, die Kleine, welche ich in den Wanderferien noch stundenlang mit mir herumgetragen hatte, in den Schlaf zu wiegen. Also tat ich es nicht. Ich nehme an, meiner Freundin ging es genauso mies und sie fühlte sich genauso ausserstande, die Tochter in den Schlaf zu wiegen. Aber sie tat es. Als es uns besser ging, fragten wir uns wie sie das schaffte, woher sie die Kraft nahm, zu kochen und die verkotzten Toiletten zu putzen. Sie vermutete, das liege in der Natur und die Frau habe dafür Reserven. Schliesslich habe sie auch zwei Kaiserschnitte überstanden und etliche verzweifelte Momente als allein erziehende Mutter und könne sich heute nicht mehr vorstellen, wie sie das gemacht habe. Ich fühle mich zwar oft als jener Part unserer Beziehung, der mehr einstecken kann, aber mir fällt keine Situation ein, in der ich über mich hinausgewachsen bin. Vielleicht ist es auch da wieder etwas Archaisches: Der Mann, der Beschützer, muss in Gefahrensituationen richtig reagieren können, die Frau, die Zusammenhalterin, in den häuslichen. Für mich muss die Frage nicht restlos geklärt werden: Ich finde, wir waren beide stark – zuerst sie, dann, dank ihr, ich. Dafür bin ich froh, ist eine andere Frage restlos geklärt: Es war die richtige Entscheidung, in eine Wohnung mit zwei Badezimmern zu ziehen.
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Blogger Reto Hunziker
Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen.
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