
Gabriela Gründler
Binationale Familien
Binationale Familien: So geht es den Kindern damit
Von Veronica Bonilla Gurzeler
Kinder aus binationalen Familien haben einen Teil ihrer Wurzeln in einem anderen Land. Wie lebt es sich damit? Was empfinden die Kinder als Vorteile, was sind die Nachteile? Eine Spurensuche.
43,1% aller neu geschlossenen Ehen in der Schweiz sind binational. Davon sind
19,7% Ehen zwischen einem Schweizer und einer Ausländerin,
16,2% Ehen zwischen einer Schweizerin und einem Ausländer,
7,2% zwischen einem Ausländer und einer Ausländerin mit unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten. Der Anteil der Heiraten mit einer Person aus einem Drittstaat ist bei den Schweizern höher als bei den Schweizerinnen.
Präferenz der Schweizerinnen Deutschland, Italien, Kosovo, Frankreich, Nordafrika (vor allem Tunesien und Marokko), Türkei
Präferenz der Schweizer Deutschland, Italien, Frankreich, Kosovo, Südamerika (vor allem Brasilien), Südostasien (vor allem Thailand)
Fast 10% der verheirateten Personen lebt in einer binationalen Ehe, wobei ein Ehepartner in Besitz des Schweizer Passes ist. Der Anteil der in gemischt-nationalen Ehen lebenden Personen unterscheidet sich je nach Kanton. Er ist am höchsten im Kanton Genf (14,2%), gefolgt von Basel-Stadt, Tessin, Neuenburg, Zürich und Waadt und am geringsten, nämlich unter 5% in den Kantonen Uri, Nidwalden, Appenzell-Innerrhoden und Obwalden.
Bei 40% der 2015 geborenen Kinder ist ein Elternteil Schweizerin oder Schweizer und der andere Elternteil Ausländerin oder Ausländer.
Am Anfang vieler binationaler Familien steht eine Liebesgeschichte, die Stoff für einen kitschigen Roman liefern könnte. Da ist die quirlige deutsche Touristin, die sich in den Schweizer Bergen in den hinreissend aussehenden Skilehrer verguckt, bald schon bei ihm einzieht und schwanger wird. Oder die Weltenbummlerin, die sich auf einer Schiffstour um die Galapagosinseln vom dunkeläugigen Matrosen verzaubern lässt. Und sich nichts Aufregenderes vorstellen kann, als mit ihm eine Familie zu gründen. Andere Paare mit zwei verschiedenen Nationalitäten lernen sich unspektakulärer kennen: am Arbeitsplatz, auf einer Einladung bei Freunden oder – heute immer öfter – im Internet.
Jedes binationale Paar ist anders
«Viele glauben, binational ist die blonde Schweizerin und der Schwarzafrikaner», sagt Esther Hubacher, Leiterin von frabina, der Beratungsstelle für Frauen und Männer in binationalen Beziehungen. Das kommt vor, doch weitaus häufiger lebt die ausländische Person schon seit einiger Zeit in der Schweiz oder ist sogar hier geboren, aber nicht eingebürgert. «Jedes binationale Paar und jede bikulturelle Familie ist anders», betont die Fachfrau für interkulturelle Kommunikation. «Es ist wichtig, sich von Vorurteilen und Verallgemeinerungen zu lösen.»
Eines ist nicht zu übersehen: Gemischtnationale Beziehungen werden immer häufiger. 2018 waren 35,4 Prozent der Ehen, die in der Schweiz neu geschlossen wurden, binational – mehr als doppelt so viele wie 1980. 40 Prozent der Kinder, die in der Schweiz jedes Jahr geboren werden, haben deshalb einen binationalen Hintergrund. Sie sind Teil der Schweizer Kultur und haben zur Hälfte solche Wurzeln. Da sind aber auch noch die fremden Gene des ausländischen Elternteils, seine Familie, die manchmal unüberschaubar gross ist und vor allem weit weg. Da ist die unterschiedliche kulturelle Prägung, die Wertvorstellungen, die sich je nach Herkunft, sozialer Schicht und Bildungsstand mehr oder weniger unterscheiden von dem, was bei uns üblich und bewährt ist. Und nicht zu vergessen: die andere Sprache.
Binationale Familien: interkulturell geübt
«Kinder saugen das Bikulturelle mit der Muttermilch auf», sagt Fiammetta Jahreiss Montagnani, Vizepräsidentin der eidgenössichen Migrationskommission. Die gebürtige Italienerin ist seit 42 Jahren mit einem Schweizer verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und spricht auch aus eigener Erfahrung. «Binationale Familien bauen eine Brücke zwischen den Kulturen und leben im Kleinen, was im Grossen klappen sollte», sagt Jahreiss.
Den Kindern, die so aufwachsen, sagt man nach, sie seien interkulturell geübt, flexibel und tolerant, in der Regel mehrsprachig und dank dieser Kultur- und Sprachkompetenz bestens für die Welt von heute gerüstet. Gespräche mit jungen Erwachsenen, die mit zwei Kulturen aufgewachsen sind, zeigen, dass sie die Schweiz auch aus der Perspektive ihrer zweiten Heimat wahrnehmen und wissen, dass Errungenschaften wie Wohlstand oder Sicherheit nicht selbstverständlich sind. «Ich bin stolz darauf, was die Schweiz bietet, gerade bezüglich Infrastruktur und Ausbildung», sagt Sebastian, halb Kurde, halb Schweizer. «Das schafft nicht jeder Staat.»
Seit 1. Januar 2019 ist ein neues AIG in Kraft. Ausländische Staatsbürger, die eine Person mit einem Schweizer Pass heiraten, erhalten eine B-Bewilligung, nach fünf Jahren aber nicht mehr automatisch eine C-Bewilligung, wie das bis Ende 2018 der Fall war. Für die Erteilung oder Verlängerung einer Bewilligung, auch nach einer Scheidung, sind neu die Sprachkompetenzen und die finanzielle Unabhängigkeit entscheidend. Wer längere Zeit von der Sozialhilfe lebt, läuft Gefahr, die Aufenthaltsbewilligung zu verlieren.
Doch nicht immer ist es nur toll, wenn die Eltern aus verschiedenen Kulturen kommen. «In gewissen Konstellationen wird viel verlangt von den Kindern. Sie müssen sich in zwei Systemen zurechtfinden, das kann auch eine Überforderung sein», sagt Esther Hubacher von frabina.
Jugendliche mit schweizerischausländischem Hintergrund ringen auf dem Weg zum Erwachsenwerden manchmal länger und tiefgreifender mit ihrer Identität; davon berichten einzelne der nachfolgend Porträtierten. Migration macht ausserdem anfällig für Krankheiten, physische und psychische. Kann der ausländische Elternteil etwa keine Heimatgefühle entwickeln, ist es ihm bei uns zu kalt, zu unfreundlich oder klappt es jobmässig nicht, dann leiden auch die Kinder.
Möglich, dass die Beziehung unter dieser Belastung zerbricht. Binationale Ehen werden jedoch allen Vorurteilen zum Trotz nicht häufiger geschieden als Schweizer Paare. Allerdings: Ist die Frau Ausländerin, ist die Scheidungsquote nur halb so hoch, wie wenn die Frau einen Schweizer Pass hat. Ein möglicher Grund, so Hubacher: «Auch bei Schweizer Paaren wird die Beziehung öfter von der Frau beendet. Steht die Frau finanziell nicht auf eigenen Beinen, wird sie sich in einer schwierigen Verbindung wohl eher arrangieren.»
Sozialer Hintergrund ist entscheidend
Für das Gelingen einer Beziehung sei die gleiche Nationalität weniger wichtig, als dass beide Partner aus einer ähnlichen sozialen Schicht kommen, ergänzt Hubacher: «Eine Frau mit einem Hochschulabschluss hat oftmals mehr Gemeinsamkeiten mit einem studierten Iraker als mit einem Walliser Bergbauern.»
Beide Kulturen gleichwertig erfahren
Bedeutsam für die binationale Familie sind Besuche im ausländischen Herkunftsland. Je weiter entfernt dieses ist, desto zeitaufwendiger und kostspieliger wird die Reise. Politische Gründe können sie verunmöglichen; wenn Eltern sich getrennt haben, fällt sie oft ebenfalls weg. «Wichtig ist, dass das Kind beide Kulturen als gleichwertig erfährt, denn es hat beide in sich», sagt Hubacher. Bücher, Filme oder Musik bringen das fremde Land näher, ebenso Gespräche mit Landesgenossen.
Eine Reise ins zweite Heimatland kann dadurch nicht ersetzt werden. Schliesslich lernen die Kinder dort nicht nur die fremde Familie kennen, sondern erleben den ausländischen Elternteil da, wo er seine Wurzeln hat, seine Muttersprache spricht und problemlos verstanden wird – dies hilft Kindern, im Laufe des Heranwachsens ein vollständigeres Bild ihres ausländischen Elternteils zu entwickeln. Spätestens wenn es dann gilt, wieder Abschied zu nehmen, zeigt sich ein Grundthema der binationalen Familie: die Zerrissenheit. Tränen fliessen auf allen Seiten. Bittersüss, solche Verbindungen.
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