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Rollator-Blues

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Boaaaa: Brauch ich jetzt bald einen Rollator? Du wirst Grossvater. Du wirst alt, uralt. Damit hab ich in den nächsten zehn Jahren gar nicht gerechnet. Die zehn Jahre Alter leg ich gleich auf einen Schlag zu…
Das waren im ersten Moment die Gedanken, die durch mein Hirn schwirrten, als meine Tochter mir die an sich erfreuliche Nachricht überbrachte. Denn das Wort Grossvater weckte in mir Erinnerungen - und Bilder zogen an meinem inneren Auge vorbei, Bilder von meinem eigenen Grossvater, von dem einen, den ich gekannt habe. Jener mütterlicherseits ist leider vor meiner Erdenzeit verstorben.
In den Bilder in meinem Kopf erscheint der eine eigentlich immer als Greis mit markantem Kopf und schneeweissem Haar. Viel geredet hab ich nicht mit ihm, auch wenn ich ihm – nach dem Tod der Grossmutter – immer mal wieder die Einkäufe erledigte. An liebe Worte kann ich mich nicht erinnern. Er hat meist nur gebrummelt, was mich eher mit Ehrfurcht und Angst erfüllte als mit Zuneigung. So hat sichs jedenfalls in meinem Kopf fest eingebrannt.
Mit den Bilder taucht auch gleich die Frage auf: Werde ich für meinen Enkel jetzt auch so etwas? Ein brummliger Mümmelgreis? Ein alter Mann, der ihm Furcht einflösst, mit dem er sich nicht zu reden traut, der ihm nicht Zuneigung entgegen bringt?
Dreieinhalb Jahre ist das her. Und alles ist andres. Und das von dem Moment weg, als ich den kleinen Lio kurz nach der Geburt das erste Mal in den Händen hielt.
Älter geworden bin ich zwar, aber ganz normal und nicht auf einen Schlag wie befürchtet. Das biologische Alter ist ja das eine, das gefühlte das andere. Und beim letzteren bin ich eher jünger geworden - Enkel sei dank.
Umgeben von jungem Leben, das die Welt nach und nach entdeckt, beginne auch ich die Welt wieder mit andern Augen zu sehen; Lio und seine Neugier lassen mich auf Dinge achten, die längst aus der bewussten Wahrnehmung verschwunden sind, weil sie uns Erwachsenen offenbar zu unwichtig sind, zu uninteressant, zu gewöhnlich und nicht der Rede wert. Die Welt neu zu entdecken, hält den Geist fit. Und seit er sich die Welt nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Füssen am Erschliessen ist, bekommt auch der Körper sein Fitnessprogramm, wenn ich mit ihm durch die Stadt oder die Wässermatten spaziere.
Den Rollator-Blues sing ich darum noch lange nicht - ich halt mich doch lieber am Kinderwagen als an der rollenden Gehhilfe.

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Martin Moser (1959), Produktionschef Tageszeitungen der AZ Medien, ist seit 30 Jahren verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Er hat zwei Enkel (Lionel, 2011, und Enyo, 2014) und legt auch mal einen Opi-Tag ein. Bloggt für «wir eltern» über Opi-Kinder-Enkel-Erlebnisse und -Beziehungen und kramt auch mal in seinen eigenen Erinnerungen.