Dafür & Dagegen
Echt jetzt? Mit Kindern ans Open Air?
Von Anita Zulauf und Martina Schnelli
Soll man Kinder an Open-Air-Festivals mitnehmen? Oder besser nicht? Unsere Autorinnen sind unterschiedlicher Meinung. Lest, warum.
Klar kann man mit Kindern an Open Airs gehen. Für mich stellt sich mehr die Frage: Will man das? Denn mit Kindern kann man sich nicht ausschliesslich dem schönen Festival-Müsiggang hingeben. Bei uns sind Musik- und Bandkultur Bestandteil des Familienalltags. Der Kinderpapa kennt die Namen sämtlicher Sänger, Bassisten, Gitarristen und Schlagzeuger diverser Bands und deren Geschichten. Klarer Fall, dass wir mit unseren Kids an Open Airs gehen. Und die Kinder? Sie mögen das. Diesen Abenteuermix aus lauter Musik, marktähnlichem Treiben, dem ungezwungenen Dasein. Sternegucken zum Einschlafen unter dem irrlichtrigen Blinken von Spots und dem Feuerzeuglichteremeer, umlullt von gutem Sound.
Klingt jetzt komplett pathetisch, ich weiss. Es gab unvergessliche Momente. Mein Sohn etwa, wie er als Dreijähriger vor den grossen Bühnen grosser Stars völlig selbstvergessen tanzte. Das war super herzig. Oder eine meiner Töchter, die bereits als Baby am Berner Gurtenfestival auf der Wolldecke unter dem Baum rumkrabbelte, während Patent Ochsner ihr legendäres Gurtenlied Scharlachrot in die Nacht sangen und sämtliche Festivalbesucher mit einstimmten. Oder als nach einstündigem Warten an vorderster Front für das Konzert von Züri West auf dem «Heitere» in Zofingen mein Kind – ja genau – aufs Klo musste, gerade als Kuno Lauener und die Züris die ersten Akkorde schrammten. Dann weisst du, dass du nie mehr diese privilegierte Position erreichen wirst. Eine Tragödie, und trotzdem einer unserer unvergesslichen Open-Air-Momente. Also: Unbedingt mit Kindern an Open Airs! Musik macht Spass. Musik verbindet. Musik tut der Seele gut. Wir werdens immer wieder tun.
Anita Zulauf
lebt und liebt alles, was mit Musik zu tun hat. In der Sommerferienplanung ihrer Familie sind Open Airs ein fixer Bestandteil.
Sonntag, 14 Uhr: Die Sonne knallt aufs Open-AirGelände und vor der Bühne sind auffallend viele Kids zu sehen. Auch Babys, deren Köpfe fast gänzlich von riesigen Gehörschutz-Kopfhörern bedeckt sind. Mein Kind hingegen: nicht anwesend. Auf der Bühne eine schwarze Box, heraus springt ein britischer Sänger in zerfetzten Kleidern und mit Nietenhalsband. Ich schwärme für seine Dancefloorbeats. Die Open-AirKids auch? Ich bezweifle es. Abgesehen von den Kleinkindern, die überhaupt nicht gefragt werden können, werden sich die älteren Kinder vermutlich nicht vor die Eltern geworfen und um einen Nachmittag am Open Air gebettelt haben. Vielmehr hat der Hütedienst bei den Grosseltern am Sonntagvormittag einfach geendet und die Eltern sind nun mit den Kindern im Schlepptau unterwegs. Oder der Nachwuchs soll unbedingt ganz früh Festivalluft schnuppern, inklusive süssem Cannabisduft, moddrigem Dreckschlamm und penetranten Urinwolken. Genau diese Duftkombi brachte meine Hormone bei meinem ersten Festivalbesuch mit 17 Jahren zum Vibrieren. Es war der Geruch von Freiheit und Unbeschwertheit.
Dieses die-Welt-liegt-mir-zu-Füssen-Gefühl möchte ich auch meinem Sohn ermöglichen, und zwar dann, wenn er damit selbstständig etwas anfangen kann. Und das ist im Moment mit seinen acht Jahren nicht der Fall. Wir verzichten trotzdem nicht auf Musik unter freiem Himmel. Es gibt genug Kinder-Open-Airs. Da kann er nach Lust und Laune auf dem Gelände rumspringen, für Kinderohren erträgliche Dezibel geniessen, während ich auf der mitgebrachten Wolldecke entspanne. Und sollte eine schwarze Box auf die Bühne gehievt werden, weiss ich, da springt höchstens der Tanzbär raus.
Martina Schnelli
freut sich auf die Festivalsaison. Mit ihr im Schlepptau: Sonnenbrille, Smartphone, Ohrstöpsel und kein Kind.