Kriminologin und Pädagogin Melanie Wegel (49), Zürcher Hochschule für Soziale Arbeit.
Vorab: ich bin Kriminologin. Ich beschäftige mich mit den «Bösen». Mit denen, deren Werte mit den Werten der Gesellschaft nicht übereinstimmen, bei denen es falsch läuft, die straffällig werden. Wir haben etwa Wertorientierungen von Straftätern untersucht. Heraus kam, dass ihre höchsten Werte Cleverness, schnelles Geld, Ehre und Nationalstolz sind. Dass es bei solchen Wertorientierungen leichter zu problematischem Verhalten kommen kann, liegt auf der Hand. In der Resozialisierung muss es also darum gehen, diese Werte durch andere zu ersetzen und zunächst eine realistische Sicht auf die Welt zu vermitteln. Etwa klar zu machen, dass Wohlstand ohne Arbeit nicht zu haben ist, eine gute Arbeit ohne Ausbildung nicht, dass manche Dinge unerreichbar bleiben werden, es kein Menschenrecht auf einen weissen Mercedes gibt und dass eine vermeintliche Ehrverletzung kein Freibrief für Gewalt ist. Es ist möglich – das haben wir bei einem erfolgreichen Straftäter-Theaterprojekt festgestellt – Orientierungen im Erwachsenenalter noch zu ändern. Aber es ist nicht einfach. Zahlreiche Studien belegen, dass Werte in den ersten Lebensjahren durchs Elternhaus vermittelt werden. Diese meist unbewusste Grundüberzeugung später, etwa im Schulalter, zu ändern, gelingt nur selten. Wir müssten also eigentlich immer bei den Eltern ansetzen. Doch die zu erreichen, ist schwierig. Kinder lernen im Alter zwischen 4 und 5 Jahren zwischen Richtig und Falsch unterscheiden. Diese Wertorientierung müssen sie bis dahin also schon zu grossen Teilen verinnerlicht haben. Eltern dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen.