Monatsgespräch
«Väter sind Juniorpartner»
Soziologe Michael Meuser hat untersucht, warum Frauen und Männer in alte Rollen zurückfallen, sobald das erste Kind da ist. Sein Befund: Mütter wollen ihre zentrale Kompetenz in Sachen Kindererziehung gar nicht aufgeben.
wir eltern: Herr Meuser, müssen wir heute immer noch über Gleichberechtigung in der Partnerschaft diskutieren?
Michael Meuser: Es kommt darauf an, worauf man schaut. Immerhin herrscht ein breiter Konsens, dass Partnerschaft auf der Basis von Gleichberechtigung besteht. Dieser Anspruch ist weit verbreitet, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Dies zeigen nicht nur die Daten unserer Untersuchung. Stimmten in Umfragen vor drei Jahrzehnten nur 30 Prozent der Befragten dieser Aussage zu, sind es heute 70 Prozent. Es hat sich also erheblich etwas verändert.
Das klingt doch gut!
Einerseits ja. Vergleicht man aber die geäusserten Bedürfnisse von Müttern und Vätern mit der tatsächlichen Umsetzung im Alltag, fällt eine starke Diskrepanz auf.
Sie meinen, weil in der Realität Mütter nach wie vor die meiste Familienarbeit alleine stemmen?
Grundsätzlich haben sich in der Frage «Wer macht was?» einige Veränderungen ergeben. So ist das Bild des abwesenden Vaters heute nicht mehr korrekt. Aus Zeitbudgetstudien wissen wir etwa, dass Väter vor allem an den Wochenenden genauso viel Zeit mit ihren Kindern verbringen wie Mütter. Dies hat sich in diesem konkreten Fall also sehr gesteigert. Väter engagieren sich dabei allerdings stärker beim Spielen und bei Unternehmungen, Mütter eher bei der alltäglichen Betreuung. Überhaupt leisten Frauen unter der Woche immer noch viel mehr Arbeit in der Familie.
Das heisst, partnerschaftliche Arbeitsteilung wird gewünscht, aber nach der Familiengründung nur selten gelebt. Woran liegt das?
Es verhält sich jedenfalls nicht einfach so, dass Männer sich vor der neuen Aufgabe zu drücken versuchen. Vielmehr stösst ein Ansinnen von Männern, die Erwerbsarbeit zu reduzieren, in der Berufswelt nach wie vor hochgradig auf Unverständnis. Und zwar bei Vorgesetzten wie auch bei Kollegen. Gerade Letztere deuten dies oft als Ausdruck von Illoyalität. Von Müttern hingegen wird immer noch erwartet, dass sie sich zumindest zum Teil aus der Berufswelt zurückziehen.
Die strukturellen Konstellationen der Berufswelt sind also schuld daran, dass Frau und Mann mit dem ersten Kind in traditionelle Rollenmuster fallen?
Nicht nur. Zwar schätzen Mütter eine stärkere Beteiligung der Väter an Kinderbetreuung und Haushalt. Gleichzeitig jedoch sind sie oft daran interessiert, diese Sphäre als die ihre zu verteidigen. Väter sind deshalb im Bereich Familienarbeit meist nur Juniorpartner oder, wie man im Amerikanischen sagt, co-parent. Die zentrale Kompetenz hingegen liegt dabei meist bei der Frau und wird von ihr so auch reklamiert. Es fällt vielen Frauen schwer, in diesem Bereich Verantwortung abzugeben. Deshalb werden Väter, die sich hauptsächlich um Kinder und Haushalt kümmern, immer noch als etwas Besonderes wahrgenommen.
Wollen viele Mütter also in Wahrheit gar nicht, dass sich Väter stärker einbringen?
Doch! Sie schätzen das ja auch. Gleichzeitig aber wollen sie ihre vermeintlich stärkeren Kompetenzen in diesem Bereich bewahren. Das muss man im Zusammenhang sehen mit einer langen Tradition und gewonnenen Routinen dieser Zuständigkeit. Es ist verständlich, dass Veränderungen hier nicht so schnell gehen.
Trifft dies für alle sozialen Milieus zu?
Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität bei der Aufteilung der Familienarbeit finden wir vor allem ausgeprägt in der gebildeten Mittelschicht. Im Arbeitermilieu hingegen ist dies weniger der Fall. Hier finden sich unter Elternpaaren meist sehr viel pragmatischere und oft auch gleichberechtigtere Lösungen – ganz einfach weil die Betroffenen meist gar keine Wahl haben.
Und die Mittelschicht schafft dies nicht?
In der gebildeten Mittelschicht, wo die Ansprüche an eine gleichberechtigte Aufteilung der Familienarbeit sehr stark formuliert werden – und zwar sowohl von Frauen wie auch von Männern –, ist die Fallhöhe bei Abweichungen sehr viel grösser. Ausserdem halten Paare hier gern die Fiktion aufrecht, dass ihre gelebte Aufteilung der Familienarbeit frei gewählt sei.
Wie meinen Sie das?
Meist ist es ja so, dass der Mann Vollzeit arbeitet, die Frau Teilzeit und diese ausserdem hauptsächlich für Kinder und Haushalt zuständig ist. Diese Paare sagen dann oft, sie würden selbstverständlich sofort die Rollen tauschen – wenn nur die Frau ein höheres Einkommen erzielte. Indem beide dies so formulieren, wahren sie den Schein der freien Wahl – was wiederum dem eigenen Zufriedensein zuträglich ist.
Wie verhält es sich aber, wenn sich beide Eltern gleich stark engagieren – sowohl beruflich als auch in der Familienarbeit?
Solche Paare gibt es bisher wenige. Generell gilt, dass Väter, die sich über längere Zeit stark in der Kinderbetreuung einbringen, mit der Zeit eine andere Sicht auf ihre Karriere entwickeln. Für sie spielt diese dann nicht mehr die zentrale Rolle. Allerdings wissen wir auch aus verschiedenen Untersuchungen zu Doppelkarrierepaaren: Selbst wenn beruflich zwischen beiden vollkommene Egalität herrscht – wer letztendlich dafür sorgt, dass das Vereinbarkeitsmanagement gelingt, also die Balance zwischen Beruf und Familie, ist ganz überwiegend die Frau.
Wird sich das in absehbarer Zeit ändern?
Zumindest die traditionelle Aufteilung – der Mann als Ernährer, die Frau, die nur in und für die Familie arbeitet – verliert an Bedeutung, dies zeigen auch statistische Daten. Selbst wenn das Modell vielleicht noch angestrebt wird: Immer mehr Männern ist es nicht mehr möglich, mit ihrem Einkommen allein eine Familie zu ernähren. Aktuell jedenfalls leben nur noch ein Viertel aller Paare mit kleinen Kindern dieses Modell.